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Wahre Jazzfans haben alljährlich Ende September/Anfang Oktober einen festen Termin im Kalender stehen, der alle anderen in die Kategorie „entbehrlich“ verschiebt. Der Grund dafür ist plausibel: die Leipziger Jazztage. Das Festival, das den zeitgenössischen Jazz in den Mittelpunkt stellt und von sich behaupten kann das bedeutendste ostdeutsche Jazzfestival zu sein, fand in diesem Jahr bereits zum 26. Mal statt. Hatten die „Macher“ der Jazztage, allen voran der künstlerische Leiter Bert Noglik, in Vorwendezeiten mit Repressalien durch die sozialistischen Diktatur zu kämpfen, so haben sich derartige Schwerpunkte heute etwas verlagert: in den Finanzierungsbereich. Doch trotz einer Mittelkürzung von 15 Prozent (36.000 Euro), bedingt durch diverse sächsische Haushaltsperren, konnten alle geplanten Projekte verwirklicht werden. Und so konnte das wie immer aufwendig gestaltete Programmheft 16 Konzerte verzeichnen, die in der Leipziger Oper, dem Studentenclub „Moritzbastei“, dem Szenetreff „naTo“ und im – für Raum-Klang-Projekte besonders geeigneten – Völkerschlachtdenkmal zu erleben waren. Auch Leipzigs Musikschule J.S. Bach stellte sich erstmalig für das schon traditionelle Kinder-Jazz-Projekt zur Verfügung. Hier demonstrierten die Musiker um den Schlagzeuger Wolfram Dix und der Steptänzer Sebastian Weber dem Nachwuchs auf spielerische Weise Spezifika und Geschichte des Jazz.
Doch zurück zum Anfang: Bereits zum Eröffnungskonzert in der „Moritzbastei“ mit dem aus Nordafrika stammenden und in Paris lebenden Percussionisten Karim Ziad spürte man, dass die fließenden Grenzen zwischen Jazz, Rock und Weltmusik auch im diesjährigen Programm wieder ihren festen Platz haben. Und Bert Noglik versprach gleich zu Beginn „Weltmusik, aber keine Allerweltsmusik“. Was der begnadete Saxophonist Charlie Mariano (79) und der spanische Gitarrist Quique Sinesi auch gleich im ersten Konzertteil in der Leipziger Oper auf besonders meditative Weise bekräftigten. (siehe auch Beitrag von M. Creutziger, S. 3!) Substanziellen globalen Problemen war das alljährlich stattfindende Projekt gewidmet, das speziell für die Leipziger Jazztage entwickelt und von der Bundeszentrale für politische Bildung unterstützt wurde. Für das Projekt konnte der englische Schlagzeuger Chris Cutler gewonnen werden, der insbesondere seit dem Kossovo-Krieg politisches Engagement zeigt. Der Krieg in Ex-Jugoslawien war für ihn Anlass, zur Feder zu greifen und somit sein künstlerisches Ausdrucksvermögen um ein Genre zu erweitern. Er schrieb Gedichte über Zivilisten, die aufgrund willkürlicher Gewalt unschuldig um ihr Leben gebracht wurden, hungern oder leiden mussten. Die Gedichte standen im Mittelpunkt des Projektes und wurden von Cutlers Mitstreitern musikalisch umgesetzt. Diese waren der aus Jugoslawien stammende Pianist Stevan Tickmayer, die drei Sängerinnen Jewlia Eisenberg, Marika Hughes, Ganda Suthivarikom und die amerikanische Pedal-Steel-Guitar-Spielerin Susan Alcorn. In den Gesängen spiegelten sich Einflüsse des Balkan, von Spirituals oder der Minimal-Music wider und vermischten sich, oft dissonant, mit der etwas schwer verdaulichen Live-Elektronik. Die verunsicherten Konzertbesucher wurden jedoch am gleichen Abend im dritten Teil des Konzerts mit Hilfe der Spitzenmusiker um den Saxophonisten Bob Malach versöhnt. Der Schlagzeuger Alphonse Mouzon, der Pianist Jasper van’t Hof und der Geiger Michael Urbaniak bewiesen gemeinsam mit Malach in der Formation „Together Again“, dass sie immer noch „Just Friends“ sind. Unter dieser Bezeichnung machten sie bereits vor zehn Jahren Furore und fanden sich jetzt wieder zusammen. Das