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Die Musikstadt Leipzig ehrt ihre berühmte Tochter Jutta Hipp, die erste und lange Zeit einzige deutsche Jazzpianistin, mit einem Straßennamen. Auf Anregung und in Anwesenheit ihrer Biographin Katja von Schuttenbach wurde vor einigen Monaten im Ortsteil Meusdorf im Stadtbezirk Südost ein Teil des Logauweges, zwischen Offenbach- und Schwarzenbergweg, in Jutta-Hipp-Weg umbenannt. Auf einer Tafel wird an die am 4. Februar 1925 in Leipzig geborene und am 7. April 2003 in Queens/New York gestorbene Musikerin erinnert. Jutta Hipp zählte nach ihrer Flucht in den Westen bald zur Elite der jungen deutschen Jazzszene um die Brüder Mangelsdorff und Hans Koller. Sie war Stammgast im Frankfurter „Jazz-Keller“ des Trompeters Carlo Bohländer und hatte umjubelte Auftritte auf den Frankfurter Jazzfestivals 1953 bis 1955. Sie spielte in Kollers Quintett und leitete eigene Combos mit Emil Mangelsdorff, Joki Freund, Attila Zoller. Sie entwickelte einen melodiösen und luziden Stil, der an Lennie Tristano gemahnte. Die attraktive junge Frau war eine singuläre Erscheinung in der damaligen Männerwelt des Jazz, in der Frauen sonst nur als Sängerinnen auftraten. Aber sie war auch eine hoch begabte Musikerin, die von den Stars der Szene mehr als nur respektiert wurde. Sie war eine Wegbereiterin für die heute so zahlreichen „Women in Jazz“. Leider endete ihre Karriere ziemlich abrupt, nachdem sie 1956 auf Einladung des Jazzkritikers Leonard Feather nach New York übersiedelt war, dort zwar einige Zeit vielversprechende Auftritte absolvierte, auch drei LPs bei Blue Notes aufnahm, aber sich dann aus vielerlei Gründen – krankhaftes Lampenfieber, Alkohol, starker Konkurrenzdruck, Existenzangst und private Zudringlichkeiten von Seiten ihres Förderers – in die bescheidene, aber sichere Anstellung als Schneiderin in einer Kleiderfabrik zurückzog. Sie verlor zwar nicht den Kontakt zum Jazz, besuchte vorzugsweise kleinere Clubs, in denen unbekannte junge Musiker auftraten. Aber sie berührte niemals mehr ein Klavier, kehrte – aus welchen Gründen immer – auch nie mehr nach Deutschland zurück, nicht einmal besuchsweise. So wurde sie bei den Musikern und Jazzfans der älteren Generation zur Legende, von den Jüngeren wohl weitgehend vergessen. Aber die Leipziger Ehrung war überfällig. Mit neun Jahren begann Jutta Hipp mit dem damals für „höhere Töchter“ obligatorischen Klavierunterricht, an dem sie aber nach vier Jahren die Lust verlor. Aber zu Kriegsbeginn entdeckte sie den Jazz, über „Feindsender“ wie die BBC und die Schellackplatten von Freunden, die sie noch vor dem Krieg ergattert und gehortet hatten und nun unter den Jazzenthusiasten von Hand zu Hand gingen. Durch Studienfreunde von der Akademie für Graphik und Buchgewerbe, an der sie seit 1942 studierte, stieß die Siebzehnjährige zum Leipziger Hot Club, dessen Mitglieder sich privat zum Plattenhören trafen und es wurde sogar eine kleine Amateurband gegründet. In ihr spielte Jutta Klavier, an dem sie wegen des Jazz wieder Freude fand. Von einer Kirchenorganistin ließ sie sich in Harmonielehre unterrichten, spielte immer besser vom Blatt und lernte zu improvisieren, inspiriert von Teddy Wilson und Fats Waller und später auch von Art Tatum (nach Katja von Schuppenbach: „Jutta Hipp – Painter, Pianist and Poet“, Master Thesis an der Rutgers University Newark/New Jersey, 2006, ein Summery findet sich im Internet.). „ Jutta Hipp (…) symbolisierte alles, was an dieser (…) Gruppe von Jazzenthusiasten beispiellos und progressiv war. Im Rückblick darf man sie als das weibliche Alter ego von Emil Mangelsdorff bezeichnen, der genau das gleiche Alter hatte, in ähnlichen Familienverhältnissen