Anzeige |
|
|
Anzeige |
|
Christian Broecking, Der Marsalis-Komplex. Studien zur gesellschaftlichen
Relevanz des afroamerikanischen Jazz zwischen 1992 und 2007, Broecking
Verlag, Berlin 2011, 216 Seiten In seinen „Studien zur gesellschaftlichen Relevanz des afroamerikanischen Jazz zwischen 1992 und 2007“ fragt Christian Broecking nach der „widerständigen Wirkung des schwarzen Jazz“ und ob er Ausdruck einer Black Community sei. Der Berliner Publizist hinterfragt zunächst die Protestfunktion des Jazz, wobei er einleitend die berühmte Berendt-Adorno-Debatte von 1953 „mit aktuellen Positionen konfrontiert“. Im Grunde geht es um Fortsetzung der Marsalis-Debatte, die der Autor bereits 1995 darstellte. Damals beklagten Wynton Marasalis und seine beiden Vordenker Stanley Crouch und Albert Murray den Verfall tradierter Jazz-Werte, womit sie neokonservative Trends auslösten. Deren Bilanz soll nun in dieser neuen Studie „Der Marsalis-Komplex“ gezogen werden. Dafür wurden in zwei Schritten 18 Interviews auf ihre jeweiligen Kernaussagen reduziert, um sie vergleichbar zu machen und in verschiedene Kategorien einzuteilen. Wenn man sich durch die nicht immer leicht zu lesenden soziologischen Formulierungen durchgekämpft hat, wird man mit der luziden Darstellung der Ergebnisse belohnt. Nachdem beide Fraktionen zu Wort gekommen sind, hier der smarte Marsalis, der Jazz über Elemente wie Swing, Blues und Soul definiert, dort die entschiedenen Gegner einer entgegengesetzten Ästhetik, steht fest, dass die gesellschaftliche und kulturelle Utopie eines neotraditionellen Aufbruchs eine Legende ist. Drei Grundcharaktere haben sich herausgebildet: die essentialistische Haltung, die jegliche Integration ablehnt und auf radikalen schwarzen Protest setzt, wird von Amiri Baraka vertreten. Marsalis hingegen begreift den Blues als Metapher afroamerikanischer Erfahrung. Sie gilt es zu institutionalisiern, Jazz wird zum Kulturgut. Die dritte Haltung schließlich, beschrieben als „transideomatisch“, zielt auf Fortschritt und Erneuerung. Insgesamt wird die Black Community als zu eng empfunden, denn Jazzmusiker sind „Kosmopoliten“. Jazz ist eine höchst individuelle Angelegenheit, aber auch eine progressive Kraft, „die Veränderungen repräsentiert“. „Die Hoffnung auf Rückeroberung der gesellschaftlichen Wirksamkeit des afroamerikanischen Jazz hat sich mit der Institutionalierung durch die Hochkultur nicht erfüllt“, lautet Broeckings Bilanz. In einem weiteren Buch von Broecking sind erstmals alle Interviews versammelt, die er bislang in drei kleinen Bänden veröffentlicht hat. 40 aussagekräftige Gespräche zeichnen ein facettenreiches Bild der „Fire Music“. Nach einem markanten Album Archie Shepps benannt, wurde sie zum Synonym einer Bewegung, die als Free Jazz in die Geschichte einging. Dessen epochalen Aufnahmen verschreckten, weil sie sich dem Entertainment widersetzten. Die damaligen Protagonisten wie Ornette Coleman, Sam Rivers oder Sonny Rollins kommen nun ausführlich zu Wort. „Bei denen, die überlebten, hat sich der Kampf gegen den Mainstream tief in den Gesichtern eingegerbt“. Reiner Kobe |
|