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„Im Herbst sollte er nach Budapest kommen. Wir wollten eine CD aufnehmen, bei der Peter mitspielen würde. Das Studio war schon gebucht…“. Csaba Hajnoczy klingt niedergeschlagen, als er nach dem Konzert im Museum Ostdeutsche Galerie in Regensburg von seinen Plänen mit dem Bassisten Peter Kowald erzählt. Der hat sich sechs Tage zuvor, am 21. September, einem Samstag, in einer ziemlich lauten Stadt still und leise aus dieser Welt verabschiedet. In der New Yorker Wohnung seines Kollegen und Freundes William Parker, bei dem er für die Zeit einiger Konzerte lebte, war der Wuppertaler Bassist an einem Herzschlag gestorben. Auf den Tag genau 58 Jahre und fünf Monate vorher ist er in Masserberg in Thüringen geboren worden, mit einem Jahr aber schon an die Wupper gekommen. Heinz Grobmeier, der mit am Tisch sitzt, will nicht glauben was er hört. „Ja, aber…“, setzt der Reedspieler mehrmals an, schaut verwirrt von einem zum anderen. Istvan Grencso aus Budapest bestätigt bekümmert: „Yes, he´s dead…“. Er habe doch aber Kowald für eine Solomeditation in einem Kreuzgang einladen wollen, berichtet Grobmeier von eigenen Vorhaben. Gerade so, als könne sich das Gehörte doch noch als übler Scherz entpuppen. Er wird sich etwas anderes überlegen müssen. Kowalds wunderbar tiefes Brummen und sein kraftvoll-sinnliches und dynamisches Spiel auf dem Kontrabass, das wie ein spirituelles tibetisches Mantra keinen Zuhörenden je unberührt gelassen hat, kann künftig nur noch von Tonträgern nacherlebt werden.
Diese gibt es zahlreich. Peter Kowald war ein Globetrotter, ein Wanderer durch Länder und Kulturen. Den Instrumentensack auf den Rücken geschnallt, packte er den Kontrabass in Japan, Amerika und Griechenland, in der Schweiz und in Tuva/Sibirien, in der Türkei, Portugal und in Italien aus, lud Musiker und Musikerinnen ein mit ihm zu spielen oder lud sich selbst ein und spielte mit. Ein Ergebnis dieser rastlosen Weltdurchwanderung, die immer auch ein Näherkommen zu sich selbst war, ist das CD-Set „Duos Europa/America/Japan“, das zwischen 1984 und 1990 entstanden ist. Veröffentlicht sind die Begegnungen mit dem Klarinettisten Flores Floridis, der griechisch-amerikanischen Sängerin Diamanda Galas, Junka Handa und vielen anderen auf dem Berliner FMP-Label, an dessen Gründung Kowald 1969 mit beteiligt war. Noch etwas früher war er am Aufbruch in neues Terrain beteiligt, ein maßgeblicher Wegbereiter der improvisierten Musik. Zusammen mit Peter Brötzmann, Übervater des neuen freien Jazz, mit dem ihn eine 40-jährige Freundschaft verband, und Hans Reichel bildete Kowald den Wuppertaler Zirkel. Für Traditionalisten war dieser als elitär und hochnäsig empfundene Kreis lange Jahre ein beliebtes Feindbild bei der Verteidigung und Bewahrung des einzig guten, wahren und echten Jazz. Das ist – glücklicherweise – lange vorbei. Von den legendären Aufnahmen „For Adolphe Sax“ (mit Brötzmann und Sven-Ake Johansson) und „Machine Gun“ (1968) im Oktett mit Brötzmann hat sich Peter Kowald über das Globe Unity Orchestra, Kooperationen mit der Choreografin Pina Bausch, den japanischen Butohtänzern Kazuo Ohno und Min Tanaka und anderen Künstlern (A.R. Penck, Nam June Paik), Film- und Fernsehmusiken, durch Konzertreihen und die Organisation von Festivals und immer wieder auch durch die Zusammenarbeit mit Sängerinnen, von Jeanne Lee bis zu Sainkho Namtchylak aus Sibirien, Respekt und Anerkennung weit über die Grenzen der Jazzszene hinaus erworben. Der Von-der-Heydt-Preis seiner Heimatstadt Wuppertal, Stipendien des Landes Nordrhein-Westfalen und des DAAD, zuletzt der renommierte deutsche Jazzpreis „Albert-Mangelsdorff-Preis“ zeugen von hohem Ansehen. Mit seinem spektakulären Projekt „365 Tage am Ort“ setzte er Mitte der 90er Jahre erneut Maßstäbe. Ein Jahr lang bewegte er sich nicht weiter als im Umkreis einer Fahrradfahrt von zu Hause weg, arbeitete und spielte mit hundert Künstlern unterschiedlichster Sparten für Freunde und die Bewohner seines Viertels. Eine Dokumentation des künstlerisch, ökologisch und sozial eindrucksvollen Projektes ist im Kölner Verlag Walter König erschienen. Kowald suchte Grenzen neu zu stecken. Anfänglich indem er konventionelle Formen hinter sich ließ und Verbündete auf der ganzen Welt fand. Dabei stieß er auf eine Vielschichtigkeit und Vielgestaltigkeit, die sich in eigener Weise wieder in seiner Musik findet. Später indem er sich konzentrierte und zurückkehrte. „So viel steht zur Verfügung“, zeigte sich Kowald dankbar für Erfahrungen und Eindrücke, „und ich versuche, zu begreifen und zu fassen, zu nutzen und zu lassen: Ich nehme, was da ist.“ Neben den Klängen bleiben Bilder haften. Von Kowalds glatt rasiertem Schädel, wie er tief gebeugt über dem Bass hängt, wie er mit seinem Instrument verwachsen scheint. Bilder, die in meinem Gedächtnis bleiben, wie sein schamanenhaftes Brummen und sein oft unbequemes Spiel in meinen Ohren. Michael Scheiner
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