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Die zwanzig gleichzeitig vorgelegten Bände der neu gemasterten, aber kaum anders als zuvor klingenden Mitschnitte von den Montreux-Jazzfestivals 1975 und 1977 enthalten noch nicht einmal alle Konzerte - ich erinnere mich etwa an Platten mit dem Tommy-Flanagan-Trio und von Oscar Peterson mit zwei Bassisten. Aus dieser Flut zwar personell unwiederbringlicher, doch musikalisch nicht immer denkwürdiger Sets sticht Joe Pass’ einsames Meisterwerk aus dem Jahre ’75 hervor; nicht einmal sein bluesiger 1977er-Auftritt kann mit ihm verglichen werden, denn die niemals auszuschöpfende Welt der Standards lag Pass spürbar näher. Es ist Norman Granz wohl weitgehend als persönliches Verdienst anzurechnen, dass das Genie des Gitarristen nicht nur von einer breiten Öffentlichkeit bemerkt, sondern seit „Virtuoso“ (1973) auch ausgiebig für die Nachwelt dokumentiert wurde. Sangesfreunde lernten ihn als späten Begleiter Ellas schätzen, Gitarrenfreaks konnten es nicht fassen, dass ein Jazzer auf nur sechs Saiten ein ganzes Konzert bestreiten kann, indem er nicht nur einen faszinierenden Solochorus nach dem anderen abliefert, sondern sich dazu auch noch so vielseitig begleitet, dass es einen vor lauter Swing kaum auf der Stuhlkante hält. Das war natürlich nur denkbar, indem Pass das sonst von Akustik-Gitarristen gepflegte Fingerpicking auf die elektrische Gitarre übertrug, die – von Wes Montgomerys berühmtem Daumen abgesehen – bis dahin mit dem Plektrum gezupft wurde. Doch selbst dann brauchte er, auch dank der harmonischen Fantasie seiner Akkorde, die meiste Zeit nicht mehrstimmig zu spielen – viele der Linien implizierte er eher, als dass sie wirklich erklangen. Aber der Effekt ist trotzdem frappierend – auch wenn er „nur“ auf einem kleinen Frage-Antwort-Spiel beruht. Schade, dass die zwischendurch eingestreute Reihe privater Vignetten, die Claude Nobs (den Leiter des Festivals) sowie die Damen „Nina“, „Grete“ und „Alison“ porträtieren, unvollständig bleibt: Letztere kann man nach wie vor nur mit der „Montreux Collection“ (PCD20 5306-2) erwerben. Joe Pass, der sich sonst nur selten außerhalb von Solo- bis Trio-Kleinformaten hören ließ, war im selben Jahrgang auch noch als Sideman zu hören: Was unter der Flagge einer merkwürdig besetzten „Oscar Peterson Big 6“ segelt, könnte ebenso gut den Namen der fünf anderen Beteiligten tragen, denn Leader – wie bei jeder anständigen Jam Session – ist keiner, oder derjenige, welcher gerade mit seinem Solo dran ist. Wo hört man sonst schon Charlie Parkers „Au Privave“ auf einer Mundharmonika geblasen? Und keine Trompete weit und breit! Doch mit Toots Thielemans als einzigem Bläser hören die Merkwürdigkeiten noch nicht auf: Diese ziemlich einmalige Frontline komplettiert Milt Jackson auf der Höhe seines Könnens; er bürgt für die Bebop-Authentizität. Peterson selbst sprüht vor Spiellaune, und da er hier nichts beweisen muss, hinterlassen seine fröhlichen Solochorusse einen griffigen Eindruck. Aber vielleicht fiel es ihm in Gesellschaft von Großmeistern ihres Instruments wie Niels-Henning Ørsted Pedersen am Bass und dem inzwischen ein wenig in Vergessenheit geratenen Louis Bellson am Schlagzeug auch besonders leicht, die Musik für sich sprechen zu lassen (es gibt nur gegen Ende ein knappes Schlagzeugsolo). Die viertelstündige Ballade „Poor Butterfly“ und der abschließende, petersongerecht überschäumende „Reunion Blues“ betonen das schlafwandlerische musikalische Einvernehmen dieser Ad-hoc-Besetzung, von der ein weiterer, noch