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Jazzzeitung

2012/01  ::: seite 16

rezensionen

 

Inhalt 2012/01

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig no chaser: Totenkult Farewell: Frank Foster Paul Motian

TITELSTORY: Töne, Schweiß und Ohrenkitzel
Warum der Jazz wieder Kritiker braucht, die über Augenblicke schreiben

GESCHICHTE - Basies Weggefährten (2)
Am 2. März wäre Eddie „Lockjaw“ Davis 90 Jahre alt geworden...

Berichte
20 Jahre ACT // Zum Deutschen Jazzfestival Frankfurt 2011 // Martin Schmitt startet mit „Aufbassn“ neu durch // 10 Jahre Unerhört Festival – die aktuelle Musik in Zürich

Portraits
Eva Cottin // Jutta Hipp // Alexandra Lehmler // Lizzy Loeb // Jens Thomas

Jazz heute und Education
Hans Lüdemann – ein Jahr Unterricht an einem US-College und die Folgeng // Nachrichten // Fortbildungskalender 2012 (pdf) // Abgehört: Fusion goes Bebop: Larry Coryells Gitarrensolo auf „Tadd‘s Delight“ von Tadd Dameron

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

CD-Rezensionen

Kevin Hays
Variations

Pirouet PIT3059

Mit seinen vierundzwanzig Einzelnummern wirkt die Produktion von Kevin Hays etwas überladen. Doch der Titel „Variations“ zeigt, wohin der Pianist seine Fühler ausstreckt: Von Weitem winkt die klassische Klaviermusik, die – außerhalb des Jazz – ein prägendes Merkmal jahrhundertealter Musik darstellt. Und noch etwas verrät der Blick vor dem Hören der CD auf die Titelliste: Der Romantiker Robert Schumann hat seine Hand im Spiel. Dreimal variiert Kevin Hays ein Thema des von Johann Sebastian Bach beeinflussten Komponisten, der einen gewaltigen Batzen Klavierliteratur hinterlassen hat. Kevin Hays versucht in seinen komplexen, überwiegend kurzen Stücken, die Intentionen Schumanns beizubehalten, ohne als allzu dreister Epigone dem Meister zu viel abzugucken. Ihm gelingt insbesondere in den beiden „Contrapunctus“ genannten Etüden eine überzeugende Darstellung des Kontrapunktbegriffs, in dem er die „Gegenstimmen“ dezent dem Hauptgeschehen zuordnet, um dadurch ihre Selbständigkeit herauszukehren. Im Titel „Langsam“ steht die Musik fast, Ton für Ton nähert sie sich einem Punkt, an dem sich musikalische Erzählstruktur fast in Sprachlosigkeit erschöpft. Wo der suchende Kevin Hays fündig wird, wo seine Klangvorstellungen die Tradition verlassen, wo er dem Modernismus – wie in „The Dervish of Harlem“ – eine Bühne bereitet, da steigern sich seine Ideen zu einer Pyramide: Auf ihrer Basis, dem Klassizismus, entstehen in kleinen Schritten Variationen aus minimalistischen Klangerlebnissen.
Klaus Hübner

