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John Scofield will das beste beider Welten. Die Fans vor der Bühne glauben fest daran und notieren aufmerksam die Schaltungen der Pedaleffekte. Überhaupt: Wenn etwas an diesem heißen Frühsommerabend im Berliner Quasimodo abnervt, dann sind es die jungen und alten Fachmänner, die den Blick auf die wenigen leger bekleideten Tänzerinnen verstellen. Scofield ist funky wie die Hölle und was machen diese Typen? Sie glotzen ihm auf die Finger, anstatt einzusteigen, so wie Scofields junge Begleittruppe. Hier und heute Nacht trifft die alte Schule handgemacht geiler Musik auf höchstem Niveau eine rotznäsige Equipe voller Technologie und High-End-Beats. So was braucht man nicht besitzen, so darf man nicht begaffen, zu so was muss man seinen Arsch bewegen, bitteschön. Scofield hat sich mit wissenschaftlicher Würde von Steifheit und Vorbehalt verabschiedet. Er macht Musik wie ein Jugendlicher auf dem Level eines Alten. Manchmal wirkt sein Funk – die Türsteherin gibt ihm 7-8 Punkte auf der Richterskala – wegen des vollständigen Verzichts auf das klassische Entertainment der 70er Jahre ein wenig eintönig, denn Scofield, der Professor, wird niemals krass. Schade eigentlich. Gelegentlich knistert die Luft derart, dass man Sco gerne ausflippen sehen möchte. In diesen Momenten springt seine Band mit vollem Enthusiasmus ein. Die fleißigen Kellnerinnen des Quasimodo tun das ihre, um das Publikum anzutörnen. Hier spult niemand seine Greatest Hits ab und keiner ruht sich auf seinen Lorbeeren aus. Gespielt wird das Programm der neuen Platte „Up All Night“, gespickt voll mit Bluespower und Afrosound, gepitcht mit dem Wissen der HipHop-Generation. Andy Hess erinnert verrückterweise in seiner Haltung und der druckvollen Spielweise an amerikanische Hardcore-Bassisten, er steuert das Konzert mit heftigem Lauf und knackigem Puls. Adam Deitch wiederum repräsentiert mit Basecap, Ziegenbart und 10-inch Snaredrum die scharf scheppernde Spielweise des Dancefloors, in ewiger Nachfolge des Teufelsschlagzeugers Ziggy Modeliste. Gitarrist Avi Bortnick braucht sich mit seinen stilsicheren, trockenen Riffs sicher nicht zu verstecken, doch tanzt er mit respektvollem Blick auf den Leader bescheiden um die Sampler-Zentrale vor seiner Brust herum. Er schaut, aber er steht nicht still. Er sampelt, aber er erstarrt nicht. Sie alle sind begeisterter Teil der Wüstenpredigt und Scofield schüttelt den Staub aus seinen Gliedern. Tatsächlich ist es um Mitternacht im Quasimodo so heiß wie in der Mohava, die Kellnerin muss zu jedem Bier ein Wasser stellen. John Scofield, hellwach, setzt den berühmt-berüchtigten entrückten Blick unter seine Mönchsfrisur und lässt mit nicht enden wollenden Akkordfolgen die Erde erzittern. Die Band packt mit „Boozer“ den Hit der Vorgänger-CD „A Go Go“ zwischen das neue Material. Ein Schrei im Publikum löst hier wie dort letzte Anspannung und die Band klingt jetzt richtig sexy. Dann überlässt Scofield das Konzert der Zufälligkeit, die Band beginnt improvisierte Sample-Schleifen der Gitarren aufzutürmen und nach Lust und Laune darüber zu jammen. Zeit genug, um anschließend mit lockeren Knochen in die Berliner Nacht einzutauchen. Die alte Großstadt ist zu lebendig, um früh ins Bett zu gehen. Al Weckert |
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