schnellerer Titel („Woody’n You“) nur auf der erwähnten „Montreux Collection“ enthalten ist. Dort findet sich auch Petersons zündende Soloeinlage über Ray Bryants „Cubano Chant“. Ebenfalls 1975 entstand Bill Evans’ drittes in Montreux aufgenommenes Album. Es war zugleich sein zweites auf Platte dokumentiertes Duo mit seinem langjährigen Bassisten Eddie Gomez, dem Nachfahren Scott LaFaros und Vorgänger Marc Johnsons in seinem Trio. Leider wurde Gomez’ Beitrag alles andere als optimal eingefangen, und die zwei von der Vinylplatte aus Platzgründen fortgelassenen Titel fehlen ärgerlicherweise auch hier, obgleich sie in den „Complete Fantasy Recordings“ enthalten sind. Zu den Aktivposten dieser Aufnahme zählt, dass man durch die Abwesenheit eines Schlagzeugers Zeuge von Evans’ enormem Drive wird, der ein Rhythmusinstrument im Grunde überflüssig macht. Evans gelingt – ob auf dem Flügel oder dem E-Piano – der seltene Spagat, das Rubato der europäischen Romantik mit dem Swingfeeling des Jazz zu versöhnen: zum Gewinn beider. Mit einem geradezu Schubert’schen Stück wie dem verträumten, unendlich traurig-schönen „Minha“ scheint Evans zu suggerieren, dass das Paradies noch nicht völlig verloren ist: Uns Hörer lädt er dorthin ein, wo wir unseren verschütteten Sehnsüchten begegnen. Was konnte eigentlich näher liegen, als Count Basie, den Jam-Session-Veteranen, in den Kontext zu stellen, aus dessen reichem Nährboden über vierzig Jahre zuvor der Kansas-City-Swing spross? Damals war der junge William Basie Pianist in der letzten Ausgabe des Orchesters von Bennie Moten, aus dessen Überresten sich dann in New York das erste Basie-Orchester formierte. Doch nicht immer erschienen die Teilnehmer einer Jam Session, die einst zu Beginn noch gar nicht feststanden, derart gut vorbereitet wie 1977: Basie hatte im Vorfeld dafür gesorgt, dass – bis auf den eröffnenden Blues zum Warmspielen – kein Stück ausuferte und jeder sein Solofeature bekam, sogar er selber, der sich gar nicht gerne ins Scheinwerferlicht rückte: Das macht seinen auf die Essenz reduzierten „Trio Blues“ mit Ray Brown und Jimmie Smith umso kostbarer. Benny Carter, Roy Eldridge und Zoot Sims, sonst kaum einmal gemeinsam zu hören, ergänzen sich aufs Beste: Carter und Eldridge, beide in bestechender Form, waren so fest in ihren ureigenen, stilbildenden Idiomen verankert, dass sie den Bebop lässig ignorieren konnten. Sims’ warmer Tenorsound blieb von den Neuerungen zwar nicht unbeeindruckt, leitet sich aber direkt von Lester Young her, der einst bei Basie berühmt wurde. Daneben kommen die gestandenen Basieaner Vic Dickenson und Al Grey zum Zuge – im wahrsten Sinn des Wortes. Der „Freeport Jump“ vom gleichen Abend glänzt hier leider durch Abwesenheit. Obgleich er auf der CD locker Platz gefunden hätte, muss man sich zur Komplettierung „The Montreux Jam Sessions“ (OJC20 385-2) kaufen, einen Sampler, der damals nur erschienen war, weil die Spielzeit der LPs nicht ausreichte. Doch um diese zusätzlichen Titel an ihre ursprüngliche Stelle im Konzertablauf zu integrieren, hätte man für mehrere Montreux-CDs neue Masterbänder anfertigen müssen – was unterblieben ist. Ein weiterer Nachteil der Ausgabe: Beim Öffnen der Verschweißung fielen mir bereits die ersten Silberscheiben entgegen. Die in der Post abgebrochenen Kunststoffzacken, welche die CDs in den Digipaks festhalten sollten, kann man jedoch nicht ersetzen wie die Trays in den sogenannten Jewelboxen. So muss man zu Tesa greifen. Mátyás Kiss
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