einzige, was den Freunden fehlte, war ein fundamentaler Bass. Für den Pianisten Richie Beirach war der Auftritt ein Heimspiel. Der Amerikaner lebt seit einem Jahr in Leipzig und unterrichtet an der hiesigen Musikhochschule Jazzpiano. Gemeinsam mit dem jungen Geiger Gregor Huebner, dem routinierten Bassisten George Mraz und dem Ausnahme-Schlagzeuger Adam Nussbaum eröffneten sie den zweiten Abend im Opernhaus. Das Publikum – allen voran die Leipziger, die Beirach kennen – umjubelten den außergewöhnlichen Pianisten, der bereits so viele junge Musiker inspiriert hat. Und doch hatte man das Gefühl, dass Beirach im Szenetreff Protzendorf zur allwöchentlichen Session mehr aus sich herausgeht. Leipzigs Musikhochschule kann sich glücklich schätzen, ihren Nachwuchs einem solchen Jazz-Pianisten anvertrauen zu können. Einen Gegensatz zu Beirachs konventioneller Spielweise bildete Antonello Salis. Er spielte auf und im präparierten Flügel auf geniale Weise und brachte alle zum Staunen. Doch die Temperamentsausbrüche werden relativiert, wenn der Pianist am Akkordeon sitzt. Hier lässt er nicht nur Körper, sondern auch Seele „arbeiten“. Ihm zur Seite standen der Posaunist Gianluca Petrella, der, wenn er sich mit seiner Posaune „unterhielt“, den Anschein erweckte, dass er mit seinem Instrument verschmolz. Alles wurde vom Bassisten Furio di Castri auf leichten Schwingen getragen und untermauert. Ein Hörgenuss! Die eigentliche Entdeckung der Leipziger Jazztage waren zwei junge Bands, die auf den Podien des Jazz noch relativ unbekannt sind. Zum einen war es die Berliner Band Shank und zum anderen das Duo Wolfgang Muthspiel/Rebekka Bakken. Die Jazztage sind dafür bekannt, nicht nur große Namen, sondern auch neue Tendenzen und Entwicklungen im Jazz vorzustellen. Shank formierte sich erst 1998 und trat bereits in New York auf, wo sie erstaunliche Kritiken einheimsen konnten. Die Soundmalerei von Shank, die der DJ-Musik durchaus ihre Referenzen erweist und trotzdem keine Schablonen akzeptiert, begeisterte auch das Leipziger Publikum. Die sichtbare Freude am Klangexperiment und am Zusammenspiel war den sechs Mitgliedern der Band anzusehen. Oft fühlte man sich während des durchkomponierten Stückes in Filmwelten versetzt, auf Piratenschiffe der Südsee oder in die sphärischen Klänge des Raumes. Sampler verschmolzen mit Trompete oder Tenorhorn (Martin Klingenberg) zu einer Einheit zusammen. Der ersten Überraschung des Festivals sollte auch gleich die zweite folgen. Der aus Österreich stammende Gitarrist Wolfgang Muthspiel und die norwegische Sängerin Rebekka Bakken stellten sich in dieser Formation erstmalig einem Publikum vor. Das Duo lernte sich in New York kennen und spürte sofort gemeinsame Wellenlängen. Muthspiel, der als Nachfolger von Pat Metheny bereits im Quintett des Vibraphonisten Gary Burton spielte, versteht es hervorragend mit Loops und Livesampling umzugehen und reißt die Sängerin Rebekka Bakken mit sich. Diese wiederum versteht es hervorragend, sich bei lyrischen Songs anzupassen, aber auch einen Gegenpart zu stellen, wenn es der Song erfordert. So lässt sie zum Beispiel spüren, wie weh Eifersucht tun kann und im Song über die zwei Travestiekünstler Walter und Siegbert zeigt sie, wie schwer es ist, sich zu verstellen. Für sie war es ganz leicht... Das David Murray Quartet beschloss den stimmigen letzten Abend der Leipziger Jazztage, die trotz knapper Kassen ein Erfolg waren. Und bei all den Ausflügen, die man während der letzten drei Tage in die vielfältige Welt des Jazz unternahm, spürte man bei diesem Quartett den Ursprung des ganzen, den schwarzen Blues. Barbara Lieberwirth |
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