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The Ultimate Jazz Archive Diese 52-CD-Box mit dem vielversprechenden Titel ist allenthalben für einen niedrigen zweistelligen Betrag zu erstehen und nicht mit der älteren 168-CD-Box gleichen Namens zu verwechseln. Was verbirgt sich dahinter? Von 50 CDs mit Aufnahmen, die älter als 50 Jahre sind, ist jeder Silberling einer Künstlerpersönlichkeit gewidmet. Als Zugabe gibt es eine CD-Rom mit den nötigen Informationen und zwei Sampler mit modernen Aufnahmen aus dem Katalog der Labels, die von Membran vertrieben werden. So viel guten Jazz kann man für so wenig Geld in CD-Form kaum erwarten! Die Box wäre unschlagbar, wäre man bei der Zusammenstellung (laut Werbung „Resultat hervorragender Recherche“) planvoll vorgegangen. Die einzelnen Künstler werden nicht unbedingt mit „Best of“ beziehungsweise „Greatest Hits“ präsentiert, sondern meist mit irgendwelchen Aufnahmen. Mal führen obskure, mal weltbekannte Einspielungen in das Schaffen des Jazzers ein, zuweilen sind es typische, gelegentlich untypische Aufnahmen. Hier wird ein berühmtes Album eins zu eins übernommen, da ist es eine Mischung aus Alben. Wundert man sich zum Beispiel bei Billie Holiday, warum es ausgerechnet diese Aufnahmen sein mussten, so reiht sich bei Sarah Vaughan Juwel an Juwel. Trotz dieser Konzeptlosigkeit: Jeder Jazzfreund wird damit einige Tage lang (ähnlich einem Briefmarkensammler mit einer Wundertüte „1.000 Stück aus aller Welt“) freudige Entdeckungen machen. Mary Lou Williams Mary Lou Williams gilt als berühmteste Jazzpianistin, doch völlig abgesehen von ihrem Geschlecht oder ihrem Instrument war sie eine der größten Persönlichkeiten der Jazzgeschichte: als Komponistin, Arrangeurin, Bandleaderin, als für Zeitgenossen stets anregendes Stück lebendiger Jazzgeschichte. Sie war ihrer Zeit stets voraus: In den 20er-Jahren ehörte sie zu den Pionieren jener Musik, die man in den 30er-Jahren Swing nannte. In den 40er-Jahren nahm die Mitschöpferin des Kansas City Swing Partei für Bebop, und noch im Alter ließ sie sich noch auf manches Experiment ein. Sie war, wie Duke Ellington einmal treffend bemerkte, immer und ewig eine Zeitgenössin. Wer wäre berufener als sie gewesen, ein Album „A Keyboard History“ zu nennen und mit den Stücken von den Roots in die Gegenwart zu wandern – ohne je allzu weit weg vom Blues zu sein, in dem sie das heilende Element des Jazz sah. Das mit Wendell Marshall (b) und Osie Johnson (dr) 1955 eingespielte Album – hier mit dem im Vorjahr in Paris eingespielten Album „Mary Lou“ gekoppelt – ist nicht nur ein genialer Rückblick auf die bisherige Jazzklaviergeschichte und ihre bisherige Karriere, es war ihr vorübergehender Abschied vom Jazz. Während ihrer Europatournee hatte sie sich nämlich spontan so intensiv dem christlichen zugewandt, dass ihr weiterer Berufsweg erst einmal unklar war. Die „Keyboard History“ entstand nach langer innerer Einkehr. Dem Album folgten Jahre des Betens, Meditierens und Predigens. Dizzy Gillespie Octet feat. Benny Golson: The Greatest Trumpet Of Them
All Trotz eines Pressfehlers seines Exemplars empfiehlt der gerührte Rezensent vorbehaltlos dieses in Besetzung und Repertoire unytpische Gillespie-Album. Vermutlich, weil ein schlecht gewählter Titel unerfüllte Erwartungen auf virtuoses Feuerwek des Bebop-Königs mit den Froschbacken und der himmelwärts gebogenen Trompete schließen lässt, kommt dieses Album bei Kritikern eher schlecht weg. Und doch gelang Dizzy Gillespie (tp), Gigi Gryce (as), Benny Golson (ts), Pee Wee Moore (bs), Henry Coker (tb), Ray Bryant (dr), Tommy Bryant (p) und Charlie Persip (dr) 1957 ein Meisterwerk. Gillespie beschränkt sich auf die Rolle des primus inter pares, um