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Jazzzeitung
2012/01 ::: seite 9
portrait
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Die Mannheimer Saxophonistin Alexandra Lehmler spielt mit ihrer Band
einen anspruchsvollen und gleichzeitig sehr gut hörbaren Jazz. „No
Blah Blah“ lautet der Titel ihres neuen Albums – keine Mogelpackung,
der Titel ist Programm. Als Frontfrau führt Lehmler ihre Band souverän
und mit Humor und Tiefgang in ein spannendes, eigenwilliges balkan- und
latinbeeinflusstes Terrain.
JazzZeitung: Alexandra, wie beschreibst du mit deinen Worten den „eigenen
Personalstil“, den dir das „Jazz Podium“ seinerzeit
bescheinigte?
Alexandra Lehmler: Einem selbst fällt es, glaube ich, immer am schwersten,
das einzuordnen, was man tut. Die Musik, die ich schreibe, orientiert
sich sehr stark an Melodien. So entstehen zumindest meistens die Stücke:
Es gibt ein Melodiefragment, und daraus entwickele ich etwas. Ist es
stark genug, dann wird ein Stück daraus. Ich glaube, diese Melodien
könnten das „Erkennungsmerkmal“ meines Personalstils
sein. Ich versuche, meine Instrumente als „meine Stimme“ zu
verwenden – und es ist ja ganz natürlich, dass jeder eine
anders klingende Stimme besitzt oder einen anderen Redefluss.
Und ich glaube, Musiker können ihren Charakter beim Spielen auch
nicht verbergen: Jeder spielt ein bisschen so, wie er ist.
JazzZeitung: Willst du dich mit dem Titel „No Blah Blah“ bewusst
vom Jazz-Einheitsbrei distanzieren, vielleicht auch den Hörer ein
wenig provozieren? Und wie kam der Titel ursprünglich zustande?
Gab es Debatten darüber?
Lehmler: Ich hatte zuerst ein Bild im Kopf, wie das
Cover aussehen könnte,
wobei der Titel dazu damals schon „No Blah Blah“ lauten sollte.
Der Titel ist geblieben, nur das Cover wurde dann doch anders, als ich
es mir zuerst vorgestellt hatte. Natürlich gab es Debatten darüber.
Es war klar, dass der Titel polarisieren würde. Aber das ist ja
auch okay so! Letztlich konnten mich auch die Skeptiker nicht von „No
Blah Blah“ abhalten, da ich von Anfang an überzeugt davon
war, dass das genau der richtige Titel für diese Platte zu diesem
Zeitpunkt ist!
JazzZeitung: Einige der Songtitel fallen ebenfalls
auf: „Liegt
alles noch vor uns“, „Supergau“, „Nach der Rodung“ – wie
sind sie entstanden?
Lehmler: „Liegt alles noch vor uns“ ist die musikalische
Fortführung des Titels „Let‘s leave it all behind“ unserer
letzten CD „Die Welt von unten gesehen“. Es entstand auf
einer Reise – genauer, auf dem Hinweg – worauf sich der Titel
bezieht. Man kann ihn aber auch in Hinblick auf das Gesamtprojekt der
CD-Produktion betrachten, die ja eben zu diesem Zeitpunkt auch noch komplett
vor uns lag. „Supergau“ datiert sich auf das Wochenende der Fukushima-Katastrophe.
In jenen Tagen hatten wir den „Neuen Deutschen Jazzpreis“ in
Mannheim, den ich zusammen mit meinen Kollegen von der IG Jazz veranstalte.
Ich war sehr inspiriert von der tollen Musik, die ich am Vorabend gehört
hatte, so dass ich mich gleich ans Klavier gesetzt habe und ein paar
Ideen hatte. Dann kam die Nachricht aus Japan, die mich sehr erschütterte.
Das Stück skizziert meine innere Zerrissenheit an diesem Tag. „Nach
der Rodung“ schrieb ich nach der Gewalteskalation im Stuttgarter
Schlossgarten, quasi als Widmung für Wutbürger, Parkschützer,
Idealisten und Weltverbesserer. Gleichzeitig ist es die wehmütige,
desillusionierte und resignierte Erkenntnis, dass auch solch bemerkenswertes
Aufbegehren der Anständigen wenig zu bewegen vermag.
JazzZeitung: Mit solchen Titeln erhalten die
Songs ja auch eine politische oder gesellschaftliche Komponente, obwohl
es sich um Instrumentalmusik
handelt. Absicht?
Lehmler: Klar ist das Absicht, obwohl ich mich nicht
als unglaublich politische Person sehe. Aber Jazz ist auch eine politische
Musik – und
eben nicht nur „Blah Blah“! Es ist schön, die Zuhörer
durch Musik aus dem Alltag zu holen und das Leben durch die Musik vielleicht
sogar ein kleines bisschen schöner zu machen. Manchmal ist es aber
auch spannend, einen Soundtrack zur knallharten Lebensrealität zu
haben.
JazzZeitung: Ändert so ein Titel die Rezeption und das Verständnis
der Musik beim Hörer? Sprich, ist es legitim, den Hörer über
den Titel sozusagen „zu lenken“?
Lehmler: Wenn der Zuhörer den Hintergrund eines Stücks kennt,
dann findet er möglicherweise manchmal leichter Zugang dazu. Ich
möchte nicht zuviel lenken, deswegen erzähle ich im Konzert
nicht zu jedem Stück eine Geschichte. Es ist sehr schön, wenn
dem Publikum beim Hören ganz eigene Bilder einfallen. Im Idealfall „fährt
jeder seinen eigenen Film“. Ich denke, es ist durchaus legitim
zu lenken, wenn man das möchte.
Immerhin geht es ja um die eigene Musik! Interview: Carina Prange
CD-Tipp
Alexandra Lehmler: No Blah Blah
JAZZ’n’ARTS JnA 5712 |