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Vor zehn Jahren endet in Berlin die Nachwendezeit. Kenner beobachten mit Bedauern den Niedergang der halblegalen Clubkultur, die in Mitte, Friedrichshain und Prenzlauer Berg jahrelang den explosiven Boom der Musik- und Kunstszene befeuert hat. Die Kunstfabrik Schlot ist ein Musterbeispiel für den Typ Hinterhofkneipe, der ohne Lizenz, aber mit umso mehr Verve Live-Musik in Berlin neu etabliert und binnen kürzester Zeit Kultcharakter erntet. Die schöne Zeit ist vorbei, als das Wirtschaftsamt 1996 beschließt, keine weitere Veranstaltungsgastronomie in der Kastanienallee 29 zu dulden. Die Betreiber, John Kunkeler und Stefan Berker, riskieren den Auszug und einen Neubeginn – wie viele andere ihrer „Gründergeneration 89–93“ (Soda-Club, Kalkscheune, Maria am Ostbahnhof usw.) belohnen sie sich inzwischen mit neuen Dimensionen des persönlichen Erfolgs.
John Kunkeler und Stefan Berker arbeiten in Arbeitsteilung. Kunkeler ist verantwortlich für Cabaret und Gastronomie, Berker für Jazz und Public Relations. Schnell hat das Schlot ein paar Dauerbrenner im Programm: Die Montagsession läuft ununterbrochen, seit Georg Pfister 1993 mit der Berliner Bebop-Bande einzieht, das Mittwochsfazit füllt seit 1996 regelmäßig die inzwischen stark vergrößerte Location. Der Umzug in die Edison-Höfe (Chausseestr. 18) in Mitte ist mit Träumen, mehr noch mit Blut, Schweiß und Tränen verbunden. Inmitten einer gigantischen Dauerbaustelle gräbt sich das neue Schlot in den atmosphärisch ausgeleuchteten Keller, bedeckt von einer täglich frischen Schicht aus Mörtel und Farbspritzern. Andere würden die Nerven verlieren. Wer das Schlot sucht, findet über Jahre stets neue und mit Planen ausgewiesene labyrinthische Zugangswege über das eingerüstete Großprojekt nahe der Charité. Doch Kunkeler und Berker trotzen den Widrigkeiten mit immer neuen Ideen für die Kunstfabrik. Für ihre Jazzveranstaltungen beispielsweise kooperieren sie mit diversen Kulturinstituten, die dem Schlot bei der Verpflichtung von tschechischen, polnischen, italienischen und holländischen Künstlern unter die Arme greifen. Regelmäßig werden Veranstaltungen der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Form von Abschlusskonzerten und Auftritten der Professoren Jiggs Whigham oder Judy Niemack durchgeführt. Auch die Landesmusikakademie Berlin ist gerne Partner des Schlot. Einen Großteil der Konzerte bestreitet noch immer die Berliner Szene. Berker und Kunkeler nennen ihre Musikauswahl „qualitätsvollen, groovigen, swingenden Jazz – anstatt kopflastiger oder esoterischer Musik“. Tatsächlich glauben beide nicht an den kommerziellen Wert der starken Berliner Avantgarde und vertrauen weiter dem Mainstream. Rolf von Nordenskjöld spielt regelmäßig Sonntags mit seiner eigenen Big Band und führt mit BRANDTicity das Erbe der Jazzlegende Helmut Brandt fort. Kinder und Jugendliche werden mit den Veranstaltungen „Jazz for Kids“ und „Jazz for Youngsters“ angesprochen. Trotz konjunkturbedingter Vermietungsprobleme hofft das Schlot fest auf die baldige Fertigstellung der Edisonhöfe. Wenn das Brasilianische Kulturinstitut und die Fachbereiche Afrikanistik und Sinologie dort wie geplant ihre Räume beziehen, legt das Schlot neue Konzertreihen auf, die den Clubschornstein möglichst weit sichtbar rauchen lassen. Bis dahin wird erst mal das Cabaretprogramm überholt und Jubiläum gefeiert (Stefan Berker sitzt beim Son y Salsa Club Orchestra selbst am Klavier). Denn Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Al Weckert
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