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Jazzzeitung
2008/01 ::: seite 2
news
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Unterfahrt aktuell
Bayerischer Jazzpreis 2007 für Christiane Böhnke-Geisse
„Es kommt in der Welt auf die Helfer an – und auf die Helfer
der Helfer“, dessen war sich schon Albert Schweitzer bewusst. Deshalb
wird mit dem Bayerischen Jazzpreis jährlich eine Persönlichkeit
des öffentlichen Lebens geehrt, die sich in Politik, Wirtschaft
oder Gesellschaft nachdrücklich für die Belange des Jazz eingesetzt
hat. Bayerisches Jazzinstitut, Landesarbeitsgemeinschaft Jazz in Bayern
e.V., Landes-Jugendjazzorchester Bayern und „Jugend jazzt“ Bayern
bitten 2007 um Applaus für eine Person im Hintergrund, die verantwortlich
dafür zeichnet, dass vielen talentierten Jazzmusikern überhaupt
erst der Weg auf eine renommierte Bühne geebnet wurde: Christiane
Böhnke-Geisse, Programmverantwortliche des Jazzclubs Unterfahrt
in München. Als sie bei ihrem ersten Besuch in München 1984
noch als Touristin den Bluesgitarristen Louisiana Red in der Unterfahrt
hörte, hätte sich die damalige Krankenschwesterschülerin
wohl nicht träumen lassen, einmal selbst die Entscheidungen darüber
zu treffen, wer dort spielt und wer nicht. Nach ihrem Umzug nach München
machte sie ab 1986 zunächst quasi nebenbei im Service und als Aushilfe
im Büro des Jazzclubs Unterfahrt die Begegnung mit der Management-Seite
des Jazzlebens. Am 1. Dezember 1989 begann sie, die Konzerte für
die Unterfahrt zu buchen. Zehn Jahre später verabschiedete sie sich,
um die Batterien wieder aufzutanken, doch schon Anfang 2001 zog es sie
zumindest für die Pressearbeit zurück in den Club. Seit Mitte
2003 widmet sie sich wieder voll und ganz der Aufgabe, das Publikum mit
einer Mischung aus Stars und Newcomern zu begeistern. Heute ist Böhnke-Geisse
eine der erfolgreichsten Programmgestalterinnen Bayerns und eine unersetzliche „Helfershelferin“,
gerade für die junge Jazzszene. Deshalb ist es wohl nicht zuletzt
ihr zu verdanken, dass der Jazzclub Unterfahrt inzwischen international
einen so hervorragenden Ruf genießt. Dass Böhnke-Geisse diesen
Preis unmittelbar vor dem Jahr zugesprochen bekommt, in dem die Unterfahrt
ihr 30. Jubiläum feiern kann, ist kein Zufall. Ralf Dombrowksi wird
in der Aprilausgabe der Jazzzeitung die Arbeit dieses international etablierten
Clubs würdigen und auch einen Überblick geben, was sich die
Programmmacher um Böhnke-Geisse und Michael Stückl für
2008 haben einfallen lassen. Zum Redaktionsschluss stand fest: den Jubiläumsmonat
April eröffnet das Klaus Doldinger Quartett. Vorher gibt es eine
Vernissage mit Fotos von Siggi Loch, „Love of my Live“ (siehe
auch unser Dossier Seiten 10 und 11). Mit einem Doppelkonzert feiert
man dann am 3. April im Carl-Orff-Saal im Gasteig weiter: Zu Gast sind
das Thärichen Tentett sowie Stacey Kent & Band.
Keine Jazztage 2008
Nach 22 Jahren wird das traditionsreiche Jazzfestival an Ostern nicht
stattfinden. Nachdem die Stadt Stuttgart dem Theaterhaus Stuttgart
Zuschüsse in Höhe von 323.000 Euro vorläufig sperrte,
sagte Werner Schretzmeier, Chef des Theaterhauses die Jazztage ab.
Auch andere Produktionen seien gefährdet Seit dem Umzug des Theaterhauses
in die Rheinstahlhallen vor sechs Jahren gibt es Streit zwischen Stadt
und Theaterhaus. Dabei geht es vor allem um die Immobilie Theaterhaus.
Sie wurde ursprünglich der Stíftung übereignet, die
nach dem Umzug wieder aufgelöst werden sollte. Kulturbürgermeisterin
Susanne Eisenmann (CDU) sagte, sobald die Stiftung aufgelöst sei,
würde man diese Mittel sofort freigeben. Die Entscheidung fällt
Mitte Februar: vermutlich zu spät, um die Jazztage 2008 noch zu
retten.
Ulrich Beckerhoff 60
Manchmal passieren Dinge, die man wohl nur Schicksal nennen kann. Im
Jahr 1962 verfiel ein Jugendlicher, angesteckt von seinem älteren
Bruder, dem Jazz. Den Wunsch, selbst ein Instrument zu erlernen, unterstützten
die Eltern gern, nur war das eigentlich Gewünschte – die
Klarinette – zu teuer. Dafür kam der damals 15-Jährige
vergleichsweise günstig an eine Trompete. Am 6. Dezember 2007
feierte dieser Junge seinen 60. Geburtstag und gehört mittlerweile
zu den führenden Trompetern Europas, ist Professor für Jazztrompete
und Ensembleleitung und künstlerischer Leiter der internationalen
Jazzmesse jazzahead!: Ulrich Beckerhoff.
