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Fünfzehn Landesjugendjazzorchester gibt es in Deutschland. Jedes hat dabei sein eigenes Profil, doch das Jugend-Jazzorchester Sachsen hat mehr. Es hat mit Eberhard Weise und Henry Walther zwei Musiker als Dozenten, die die Jazzgeschichte in Sachsen und der DDR seit den 50er-Jahren maßgeblich mitbestimmten. 1993 gründete der Landesmusikrat Sachsen auf Initiative von Manfred Kebsch sein Jugend-Jazzorchester. Eberhard Weise hatte die Leitung des jungen Ensembles von der ersten Stunde an inne, bis er sie im Jahr 2001 an seinen Nachfolger Manfred Kebsch abgab. Posaunist Henry Walther, der ebenfalls von Beginn an dabei war, ist noch heute als Dozent für den Bläsersatz tätig.
Wenn das Jugend-Jazzorchester Sachsen und sein Träger, der Sächsische Musikrat, jetzt das zehnjährige Bestehen der Big Band mit einer CD-Sonderedition feiern, dann ist das eine Bestandsaufnahme von zehn Jahren intensiver, erfolgreicher Jazz-Förderarbeit und außerdem Präsentation der besten Nachwuchsjazzer aus den Reihen des Ensembles. Vor allem aber ist es eine Hommage an Henry Walther und Eberhard Weise. Für die Jubiläumskonzerte, die Anfang 2002 in Leipzig, Dresden und Chemnitz gespielt wurden, luden die beiden Grandseigneurs der sächsischen Jazzszene die besten „Ehemaligen“ ein. So ist es kein Wunder, wenn die Live-Mitschnitte, die während dieser Konzerte entstanden, nicht nur vor Spielfreude sprühen – denn das tun eigentlich alle Jugendjazzorchester-Konzerte – sondern zur gleichen Zeit durch ihre Perfektion und Musikalität bestechen. Weise sieht seine „Ehemaligen” längst nicht mehr in der Studentenrolle: „Viele Kollegen sind aufgrund ihres Alters schon seit fünf oder sechs Jahren raus aus dem Jugend-Jazzorchester. Dass wir uns jetzt als Profis und Kollegen für dieses Projekt wiedersehen konnten, war eine wunderbare Sache.“ Schon die Titel verraten, dass hier nicht ein sattsam bekanntes Potpourri aus Neal Hefti- und Oliver Nelson-Arrangements geboten wird. Beinahe alle Arrangements tragen die Handschrift von Weise, drei der zehn hat Posaunist Walther für die Band eingerichtet. Eigene Kompositionen wie „Warme Miete“, „Kapellenstraße“, „Lyrischer Herbs“ und „Spielspaß“ weisen auf die hier dargebotene besondere Variante des deutschen Jazz hin – eingebettet zwischen „Easy to love“ von Cole Porter oder „What now my love“ von Gilbert Becaud. Auf den Hinter- oder Tiefsinn der Titel angesprochen, winken sowohl Weise als auch Walther ab, Programmatisches hatten sie nicht im Sinn. „Zuerst kommt die Musik, dann der Titel.“ Weise verrät nur: „In der Kapellenstraße, da wohnt ein guter Freund von mir.“
Auch die anderen Arrangements von Walther oder Weise klingen zeitgemäß wie eh und je. Beide konnten natürlich auch aus einem riesigen Fundus schöpfen. Weise nennt beeindruckende Zahlen: „Etwa 3.000 Arrangements habe ich in der Zeit als Leiter des Rundfunktanzorchesters Leipzig und des Jugend-Jazzorchesters Sachsen geschrieben, eigene Stücke sind etwa 1.000 darunter.! Auch Walthers musikalische Materialsammlung ist enorm: „Ich habe insgesamt ein paar hundert Titel für das Rundfunktanzorchester Leipzig geschrieben. Davon sind drei auf dieser CD.“ Angesichts dieser reichen „Materiallage“ nimmt es nicht Wunder, wenn die Aufnahmen mit dem Jugend-Jazzorchester „einen sächsischen Touch“ haben.An diesem Drang zum Arrangieren und Komponieren waren zwei Faktoren maßgeblich beteiligt: In erster Linie der künstlerische, unfreiwillig half aber auch die Devisenschwäche der DDR mit, dass die Jazz-Produktivität in Sachsen hoch war. Laut Gesetz mussten außerdem 60 Prozent DDR-Kompositionen und 40 Prozent erlaubtes Westmaterial gespielt werden. Dazu Eberhard Weise: „Wir konnten nur einen bestimmten Anteil an westlichen Titeln spielen und aufnehmen und waren mehr oder weniger gezwungen, selber etwas zu erfinden.“