Fjoralba Turku
Serene

Traumton 4563

Ruhig, heiter, gelassen und gleichzeitig abgeklärt kommt die zweite Veröffentlichung der Ausnahmesängerin Fjoralba Turku daher – nomen est omen: „Serene“. Mit neuer Besetzung und immenser Kraft wird ihr beeindruckendes 2010er-Debut „Joshua“, das bereits eine kleine Sensation war, fast in den Hintergrund gestellt. Jonas Burgwinkel und Florian Trübsbach sind diesmal mit von der Partie, den israelischen Pianisten Tal Balshai gilt es zu entdecken, und am Bass spielt der großartige Paulo Cardoso. Gesanglich hat sich Turku in riesigen Schritten entwickelt, ihren Ausdruck weiter verfeinert und die intensive Zusammenarbeit mit Paulo Cardoso, der nicht nur ein paar wundervolle Kompositionen beisteuerte, sondern auch sämtliche Arrangements übernahm, vermittelt eine hochkarätige musikalische Leichtigkeit. Das weitere Liedgut der CD, bis auf ein paar traditionelle albanische Volksweisen, stammt aus Turkus eigener Feder. Schon beim ersten Hören stellt sich der Eindruck ein, als höre man Vertrautes, eine solche Intensität strahlen die Lieder aus. Fjoralba Turku weiß ihre vielseitige Stimme auf den Punkt genau einzusetzen und beherrscht präzise Zwischentöne und Nuancen, auf die es ankommt. Nach zwei so besonderen Alben muss man sich fragen, was da noch alles kommen wird. Trotz ihres erst relativ kurzen Erscheinens in der Szene verharrt sie nicht oder genießt Lorbeeren, sondern zieht wieder weiter mit neuen Gedanken und Projekten im Kopf, auf die wir bereits jetzt gespannt sein dürfen.
Thomas J. Krebs

Lars Danielsson
Liberetto

ACT 9520-2 (edel:kultur)

Entschleunigen. Abdämpfen. Weiche Melodik für die Ohren, damit sie Gelegenheit haben, einen Song als solchen wahrzunehmen. So möchte der schwedische Bassist Lars Danielsson „Liberetto“, also freien, der Folklore entlehnten Kantilenen, zu einem dennoch dichten Stil geschmeidiger Improvisationen kommen. Bewegliche Klavierfigurationen des armenischen Pianisten Tigran verbinden sich da im Titelsong sanft mit lyrischen Basslinien.
Bei dieser Session sind einerseits kontemplative Stimmungen wie „Day One“ mit Filtertönen von Arve Henriksen an der Trompete und gesprenkelten Klavierphrasen oder der träge Cantus firmus des „Hymnus“ zu hören, ein Choral, dessen begleitende Reprisen nur von kurzen Soli umhüllt werden. Andererseits gibt es von Tigran den exotischen Tanz „Svensk Låt“ mit seltsamen Wendungen, Intervallen und unerwarteten rhythmischen Akzenten, die Magnus Öström am Schlagzeug stets diskret mit Besentechnik glättet. Auch bei der Popballade „Party On The Planet“, von John Parricelli an der Gitarre mit Wah-Wah-Effekten auf Shuffle-Trab gebracht, bleibt das Temperament mäßig, wie auch der elegante Bossa „Blå Ängar“ sich in Latinmoll zurückhält. Elegische, mindestens melancholische Timbres haben die „Liberetto“-Songs von Lars Danielsson, darin aber gefüllt mit Freude an dichter Interaktion der Musiker. Wegen solch ungetrübter Feier an melodischer Inspiration verbreitet dieses wunderbare Album ein ausgeglichenes Lebensgefühl.
Hans-Dieter Grünefeld