Außergewöhnlich sensibel, kraftvoll, glasklar und positiv
besessen sei er, so liest man in den Kritiken über sein Spiel. Und
gespielt hat er mit vielen namhaften Künstlern. Wenn man ihn fragt,
ob es noch jemanden gäbe, mit dem er gerne einmal auf der Bühne
stehen würde, antwortet er nach kurzem Nachdenken: „Ich hatte
ja schon das Glück, mit so vielen Künstlern arbeiten zu können.” Klar,
wenn man sich so etwas wünschen könnte, wären es die großen
Legenden wie John Coltrane oder Miles Davis. „Und was sich leider
nie ergeben hat, war einmal mit Joe Zawinul zu spielen. Wir waren zwar
oft auf den selben Festivals, aber nie gemeinsam auf der Bühne.” Über
30 LPs und CDs veröffentlichte Beckerhoff bisher mit eigenen Projekten
oder als Sideman und machte sich zudem als Komponist für Hörspiel-,
Film-, Fernseh- und Bühnenmusiken einen Namen. Auch am Theater arbeitete
er als Komponist und Solist mit den Regisseuren wie Werner Schroeter
und Hans Kresnik. 1979 tourte er im Auftrag des Goethe-Institutes durch
elf afrikanische Staaten und 1999 war er künstlerischer Berater
für Europas Kulturhauptstadt Weimar. In die Schublade vom grüblerischen
Musiker, der als Einzelgänger durch die Welt geht, passt Beckerhoff
nicht. Vernetzung untereinander und Einsatz für die Kultur sind
ihm wichtig. Kommt das Gespräch auf politische Entscheidungen, merkt
man schnell, dass ihn das Thema nicht kalt lässt. Ein Beispiel ist
die strikte Hochschulpolitik in Bezug auf die europäischen Abschlüsse
Bachelor und Master an Kunsthochschulen. „Das ist doch keine artgerechte
Haltung des Künstlers.” Für wissenschaftliche Studiengänge
mögen Standardmuster sinnvoll sein, für alles Kreative seien
diese aber geradezu kontraproduktiv. „Da wird ohne Rücksicht
auf Inhalte jede kulturelle Besonderheit glattgebügelt, alles im
Namen der Vergleichbarkeit.“ Er selbst arbeitet seit Anfang der
70er als Pädagoge und seit 1991 als Professor an der Folkwang Hochschule
Essen, wo er den Studiengang Jazz mit aufbaute. Ulrich Beckerhoff wurde
1947 in Münster geboren und lebt seit über 30 Jahren in Bremen.
Er studierte zunächst Jura, dann Musik in Münster und Köln.
Seine künstlerische Leistung wurde mit diversen Auszeichnungen gewürdigt,
etwa mit dem ersten Preis des Jazzfestivals Loosdrecht in den Niederlanden
und dem Förderpreis Musik der Freien Hansestadt Bremen.
Niescier Improviser in Residence
Zum ersten Mal in der
Geschichte der Stadt Moers wird es 2008 mit der Saxophonistin Angelika
Niescier einen „Improviser in Residence“ geben.
Vergleichbar einem „Stadtschreiber“ oder „Stadtmusikanten“ wird
Niescier ein Jahr lang ihren Arbeits- und Lebensmittelpunkt nach Moers
verlegen, um auf vielfältige Weise das kulturelle Leben der Stadt
zu bereichern. Die aus Polen stammende und zurzeit in Köln lebende
Saxophonistin gehört zu den führenden kreativen Köpfen
der deutschen Jazzszene. Als mehrfache Preisträgerin tourte sie
unter anderem 2007 im Auftrag des Goethe Institutes durch Zentralasien.
Ermöglicht wird die Einrichtung des „Impoviser in Residence“ durch
die Kunststiftung NRW und das Netzwerk Neue Musik, eine Initiative der
Kulturstiftung des Bundes. Der „Improviser in Residence“ ist
wichtiger Bestandteil des Netzwerk Improvisierte Musik Moers „nimm!“,
ein Projekt, welches über einen Zeitraum von insgesamt vier Jahren
neue und experimentelle Formen improvisierter Musik im Kulturleben der
Stadt Moers verankern soll. Anfang November 2007 hatte sich das Kuratorium
des Netzwerk Neue Musik für die Förderung des Moerser Projektes
aus den Mitteln Kulturstiftung des Bundes ausgesprochen.