sich ohne Clownerien und auf Sparflamme einer weniger hitzigen Ästhetik anzupassen. Er ist das i-Tüpfelchen eines glänzend arrangierten Klanggemäldes aus durchaus satten Pas- tellfarben, für das zwei große Arrangeure und Komponisten 1957 fast alle Songs beisteuerten: Golson („Blues After Dark“) und der unterschätzte, vergessene Gryce („Smoke Signals“). Das Resultat klingt in etwa so, als wäre das kurz darauf entstandene Jazztet (mit Gillespie an Stelle von Art Farmer), gestützt vom Bryant Trio zum Miniatur-Orchester angeschwollen, um mit der Hilfe einer klangfarblichen Raffinesse, die beim Miles Davis Nonet anknüpft, mitten in der hitzigen Hardbop-Ära eine Schönheitsfeier wonnig weicher, wohlig warmer Partituren zu veranstalten. Romantisch-impressionistischen… Wes Montgomery Als er einmal Charlie Christian hörte, legte sich Wes Montgomery eine Gitarre zu und brachte sich selbst bei, darauf zu jazzen. Weil er, wie seine Frau ihm versicherte, zu laut war, verzog er sich in eine Ecke und vertauschte das übliche Plektrum mit seinem legendären Daumen. So entwickelte er autodidaktisch eine Spielweise, die ebenso „technisch unmöglich“ ist und doch verblüffend funktioniert. Montgomerys eindrucksvolle Oktavläufe werden heute noch gerne abgekupfert. Erstaunlicherweise blieb er – sieht man von einer kurzen Zeit bei Hampton ab – bis in die späten 50er-Jahre Fabrikarbeiter, der nur nach Dienstschluss in seiner Heimatstadt Indianapolis auftrat. Seine Aufnahmen für Riverside (1959–63) sind der Höhepunkt seines Schaffens. Allerdings scheint ihm kompromissloses Jazzen so wenig eingebracht zu haben, dass er nach dem Bank- rott des Labels ernsthaft in Erwägung zog, wieder in der Fabrik zu arbeiten. Die Rettung des siebenfachen Familienvaters kam in der Gestalt von Creed Taylor, der ihn mit Instrumentalfassungen von Pop- hits lancierte. Die hier (abgesehen von weniger bekannten alternate takes) vereinten Alben für Verve (1964–66) haben zwar überwiegend kommerziellen Charakter, doch gelang es Arrangeuren wie Oliver Nelson, Don Sebesky und Claus Ogerman Montgomery goldene Käfige zu basteln, in denen des gefangenen Jazzvogels Gesang immer noch zur Geltung kommt. Horst Jankowski Quartet 1971 Dass Alben aus der „guten alten Zeit“ nicht nur auf CD, sondern auch in ursprünglicher LP-Form wieder erhältlich sind, ist längst wieder eine Selbstverständlichkeit. Ein recht neuer Trend hingegen ist, dass auch Erstveröffentlichungen nur noch auf Vinyl und zum Download angeboten werden. HGBS könnte dafür zum Trendsetter werden, so wie sein Vorgängerlabel MPS in den 70er-Jahren schon Standards setzte, vor allem dafür, wie ein Jazzklavier auf LP zu klingen habe. Doch nicht alles, was der legendäre Tonmeis- ter Georg Brunner-Schwer damals produzierte, erschien seinerzeit. „Swinging Explosion“, ein etwas weniger kommerzielles Album des einst in der Fernsehunterhaltung sehr präsenten Berliner Pianisten Horst Jankowski, erschien nun posthum aus Anlass von dessen 75. Geburtstag. Es atmet ganz das Flair jener Jahre: An Peterson geschulter moderner Swing, funkig und poppig durchsetzt, technisch versiert und hinreichend originell – „How High The Moon“ wird schon mal gegen den Strich, ja absichtsvoll gegen den Swing gebürstet. Man ahnt, warum das mit Sigi Schwab (g), Hans Rettenbacher (b) und Lala Kovacec (dr) 1971 eingespielte Album vierzig Jahre warten musste: In jenen Tagen gingen Tastenmagiere wie Peterson, Hines, Garland, Alexander, Hanna und Garner bei MPS ein und aus, neben denen Jankowski (immerhin mit zwei anderen LPs 1970 und 71 im MPS-Katalog vertreten) sich ausnimmt wie ein immerhin sehr guter Zauberlehrling. Marcus A. Woelfle |
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