Fee Stracke: Vertreibung aus dem Paradies „New Tunes“
JazzHausMusik JHM 204

So herausfordernd offen, wie einen die Berliner Pianistin und Komponistin Fee Stracke mit blondem Kurzhaarschnitt und zu großer Brille anschaut, klingt auch ihre Musik. Das Album mit dem eigenartigen biblisch konnotierten Titel fällt auch in der Besetzung aus dem Rahmen. Klarinette und Bratsche, respektive Violine spielen sich statt Saxophon und Gitarre improvisierend die Bälle zu. Der Aufbruch aus dem Paradies gleicht als „Express ins Glück“ so ganz und gar nicht einer Vertreibung – mit Bimmelglöckchen und heiter schnaufender Oldtimer-Lok eher einer höchst vergnüglichen Reise durch eine melodisch blühende Jazzwelt, durchsetzt mit Folkrocksträuchern, Romantik und einem Windhauch Klassik. Nur in wenigen Nummern präsentiert sich die junge Musikerin zurückgenommen, lässt aber auch dann – wie im dramatisch gestalteten „New Tune“ mit einem intensiven lyrischen Solo von Oliver Fox (cl, sax) – viel Raum und weiten Atem in ihren Kompositionen: eifrig genutzt von den Mitgliedern ihrer Band, allen voran Bratschist Valentin Gregor (v), Sergio Gomez am Bass und Hampus Melin am Schlagzeug. Dabei geht es keineswegs zu ernsthaft zu: Witz und lakonischer Humor spielen in „Der Wurm“ ebenso eine gewichtige Rolle, wie im „Unterwasserkarussell“ und auf dem Weg zur „Ameisenstraße“ – wohin auch immer die, lateinamerikanisch swingend, führt. Tänzerische Lebenslust treibt in einer angelehnten Tarantella, einem Tango und volkstümlich-knackig in „Verloren auf dem Fest“ ausgelassene Blüten – nachdem die Schwermut vertrieben ist.
Michael Scheiner

Jens Magdeburg
Landscape

Whope Whore Records

Venedig als heiter-verspielte Landschaftsmarke mit feinem Latinswing? Leichtfüßig, tänzelnd und ein wenig verschmitzt-neugierig. Jens Magdeburgs musikalische Sicht auf die Lagunenstadt muss man nicht teilen, aber mögen, mögen kann man sie schon. Der Nürnberger Pianist – mit KB‘s Jungleband und On Cue Bigband noch in anderen Besetzungen und Stilen unterwegs – legt mit dem bildhaft betitelten Album seines Trios mit Gunther Rissmann (b) und Jens Liebau (dr) ein überaus geschmackvolles, rundes Debüt vor. „Landscape“ zeichnet sich durch eine feinsinnig-melancholische Grundstimmung bei melodischer Kultiviertheit und spielerischer Eleganz aus. Wenn in einer Kritik über Magdeburgs Musik – die Stücke stammen alle aus der Feder des Pianisten – zu lesen ist, dass sie „sich unauffällig in die Gehörgänge schmiegt, dort aber umso hartnäckiger haften bleibt“, entspricht das freilich nur der halben Wahrheit. Haften bleibt der Eindruck eines homogen agierenden Trios, das sich intuitiv versteht. Das ist ganz sicher nicht das Schlechteste. Musikalisch aber hängt es, auf gutem Niveau, eher in der jüngeren (Jazz-)Vergangenheit und lässt wenig Ecken und Kanten erkennen. Die kultivierte Ästhetik bewegt sich bisweilen am Rand des Geschmäcklerischen, hängt sich harmonisch an allzu bekannte Formen und Mustern an. Vielleicht hat das auch mit dem thematischen Aspekt des Landschafts- oder Naturraumbildes zu tun.
Michael Scheiner

Giancarlo Schiaffini & Sebi
Tramontana: Wind & Slap

Rudi Records RRJ 1001

Sie knurren, plappern, fauchen und stottern. Sie lehnen sich entspannt zurück und tratschen wie die Waschweiber. Nur dass sich bei den fast eine Generation auseinanderliegenden Posaunisten die Ohren zufällig Umstehender nicht spitzen – wie sonst bei Tratsch üblich – sondern meist einklappen. Der Römer Giancarlo Schiaffini und der Sizilianer Sebi Tramontana sind Improvisationsmusiker oder Freejazzer, je nach Standpunkt des Behörers. Und als solche kommen sie auch bei der Masse der Jazzliebhaber weniger gut an. Extrapoliert auf die Masse der Popularmusikhörer oder die der Klassikhörer… ach, lassen wir die blöde Rechnerei. Kommen so oder so immer nur wenige hundert Auflage raus, egal wie man das unterhaltsame Scheibchen dreht oder wendet. Bei aller Ernsthaftigkeit und Intensität der musikalischen und ästhetischen Auseinandersetzung, ist „Wind & Slap“ tatsächlich auch ungemein anregend und ergötzlich. Auf einigen Stücken tauschen sie wechselweise ihre Zugposaune gegen Euphonium oder Tuba, was mehr Farbe ins Spiel bringt. Aber die beiden sind technisch – vom Spiel mit Klappen, Geräuschen, Überblasen, Ins-Horn-singen oder sprechen – wie intellektuell derart sattelfest und musikalisch beweglich, dass sie selbst mit ihren dunklen Hörnern locker eine Stunde und mehr Zuhörer bei Stange halten können. Für ungeübte Hörer ist so etwas ganz sicher immer erst einmal eine Herausforderung.
Michael Scheiner