Infos: www.angelika-niescier.de
www.n1mm.de
www.kulturstiftung-des-bundes.de
22. Jazz Festival St. Ingbert
Zum zehnten Mal zeichnet Peter Kleiß 2008 für das Internationale
Jazz Festival St. Ingbert verantwortlich. Grund genug, das bislang erfolgreiche
Konzept zu überdenken und gründlich zu überarbeiten. Herausgekommen
ist nicht nur eine ganze Woche des Jazz mit sechs Veranstaltungstagen,
sondern auch eine neue Spielstätte: die Mechanische Werkstatt auf
der Alten Schmelz. Dorthin zieht es vom 29. Februar bis 9. März
2008 Musiker aus unterschiedlichsten Generationen. „Die Mechanische
Werkstatt ist ein reizvoller Spielort. Nicht nur für Klassik,“ bekennt
Festivalleiter Peter Kleiß, im Hauptberuf Jazzredakteur bei SR2
Kulturradio. Den Auftakt machen beispielsweise zwei Tage experimenteller
Jazz. Zunächst am Freitag, 29. Februar, ab 20 Uhr die Verleihung
des 1. St. Ingberter Jazzförderpreises an eine noch zu benennende
Formation, die anschließend ein Konzert geben wird. Dann folgt
das Chris-Gall-Trio, feat. Enik und schließlich zeigt „Panzerballett“,
welche Möglichkeiten der Fusion zwischen Jazz und Rock bestehen.
Am Samstag, 1.3. wird das Markus Stockhausen Quartett seine „Klangvisionen“ vorstellen.
Wichtiger Bestandteil sind dabei die Lichtkunstinstallationen von Rolf
Zavelberg aus Bonn, welche die musikalischen Experimente der Musiker
begleiten. Ein paar Tage macht der Jazz Pause, um am Donnerstag, 6.3.,
mit der HR-Bigband unter dem Motto „Mediterrana“ wieder aufzuleben.
Am 7.3. kommt mit der Kristin Asbjörnsen-Band Besuch aus Norwegen,
um weltberühmte „Spirituals“ neu zu interpretieren.
Den Abschluss am Freitag gibt eine Formation, die eine Hommage an Art
Blakey feiert, wobei einige der Musiker tatsächlich Mitglieder der
legendären „Jazz Messengers“ waren. Am 8.2. kommt aus
Köln das Blue Art Orchestra unter Leitung von Georg Ruby. Anschließend
wird das Publikum mit Eddie Palmieri und seinen „Afro-Caribbean
Jazz All-Stars“ ins heiße Cuba entführt. Dieses Konzert
wird ab 20.04 Uhr bis Mitternacht live auf SR2 Kulturradio übertragen.
Der Höhepunkt des 22. Internationalen Jazz Festivals St. Ingbert
wird am Sonntag, 9.3.2008 eine ganz besondere Geburtstagsfeier sein:
die deutsche Swinglegende Paul Kuhn wird 80 und hat dazu nicht nur die
Allstar-Band „The Best“, sondern auch das Filmorchester Babelsberg
mitgebracht.
Ticket-Bestellung: www.proticket.de. Weitere Infos unter www.st-ingbert.de
folkBALTICA 2008 – Estland
Vom 9. bis 13. April 2008 läuft in Flensburg und der deutsch-dänischen
Region Sønderjylland-Schleswig das 4. Festival folkBALTICA und
präsentiert auf 24 Bühnen mit über 100 Künstlern
Musikkultur aus den Ländern rund um die Ostsee. Nach Norwegen, Schweden
und Finnland fiel für 2008 der Länderschwerpunkt auf Estland,
das als kleinstes der drei baltischen Länder im nächsten Jahr
sein 90-jähriges Jubiläum als Republik feien wird.
„
Die estnische Gesellschaft hat in den letzten Jahren eine rasante Entwicklung
genommen. Estland ist ein modernes Land mit einer ungemein spannenden,
aber weitestgehend unbekannten Musikkultur, die für Überraschungen
sorgen wird,“ begründet der künstlerische Leiter des
Festivals, Jens-Peter Müller, die Entscheidung. FolkBALTICA steht
für Überraschungen, in 2008 noch mehr als bisher, denn die
Musikszene Estlands gilt als ausgesprochen experimentierfreudig und stützt
sich dabei auf eine reiche volksmusikalische Tradition. Estlands Kampf
um die Loslösung von der Sowjetunion, der 1991 zur Unabhängigkeit
führte, ging als „Singende Revolution“ in die Geschichte
ein.
Zwei Kirchenkonzerte in Flensburg und Sønderborg mit zeitgenössischer
Chormusik von Veljo Tormis und der Folk-Jazzgruppe „Elletuse“ mit
der Sängerin Liisi Koikson werden sich der großen Vokaltradition
im „Land der Sänger“ widmen. Neben jungen estnischen
Künstlern und etablierten Namen wie dem Familien-Ensemble „The
Johansons“ und dem Quintett „Ro:toro“ werden auch wieder
Gruppen aus Dänemark, Norwegen, Schweden, Finnland und Polen zu
Gast sein. Auf der Hauptbühne „Alte Post“ in Flensburg
wird die international erfolgreiche Schäl Sick Brass Band aus Köln
mit der schwedischen Sängerin Anna Lindblom auftreten. Infos: www.folkbaltica.de
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