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Jazzzeitung
2008/01 ::: seite 15
rezensionen
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Roger Wolfe Kahn
Crazy Rhythm
Living Era
Heutige Jazzfreunde kennen von Kahn meist nur den Namen, als Fußnote
aus den Biografien weit bekannterer Musiker. Nun kam zu seinem 100. Geburtstag
2007 ein Silberling heraus, der etwaigem Nachholbedarf mit 25 ausgewählten
Stücken der Jahre 1925 bis 1932 entgegenkommt. Wer die Aufnahmen
Beiderbeckes mit Goldkette oder Whiteman liebt, wird diese zumindest
schätzen: Es findet sich die gleiche Verbindung aus oft genuiner
Jazz-Solistik und guten, doch nicht immer jazzmäßigen Arrangements
eines bei der High Society aufspielenden weißen Tanzorchesters.
Für Kahn, Millionärssohn eines deutschen Bankiers in New York,
spielte Geld keine Rolle, und so holte er sich Größen wie
Joe Venuti, Eddie Lang, Arthur Schutt, Jimmy Dorsey, Miff Mole, Artie
Shaw und Jack Teagarden, der bei ihm sein erstes Solo aufnahm. Erstklassisch
auch die Songs, zum Teil spätere Standards der noch jungen Herren
Berlin, Gershwin, Rodgers, Youmans, Donaldson und Kahn selbst, dessen „Crazy
Rhythm“ unverwüstlich blieb. Ellingtons „It don’t
mean a thing if it ain’t got that swing“ beendet die Sammlung
und die musikalische Laufbahn Kahns bezeichnenderweise schon 1932 – mit
Streichern und Ocarinas! Wäre er dieser Linie treu geblieben, hätte
er wie Whiteman einem Fossil mit einst großem Namen in gewandelter
Umgebung geglichen. Doch schon zu Beginn der Swing-Ära vertauschte
er seine Leidenschaft für Musik gegen die zur Fliegerei.
Louis Armstrong
In Scandinavia
Storyville
Neun mal besuchte Satchmo im Laufe seiner Karriere Skandinavien. Wurde
er in den ersten Kritiken schon mal als Nachfahre von Gorillas diffamiert,
so wurde er im Laufe der Jahrzehnte im hohen Norden wie überall
auf der Welt zur meistgeliebten Symbolfigur des Jazz. Oft genug waren
offizielle oder versteckte Mikrophone zu Stelle, die seine Auftritte
für die Nachwelt dokumentierten. Die Skandinavier waren 1933 so
geistesgegenwärtig ihn zu filmen und bei Armstrong-Konzerten die
angeblich ersten Live-Mitschnitte des Jazz zu machen. Selbst als er zum
Ehrenmitglied der Kopenhagener Studentenvereinigung gewählt wurde,
hat man ihn aufgenommen. Nun liegen auf vier CDs zwischen 1933 und 1967
entstandene, zum Teil zuvor unveröffentlichte Aufnahmen vor, die
unserem Armstrong-Bild kaum neue Facetten hinzufügen, doch die Bewunderung
für diesen liebevollen Giganten nur vergrößern können.
Er schenkte sich seinem Publikum immer zu 100 Prozent, ob er nun, wie
1933, unvergessliche geniale Chorusse blies oder sich wie 1967 als alternder
Mann mit Gesundheitsproblemen an der Routine festhielt und dabei freilich
dennoch berührte. Ein eingehender, mit Anekdoten gespickter Text
von Gösta Häggloff, der zunächst als Fan, dann als offizieller
Jazzvermittler oft an Ort und Stelle war, dazu eine vollständiger
Tourkalender, seltene Fotos, etwa von Satchmos Ständchen für
Tankwarte im schwedischen Wald – was für eine liebevolle Veröffentlichung!
Charles
Mingus Sextet with Eric Dolphy – Cornell 1964
Blue Note
Freilich gab es bereits Live-Aufnahmen des Sextetts mit Johnny Coles
(tp), Eric Dolphy (as, fl, bcl), Clifford Jordan (ts) Jaki Byard (p)
und Dannie Richmond (dr), sogar ausgezeichnete, mit ähnlichem Repertoire.