Tim Berne
Snakeoil

ECM 2234

Nach acht Jahren das erste Studioalbum, nach Engagements bei David Torn und Michael Formanek der dritte Auftritt bei ECM: Tim Berne steht erstmals bei einer Manfred Eicher-Produktion als Boss an vorderster Linie. Entschlossen und selbstbewusst schraubt der Altsaxophonist die sechs Stücke auf „Snakeoil“ von einer Improvisationsplattform hinauf in frei schwebende Klangmomente. In perfekter Harmonie ergänzen sich Bernes punktgenaues Spiel mit dem ruhigen Klangfluss von Oscar Noriegas Klarinette. Das Quartett, mit Matt Mitchell (Piano) und Ches Smith (Drums) vervollständigt, kommt ohne Kontrabass aus. Dessen Part übernimmt punktuell die Bassklarinette von Oscar Noriega. Genial, wie Noriega mit diesem Tieftöner in „Scanners“ die Vorgaben Bernes kontert, dessen plötzliche Improvisationen er nicht kommentiert, sondern auf Augenhöhe begleitet, während Matt Mitchell in möglichst hohen Oktaven einen Kontrastandpunkt einnimmt. Wo „Scanners“ noch sprunghaft und hektisch agiert, scheint das folgende „Spare Parts“ in den Gefilden der Neuen Musik angekommen zu sein. Gänzlich unbeeindruckt von vorgegebenen Traditionen schafft Berne es hier, in konzentrierter Form die Freiheit des Jazz mit der schulterzuckenden Hochnäsigkeit eines unabhängigen Musikverständnisses zu verknüpfen. Struktur und Freiheit, Komposition und Improvisation, Gruppendynamik und Solounternehmungen…
Klaus Hübner

Rudi Zapf & Zapf‘nstreich
Unterwegs

Pantaleon Records 2011

„Bayerische Weltmusik“ nennen Hackbrettvirtuose Rudi Zapf und sein Ensemble ihren Stil. Dabei erstreckt sich die musikalische Bandbreite von Jazz über Klezmer, Latin und Klassik bis hin zur Volksmusik. Viele kleine Versatzstücke sind es, die jedes Lied ausmachen, gespielt mit Gitarre, Kontrabass, Pedalhackbrett, Steirischer, Vibrandoneon, Saxophon, Querflöte und – ein richtiges Highlight – der Bassklarinette. Traditionelle Stücke aus Russland, Lateinamerika, Afrika, Bayern und anderswo sind auf „Unterwegs“ vereint. Rhythmuswechsel, Stilwechsel, Taktwechsel – nie bleibt etwas so, wie es am Anfang schien. Da kommt der Zirtaki daher – vermeintlich –, denn gespielt im 7/8-Takt mündet er tatsächlich in ein leises Wiegenlied der Akustikgitarre; Zwiefache in Moll („Leidl müsst‘s traurig sei“) nach Dur und wieder zurück und zum Schluss Schostakowitschs Walzer Nr. 2. Mit „Unterwegs“ haben Rudi Zapf und sein Bandtrio eine entschleunigte Instrumentalplatte geliefert – Stubenmusik hinausgetragen in die Welt ist das. Die Songs selbst sind intelligent arrangiert, das neue Album entwickelt in seinen elf Stücken einen musikalischen Spannungsbogen bis zum Schluss. Live gespielt entwickelt das instrumentale und virtuose Spiel der vier Vollblutmusiker zusätzlich einen faszinierenden Sog, den man auf diesem Studioalbum leider missen muss. Nichtsdestotrotz eine hervorragende CD mit viel Raum zum Träumen zwischen Heimat und Fernweh.
Nadine Lorenz

