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Terence M. Ripmaster: Willis Conover – Broadcasting Jazz to the world, iUniverse, Inc./Lincoln, USA, 219 Seiten Der amerikanische Rundfunkjournalist Willis Conover hat wohl mehr für die Völkerverständigung getan als viele hochrangige Politiker. Seine spätabendlichen Jazzsendungen über die „Voice of America“ (VOA) von 1955-96 (!) unter dem Titel „Music USA“ auf Kurzwelle, später in Europa auch auf Langwelle und schließlich auf Mittelwelle erreichten jeden Tag schätzungsweise 30 Millionen Hörer in aller Welt. Vor allem in Osteuropa war er jedem Jazzfan und -musiker ein Begriff. Wer ein Tonbandgerät hatte, nahm immer wieder Sendungen auf (falls nicht sowjetische Störsender dies unmöglich machte). Und das Schöne: Willis Conover hatte einen ausgeprägt guten Musikgeschmack und einen Sinn für alle Arten von Jazz (nur harter Free Jazz war nicht seine Sache, ebenso Rockmusik). Aber sonst brachte er immer auch das Neueste. Ich habe seine Sendungen vor allem in den ersten 15 Jahren oft gehört. Sehr auffällig war, dass er langsam und ungemein deutlich sprach. Ich dachte immer, er mache das absichtlich, bis ich ihn bei einem Festival traf (ich glaube 1968 in Warschau) und feststellte, dass er eigentlich immer so redete. Wir lernten tatsächlich von ihm Jazz und American English zugleich. Unvergessen wird auch allen Hörern die Erkennungsmelodie seiner Sendungen geblieben sein. Es war eine Aufnahme des Ellington-Orchesters von „Take The A-Train“ aus den späten 40er-Jahren mit der Sängerin Kay Davis. Der laute Bassdrum-Schlag zu Beginn direkt vor der Klaviereinleitung, der eine starke Signalwirkung hatte, wurde übrigens erst später hinzugefügt. Das Buch basiert auf zahlreichen Interviews und Briefen sowie auf einem im Nachlass entdeckten autobiographischen Manuskript, aus dem häufig zitiert wird. Conover über seine Jugend: „My family never stayed in one place very long. My father was an army officer, and I grew up on a number of army posts.“ (S. 2) Er las und sang gerne und gab mit 16 Jahren ein Science-Fiction-Magazin heraus. Neben dem College arbeitete er als Rundfunksprecher. 1943 wurde er zur Armee eingezogen. Nahe Washington stationiert fuhr er an den Wochenenden oft dorthin und besuchte schwarze Musiklokale (er war schon früh ein Gegner jeglicher Rassentrennung). 1946 aus dem Wehrdienst entlassen zog er nach Washington und arbeitete weiter in einer Radiostation. Er betätigte sich auch als Sponsor und Ansager bei Jazzkonzerten und unterstützte 1952 die Gründung einer Big Band (die sich ganz einfach „The Orchestra“ nannte). Am 6. Januar 1955 lief seine erste VOA-Sendung. Er war übrigens nicht fest angestellt, sondern freier Mitarbeiter und benützte seine eigene Plattensammlung. Ab 1956 bildeten sich Hörergruppen an vielen Orten (die erste in Südkorea) unter dem Namen „Friends of Music USA“, die mit Newslettern, Ausgaben des „down beat“ und gelegentlich auch Platten versorgt wurden. 1964 gab es solche Gruppen in nicht weniger als 84 Ländern. Laut einer Untersuchung in den 70er-Jahren war Willis Conover nach Richard Nixon in der UdSSR der bekannteste Amerikaner. Auf zahlreichen Reisen, auch nach Osteuropa, informierte er sich über die Jazzszene in den verschiedensten Ländern. 1978 bekam er in Polen wegen seiner Verdienste um die Völkerverständigung sogar einen Orden (in der DDR, wohin er offenbar nie eingeladen wurde, wäre das sicher undenkbar gewesen). Willis Conover hat in seinen Sendungen niemals über Politik gesprochen.