Sowohl Eberhard Weise als auch Henry Walther waren zu Beginn der 50er-Jahre in klassischen Orchestern tätig, der Eine als Posaunist am Theater in Güstrow und der Andere als Bratschist am Theater in Rostock. Doch Jazz zu spielen, war den Künstlern wichtiger als ein sicherer Posten. Beide trugen maßgeblich dazu bei, dem Jazz einen Platz in der DDR-Kulturlandschaft zu erkämpfen. Damals mussten die Jazzer gegen die Doktrin „Jazz ist Musik des Klassenfeindes“ anspielen und hatten dadurch den Gestus von Freiheit und Widerständigkeit. In diesen Tagen erlebt der Swing der großen Big Bands wieder eine Renaissance. Worin liegt heute die Beliebtheit? „Dass sich das nach so vielen Jahrzehnten wiederholt, dafür habe ich keine Erklärung.“ Dennoch steht man in einer Tradition: „Nach dem Kriegsende gab es zumindest in Sachsen, wenn nicht in ganz Deutschland unheimlich viele Big Bands. Allein in Ostsachsen gab es zehn Stück. Da gab es kein Fernsehen, da wurde live in den Tanzsälen gespielt.“ Diese swingende Tradition weitergeführt zu haben, am Leben erhalten zu haben, das ist das Verdienst Eberhard Weises. Henry Walther kommentiert: „Ende der 60er sind wir von den Freejazzern verlacht worden, weil wir traditionell weitergespielt haben. Heute spielen die jungen Jazzer wieder in der Richtung, die populär war, als wir jung waren.“ Während heute in Leipzig und Dresden vor allem Swing und Mainstream gespielt werden (die Avantgarde trifft sich inzwischen wieder in Berlin), entstand hier in den 70er und 80ern der DDR-Freejazz: mit Uli Gumpert, Conny Bauer, Ernst-Ludwig Petrowsky, Günther „Baby“ Sommer, Joachim Kühn und: Uschi Brüning! Die Sängerin aus Leipzig war damals – meist mit Petrowsky – sehr experimentierfreudig, vergaß dabei aber nie ihre Wurzeln. Die lagen im literarischen Chanson, im Blues, im Swing - und im mächtigen Drive der Big Bands. Unter Eberhard Weises Leitung hatte sie schon Platten mit Big Band aufgenommen. So ist es kein Zufall, dass gerade Uschi Brüning als Solistin zur vorliegenden Aufnahme eingeladen wurde. Sie fühlt sich heimisch im Sound und in den Grooves von Weise und Walther – und ihre Version des „Stormy Monday Blues“ geht noch immer unter die Haut. Eberhard Weise und Henry Walther lernten sich 1956 kennen. Die Leidenschaft
für den Jazz führte sie damals zusammen, seither sind ihre Biografien
eng verknüpft. 1958 bis 1959 war Walther im Orchester Eberhard Weise,
damals unter anderem mit Ernst-Ludwig Petrowsky (sax), Ulrich Türkowsky
(b), Richard Bergmann (tb), Wolf Hudalla (bsax), Wolfgang Schönfeld
(tp), Günter Kloß (ts) und Christian Stäber (dr). Alles
Enthusiasten, die ihre sicheren Engagements sausen ließen, um Jazz
zu spielen. In dieser langen Zeit der gemeinsamen Arbeit entwickelte sich zwischen dem Pianisten und dem Posaunisten eine enge musikalische und persönliche Freundschaft, die auf gegenseitiger Wertschätzung beruhte. Die demnächst erscheinende CD dokumentiert die künstlerische Begegnung einer jungen Generation von Jazzern mit dem „Team Weise und Walther”, die die Entwicklung ihrer ehemaligen Zöglinge eine Zeit lang durch ihren ganz spezifischen „sächsischen Touch” mit geprägt haben. Man darf gespannt sein, was die jetzt auf die Szene drängende Generation aus diesem Erbe macht. Andreas Kolb
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