Christian Muthspiel‘s Yodel Group
huljo

Material MRE034-2

Jodler aus dem österreichischen Alpenraum exportiert Posaunist Christian Muthspiel in einen Bereich, der außerhalb des traditionellen Volksmusikgetümmels, gepaart mit genrefremden Einflüssen, dem Wagnis Experiment die besondere Würze gibt. Strenggenommen entsteht eine eigene „Volksmusik“, deren allgemein akzeptierte Basis sich mit den Ausdehnungsmöglichkeiten improvisierter Musik bestens versteht. Der „Präbichler“ ist am gleichnamigen Gebirgspass am Erzbachtal und dem Vordernbergertal in der Steiermark zu Hause, während der „Kollerschläger“ aus dem oberösterreichischen Bezirk Rohrbach stammt. Beide Jodler sowie sieben andere verfeinern wegen ihres archaischen Klanginhalts die jazzhaltigen Rezepturen auf zurückhaltende, gleichwohl unüberhörbare Art. Weit jenseits in TV-kompatible Massenunterhaltung gepresster Pseudovolksmusiken gelingt es der Yodel Group, den traditionellen Klangrahmen zu erhalten und ihn mittels dazu passenden „fremden“ Melodien und Harmonien zu erweitern. Wenn Muthspiel vom „Blues der Alpen“ spricht, trifft er den Kern seines Anliegens auf den Punkt: die Idee einer Erweiterung im Grunde ausgelutschter Traditionsmusiken auf eine neue Ebene zu hieven. Da kommt „Ein schöner Verkehrter“ gerade zur rechten Zeit vorbei, und was die Österreicher als einen sehr hellen Milchkaffee bezeichnen, entwickelt sich bei Muthspiel zu Geschmacksverstärkern und Nervenreizstoffen.
Klaus Hübner

Louis Jordan
Let the good times roll – The Complete DECCA Recordings 1938–1954 (9 CDs)

BEAR FAMILY RECORDS BCD 15557

Richard Weize und seiner Firma BEAR FAMILY RECORDS, einem der wichtigsten Re-Issue-Labels in Europa, verdanken wir diese umfassende Begegnung mit dem Altsaxophonisten und Sänger Louis Jordan, dessen Tympany Five (er behielt diese Bezeichnung auch später bei größeren Besetzung bei) vor allem in den 40er-Jahren in den USA ungemein populär war. Geboren 1908 wurde er zunächst vor allem durch sein Engagement von 1936 bis -38 bei Chick Webb bekannt. Schon bald danach gründete er seine eigene Band, in der er mit packenden Solos und antreibendem Gesang stets den Mittelpunkt bildete. Er war ein geborener Showman und Entertainer, der die witzigen, manchmal anzüglichen, manchmal auch albernen Texte seines Repertoires sehr effektvoll in Szene setzte. Stücke wie „Five guys named Moe”,“Choo-Choo Ch-Boogie”, „Ain‘t nobody here but us chickens”, „Let the good times roll”, „Beans and Cornbread”, und „Saturday Night Fish Fry” sind untrennbar mit ihm verbunden, ebenso „Life is so peculiar” und „You rascal you” mit Louis Armstrong als Gast.
Interessant, die stilistische Entwicklung seiner Band zu verfolgen. Sie spielte durchgängig Jazz (Harlem Jump),sehr beat-betont (walking bass), bluesig, stark swingend, von ein paar Latin-Nummern abgesehen. Vom Rhythm&Blues, als einer dessen Pioniere Louis Jordan immer wieder genannt wird, ist kaum etwas zu hören, allenfalls bei den letzten Aufnahmen. Mit E-Gitarre (ab 1945) und Orgel (ab 1950) wurde seine Musik zwar härter, aber nicht hart und monoton.
Schade, dass im sehr schön gestalteten Begleitheft (mit vielen Fotos und einer Diskographie) auf musikalische Besonderheiten der Stücke überhaupt nicht eingegangen wird.
Sie wären viel wichtiger als Chart-Platzierungen, die über den musikalischen Wert eines Titels im Grunde gar nichts aussagen (die besten Titel von Louis Jordan bekamen keineswegs immer die besten Bewertungen).
Joe Viera