aufgewachsen war und die gleichen politischen und ideologischen Empfindungen sowie einen entsprechenden Ästhetikbegriff hatte. Dies fanden beide heraus, als sie einander später begegneten“ (Michael H. Kater: „Gewagtes Spiel – Jazz im Nationalsozialismus“, Köln 1995, S. 281) – und als Musiker ideal harmonierten. Julius Becke, Spross einer Leipziger Klavierbauer-Familie, dessen Bruder Herbert Mitglied des Hot Club war und dem er „meine Jugendreligion: den Jazz“ verdankte, erinnert sich an die zwei Jahre ältere Jutta Hipp jener Kriegsjahre: „Und da stand sie plötzlich in unserer Wohnung, klein und zierlich, eingehüllt in eine kastanienbraune Mähne, auf den groben Wollstrümpfen bunte Stickereien, ein rotes Herzchen auf jedem Knie. In dem grell geschminkten Gesicht – beinahe schon Grund genug für eine Inhaftierung – Augen, die nichts fixierten, Blicke, die weiter hinausschauten, über Dinge und Menschen hinweg. Sie redete nicht. Ich sehe noch immer ihre kleine Figur vor dem gewaltigen schwarzen Flügel, dessen Gewicht sie mit ihren Fingerspitzen aufzuheben schien, mit den Perlenschnüren der Töne, die von störrischen Akkorden abgeschnitten und wieder eingefädelt wurden, in jenen Strom, den wir SWING nannten. In dieser Stadt also lebte ein Wunder, eine Musik, wie ich sie nur von weit her, von Teddy Wilson kannte… Sie war Musik, Jazz. Den hörte sie auch im Luftschutzkeller ihres elterlichen Einfamilienhauses. ‚Wenn wir getötet worden wären, dann wären wir mit schöner Musik gestorben’, hat sie später in einem Radiointerview gesagt.“ (Julius Becke: Really the Blus – Eine Jugend 1927 –1948, Leipzig 1999, S. 69 f). Eine sehr persönliche Erinnerung an Jutta Hipp hat auch ein anderer Leipziger festgehalten: der Klarinettist Rolf Kühn. Vier Jahre jünger als sie, hatte er sie erst 1945 kennengelernt: „Jutta Hipp war bereits kurz nach dem Krieg ein Hippie. Mit endlos langen roten Haaren, einem roten Hut, auffällig geschminkt – sie war eine Sensation.“ Mit Sechzehn spielte Rolf Kühn in einer Tanzkapelle Saxophon und Klarinette. Nach einem Auftritt kam Jutta Hipp auf ihn zu und fragte, ob er Benny Goodman kennen würde. Nein, er kannte ihn nicht, denn gerade Goodman war wegen seiner jüdischen Herkunft von der Nazipropaganda als Symbol für den verhassten Jazz missbraucht und seine Musik verboten worden. Jutta lud ihn zu sich in das elterliche Haus im Villenvorort Markkleeberg ein – „und dort spielte sie mir meine allererste Platte von Benny Goodman vor“, eine V-Disc mit „Hallelujah“ vom klassischen Goodman-Quartett mit Teddy Wilson, Lionel Hampton und Gene Krupa. „Diese Aufnahme wurde so wichtig für mich, das war meine Initialzündung für den Jazz… Die Begegnung mit Jutta Hipp und der Tag mit ‚Hallelujah’ bei ihr zu Hause in Markkleeberg, das war ein ganz wichtiger Tag in meinem Leben. Wer hätte mich sonst drauf gebracht.“ (Maxi Sickert: Clarinet Bird: Rolf Kühn – Jazzgespräche, Berlin 2009, S. 38 ff) Als Rolf Kühn selbst 1956 nach New York kam, hat er Jutta Hipp mehrfach getroffen und auch ihren Auf- und Abstieg verfolgt. Wie ein Blues klingt sein Resümee: „Albert Mangelsdorff und ich haben sie später immer wieder gebeten, als Pianis- tin mit uns aufzutreten, aber darauf hat sie gar nicht reagiert. Sie ist nie mehr nach Deutschland gekommen. Sie hatte so viel Talent, das hört man auch auf ihrem Blue-Note-Album ‚Jutta Hipp with Zoot Sims’, diese Aufnahme ist heute noch großartig. Sie konnte auch wundervolle Briefe schreiben und sehr gut malen, aber die Stadt hat sie aufgefressen. New York kann dich auffressen, wenn du nicht ganz stark bist…“ Dietrich Schlegel CD-Tipps •
Jutta Hipp with Zoot Sims
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