Sie sind legendär als dramatische Aufnahmen von Schlüsselfiguren
der Umbruchszeit zwischen Bop und Free Jazz. Der bislang unveröffentlichte
Mitschnitt eines Konzertes, das am 18. März 1964 an der Cornell
University stattfand, überragt sie, nicht nur, weil er umfassender
und von guter Aufnahmequalität, sondern schlicht noch packender
ist: Die Musiker des damals noch neugegründeten Sextetts scheinen
inspirierter, gelöster, auch witziger, die Band integrierter, organischer
als auf der spannungsreichen, von dramatischen Umständen geprägten
Europa-Tournee. Wir erleben die energieberstende Gruppe kurz bevor viel
Unglück über sie hereinbrach: Coles erkrankte in Paris schwer,
schied monatelang aus; Dolphy verließ am Ende der Tournee im Zwist
mit dem jähzornigen Mingus die Band und starb kurz darauf in Berlin.
In Cornell Mingus spielte einige der denkwürdigsten Soli seiner
Diskografie, etwa in „Faubles Of Faubus“, das verblüffende
Zitatverdrehungen von „God Save The Queen“ zum „Trauermarsch“ bereithält.
Dolphy, dessen Beiträge das Highlight unter vielen Höhepunkten
darstellt, spielte drei Monate vor seinem Tod wie um sein Leben. Die
wichtigste Erstveröffentlichung jazzhistorisch relevanten Materials
des Jahres 2007.
George Shearing/Niels-Henning Ørsted
Pedersen/Louis Stewart
The MPS Trio Sessions (MPS)
Im Zusammenhang mit Pianisten denkt man beim legendären Schwarzwaldlabel
MPS zunächst meist an Oscar Peterson und auch beim Bassisten Niels-Henning Ørsted
Pedersen fällt als idealer Klaviergefährte zunächst der
jüngst verstorbene Kanadier ein. Dabei harmonierte er kaum weniger überzeugend
mit George Shearing. Der wieselflinke und druckvoll antreibende Däne
und der britische Gentleman mit seinem leichten Anschlag und der trotz
aller Virtuosität vornehm zurückhaltend wirkenden Spielweise,
das ist ein Gespann aus Biss und Grazie. Es ist ebenso wunderbar wie
das spiegelverkehrte Paar Brown und Peterson, wo der Bassist der relaxtere
Partner war. Man denkt auch aus anderem Grund an den in diesen Tagen
allgegenwärtigen Peterson, wegen der heute so seltenen Besetzung
aus Klavier, Bass und Gitarre, die beide von ihren Vorbildern Art Tatum
und Nat King Cole „geerbt“ hatten, beim erfolgreichen Quintettler
Shearing nur den Ausnahmefall darstellt. Louis Stewart, Irlands Geschenk
an die Jazzgitarre, agiert vergleichsweise zurückhaltend, erweist
sich aber mit kristallklarem Sound, Fingerfertigkeit und Einfallsreichtum
als kongenialer Dritter im Bunde. Die 35 Stücke wurden 1977 und
1979 für fünf Alben aufgenommen, von denen eines hiermit erstmals
vorliegt. Das letzte wurde von Robert Farnon mit einem orchestralen Gewand
ausgestattet, das Jazzpuristen weniger begeistern dürfte.
Dewey Redman Quartet
The Struggle Continues
ECM
Der vor anderthalb Jahren verstorbenen Tenorist Dewey Redman findet
gemeinhin in drei Zusammenhängen Erwähnung: Er war einer der wichtigsten
frühen Weggefährten Ornette Colemans, Vater des berühmteren,
doch keineswegs neutönerischen Sohnes Joshua und prägte den
Sound des amerikanischen Keith Jarrett Quartetts der 70er. Seltener entsinnt
man sich seiner eigenen Alben. Um so besser, ein Meisterwerk unter eigenem
Namen, das 1982 mit drei hervorragend interagierenden Musikern, dem Pianisten
Charles Eubanks, dem Bassisten Mark Helias und dem Drummer Ed Blackwell,
entstand, endlich wieder veröffentlicht zu sehen. Obwohl man Redman
gern allzu schnell in die Avantgarde-Schublade steckt, war seine Musik,
das belegen hier etwa seine berührende Ballade „Love Is“ oder
sein schlichtes, bluesiges „Turn Over Baby“, oft leicht zugänglich.
Es hängt auch mit seinem prächtigen Sound zusammen, den man
durchaus noch auf seine texanische Wurzeln zurückführen konnte,
auf die Texas Tenors, die in der Swing Ära einen kraftvollen expressiven
Sound pflegten. Selbst als (fast schon unerwartet) im vorletzten Stück „Combinations“ scheinbar
alle Bodenständigkeit aufgegeben wird, alle Akkordschemata wegfallen
und Redman unter Hochdruck ganz frei bläst, bildet dieser sinnliche
Sound ein Brücke, die so manchen konservativen Hörer bei der
Hand nehmen dürfte.
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