Terry Gibbs Quartet
feat. Terry Pollard, rec. 1955/56

Fresh Sound (Fenn Music)

Wenn vom Vibraphon im Bebop die Rede ist, taucht meistens gleich der Name Milt Jackson auf – und Tery Gibbs, der ihm in vielem ebenbürtig war, wird vergessen. Ein Jahr jünger als Jackson machte er seine ersten Aufnahmen 1946 (mit Aaron Sachs). Wie Lionel Hampton kam er vom Schlagzeug her (Jackson vom Klavier) und wie jener – sogar noch brillanter – beherrschte er auch das virtuose Klavierspiel mit zwei Fingern, was er gleich im ersten Titel, „Seven come eleven“, mit unerhörtem swing bewies (ein Meisterstück!). Allein wegen dieser Aufnahme muss man die Platte besitzen. Dazu begegnen wir in Terry Pollard einer hervorragenden, leider sehr unbekannt gebliebenen, Pianistin dem zweiten Grund für den Erwerb dieser CD. Sie muss auch eine sehr gute Vibraphonistin gewesen sein, denn bei Clubauftritten spielten Terry & Terry manchmal Duette auf einem Vibraphon. Gibt es davon Aufnahmen?
Joe Viera

Sebastian Schunke
Life And Death

Connector 59892-2 (In-Akustik)

Eine Aufzählung von Zutaten ergibt noch kein Rezept, ganz zu schweigen von einem Konzept. Deshalb ist, was Sebastian Schunke für sein Album „Life And Death“ vorbereitet hat, vielleicht am besten als Extensionen diverser Latin-Groove-Modelle zu beschreiben. Und zwar lenkt er eine Cuba-Clave so variabel durch „Berlin“, dass seine Band und er ganz ungezwungen die Wahrnehmungsmodi des urbanen Milieus auch in swingenden Klangmustern aus Modern und Free Jazz verändern können. Sie haben den Blick stets noch vorne gerichtet, nämlich „Adelante“ im ungeraden Ostinato zu unerwarteten perkussiven Kicks von Pernell Saturnino und expressiven Sax-Motiven, die Dan Freeman einfügt. Manchmal erreicht das Quintett „Misterioso” in komplexen Rhythmen auch gewisse Trancezustände, doch kontrolliert, sodass „Susanne” sogar Accelerando sehr lässig flanieren kann. Die Struktur der Musik bleibt organisch, denn Sebastian Schunke agiert am Klavier als spontan gestaltender Komponist und gibt Gelegenheiten zu kollektiv kreativem Interplay. Seine exzeptionellen Qualitäten als Jazzpianist sind in einigen Solowerken zu hören, wo er „Herzklopfen” (seiner Tochter Leona gewidmet) impressionistisch nachempfindet. Sein Stil ist eher lakonisch, kleine Motive vernetzt er diskret zu dichtem Gewebe. Nicht Verzweiflung oder gar Todesangst bestimmt daher seine Musik, sondern Intensitäten des Lebens: „Life And Death” ist eine klare Quintessenz dieser Erkenntnis.
Hans-Dieter Grünefeld