Sie be-saßen aber trotzdem eine politische Funk- Ted Gioia: West Coast Jazz: Modern Jazz in California 1945–1960, University of California Press, Berkeley and Los Angeles, 418 Seiten Es war seinerzeit keine gute Idee, vom neuen Jazz der späten 40er- und der 50er-Jahre in Kalifornien einen vorwiegend von weißen Musikern gespielten Teil abzutrennen, ihm das Etikett „West Coast Jazz“ anzuheften und ihn dann mit Formulierungen wie „zu brav“ oder „zu intellektuell“ zu diskriminieren. Er war zum großen Teil einfach anders als der Jazz in New York, so wie schon Bix Beiderbecke in den 20er-Jahren anders spielte als Louis Armstrong, Jack Teagarden anders als Jimmy Harrison und Eddie Lang anders als Lonnie Johnson. Weiße Musiker waren nicht die ersten Jazzmusiker, aber sie haben dann bald - und später immer mehr - Wesentliches zur Entwicklung und Reifung beigetragen. Das „Losgeh-Syndrom“ („Jazz muss losgehen, und das können schwarze Musiker am besten“) ist Folge eines Tunnelblicks, der schon viel angerichtet hat. Umgekehrt gibt es auch das „Klassik-Syndrom“ („Jazz ist dann besonders wertvoll, wenn er sich an Kriterien und Verfahren der weißen europäischen klassischen Musik orientiert“). Nicht schwarz oder weiß, sondern schwarz und weiß ist die Farbe des Jazz, und zwar von Anfang an. Die enge Definition des West Coast Jazz hatte auch zur Folge, dass die schwarzen kalifornischen Musiker unterbewertet blieben. Erst nachdem sie weggegangen waren (am besten gleich nach New York), schafften sie den Durchbruch. Dem West Coast Jazz fehlte eine ständige Unterstützung durch die einheimischen Medien. „...the story of West Coast jazz is also the story of the failure of institutions. The development of a jazz scene on the coast grew in uneven spurts and bounds.“ (S. 365) Ted Gioia fasst zusammen statt zu spalten, wie schon vor ihm Robert Gordon in seinem Buch „Jazz West Coast“. Gioias Arbeit, die auch auf zahlreichen Interviews beruht, ist aber wesentlich umfangreicher und gründlicher. Von der ersten Bop-Combo von Howard McGhee über Wardell Gray und Dexter Gordon; Dave Brubeck und Cal Tjader; Hampton Hawes, Sonny Criss und Teddy Edwards; Stan Kenton, Bill Holman und Terry Gibbs; Gerry Mulligan und Chet Baker; Jimmy Giuffre und Shorty Rogers; Shelly Manne, Art Pepper und viele andere spannt sich ein breiter, musikalisch vielfarbiger und inhaltsreicher Bogen bis zum Clifford Brown/Max Roach Quintet (das in Kalifornien entstand), Charles Mingus, Eric Dolphy, Ornette Coleman und Don Cherry. Es ist sehr bemerkenswert, dass die meisten von ihnen zugezogen waren. Warum? Es muss das Arbeitsklima gewesen sein, das für die vielen Neuerungen bis hin zu avantgardistischen Experimenten günstig war, die den West Coast Jazz prägten (Routine gab es auch, aber das war in New York nicht anders). Dazu Paul Horn: “When I moved from New York to Los Angeles in 1957, I quickly realized the East Coast was extremely conservative. California was wide open an experimental, innovative and exceptionally creative environment. People felt free to try new ideas, anything at all. If it was new and interesting, they went for it.“ (S. 331/2) Es macht Spaß, dieses hervorragend geschriebene Buch zu lesen und sich dann viel von der Musik anzuhören, die in diesen 15 Jahren entstanden ist. Eine baldige Übersetzung ins Deutsche wäre sehr wünschenswert. Joe Viera |
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