What’s up neighbor?
Lajos Dudas/Hubert Bergmann

Jazzsick 9002 JSAV

Genau genommen hat er die Phase des freien Spiels schon seit etlichen Jahren hinter sich gebracht. Wer jedoch Lajos Dudas auch in letzter Zeit zugehört hat, weiß, dass der gebürtige Ungar die Freiheit im Spiel über alles schätzt. Eigentlich schon immer: Nachzuhören nicht zuletzt auf der Doppelscheibe „50 Years With Jazzclarinet“ anlässlich seines 70. Geburtstags. So ist es folgerichtig, dass der Klarinettist dem Impuls des Augenblickes folgend die Gelegenheit beim Schopf ergriff, die sich bot, als er die „Werkstatt für improvisierte und neue Musik“ in Überlingen am Bodensee besuchte, wo er seit einigen Jahren zu Hause ist. Prompt fand sich mit Hubert Bergmann, dem Initiator des Studios, ein irgendwie Seelenverwandter. Obwohl beide aus ganz verschiedenen Ecken kommen, der in der Wolle gefärbte Jazzer und der in der Neuen Musik aktive Pianist, fand sich eine große spontane Schnittmenge an kreativer Energie und Sympathie. Ohne Angaben von Tempi, Themen oder Tonarten legten die beiden los, fanden zu faszinierender gemeinsamer Sprache. Der schlanke, kultivierte Klarinettenton von Lajos Dudas, sein an Bach, Bartók und Blues geschultes, intuitives Gespür für eine stets überraschende melodiöse Logik und seine Liebe zum klanglichen Detail finden ein ideales Gegenüber in den kreativen Impulsen, die Bergmann den 88 Tasten entlockt, mal fragmentarisch karg, dann wieder lyrisch, fast schwelgend in wundersamem Feingefühl. Mehr als eine Momentaufnahme!
Tobias Böcker

Chick Corea – Stefano Bollani: Orvieto
ECM 2222 2779692
Stefano Bollani: BIGBAND!
Verve 0602527720821

Das Spiel im Duo, vor allem Klavierduos, hat bei Chick Corea mittlerweile eine jahrzehnte lange Tradition. Ob gemeinsam mit Economou (endlich auch auf CD erhältlich), Hancock, Gulda oder Rubalcaba, der Hörer bekommt die Gelegenheit, zwei Meistern zu lauschen, die sich nicht miteinander messen, sondern kommunizieren, und dies gelingt zweifellos am besten live. So geschehen beim Umbria Jazz Winter Festival 2010 bei einem Treffen Coreas mit dem italienischen Pianisten Stefano Bollani. Die beiden spielten sowohl Coreas „Armandos Rhumba“ als auch Bollanis „A Valsa Da Paula“. Ansonsten spickten sie ihr Programm mit gemeinsamen Improvisationen oder superben Klassikern wie Fats Wallers „Jitterburg Waltz“, Miles „Nardis“ oder anderen nie langweilig werdenden Klassikern. Die CD „Orvieto“ ist die erste Veröffentlichung der Begegnung Corea-Bollani und eine großartige dazu. Beeindruckend, mit welcher Leichtigkeit und Witz die beiden pointiert spielen und es gelingt, den Zuhörer mit Ihrer Konversation an 176 Tasten uneingeschränkt in Bann zu ziehen. Ein weiterer spannender Ausflug Bollanis, diesmal ins Bigband-Gefilde zusammen mit der NDR Bigband, ist ebenfalls gerade auf CD erschienen. Wiederum besticht Bollani hier mit erfrischend cleverem Spiel im Umgang mit seinen von Geir Lysne für Bigband arrangierten Kompositionen. Beide Aufnahmen zeigen Bollani von einer besonderen Seite und zeugen von der Lebendigkeit des Duos und den vielseitigen Möglichkeiten einer Bigbandaufnahme. Spannend!
Thomas J. Krebs

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