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Die „Berliner Jazztage“ waren ja zunächst ein Signal von einer Insel nach draußen, quasi eine Antwort des Dankes, kulturell gewendet, an die carepackages aus der Luft: Jazz, das war lange Zeit leider auch im Verständnis des ansonsten als sehr kritisch bekannten Berliner Publikums, beinahe ausschließlich „amerikanische“ Musik. Aber bereits zur Zeit des Vietnamkrieges entwickelte sich gegen diesen naiven Hauruck-Euphorismus Widerstand – in Gestalt eines „Total music meetings“. Joachim Ernst Berendt hatte – verschrien als „Jazzpapst der Republik“ – ja auch diese Tendenz mit befördert, als langjähriger künstlerischer Leiter der Berliner Jazztage, hatte nachgerade Widerstand provoziert in Gestalt einer autonomen, pan-europäisch verstandenen Musikerkooperative namens Free Music Production und deren Protagonisten Alexander von Schlippenbach, Manfred Schoof, Peter Brötzmann, Gunter Hampel und vielen mehr.
Dies als Intro ist unabdingbar wichtig, weil ebenjene Protagonisten gottlob noch immer auftauchen, aufscheinen, aufblitzen. Gunter Hampel erhielt beim JazzFest Berlin 2007 den von der Union deutscher Jazzmusiker verwalteten, nach Albert Mangelsdorff benannten deutschen Jazzpreis in diesem Jahr; Schoof überreichte den Scheck. „European echoes“ des Manfred Schoof Projektes (1969 auf FMP veröffentlicht) ist eines der Motti des Peter Schulze, nicht nur als Projektleiter des JazzFests Berlin für fünf Jahre, sondern auch wesentlich in seiner Arbeit als Inspirator des „German Jazz Meetings“ in Bremen und früher in seiner Eigenschaft als Redakteur für Jazz und Popularmusik bei Radio Bremen. Dass eine Person in dieser Position umsichtig agieren kann, hat Peter Schulze nachhaltig beweisen können, am radikalsten wohl 2007 mit einem Programm, das kaum bekannte Namen präsentierte – und schon überhaupt keine „Stars“ im landläufigen Sinne. Peter Schulze weiß um die Erfordernis des Faktors „Glamour“; aber wenn es um Musik geht, ist Schulze ganz und gar Anwalt der Emotion, des Ausdrucks, und geht nicht dem trügerischen Glanz der Scheinwerfer auf den Leim. Das ist schön, denn so konnte ein beinahe 40-köpfiges Ensemble mit Namen „El Gusto“ einen Festivalreigen eröffnen, der das Dogmenscharnier Jazz zwischen E und U ganz schön alt aussehen ließ: Jazz ist immer, wenn ein Saxophon dabei ist, hatte der deutsche Gitarrist Volker Kriegel immer wieder gewitzelt. Ja, diesmal waren auch wieder Saxophone dabei - gleich fünf in der Band des ehrgeizigen Pianisten Florian Ross. Dann: Michael Moore, Didier Malherbe, Sebastien Texier, Ingrid Laubrock und Gebhard Ullmann. All das sind Namen, die man sich merken sollte und die im umtriebigen Gig-Dschungel – meist „for the door“ (gegen Eintrittsentgelt, meist im Verhältnis 60:40) leider untergehen. Gebhard Ullmann konnte sich daher auch die Bemerkung nicht verkneifen, als sein Auftritt stürmisch bejubelt wurde: „Tja, das war leider nicht immer so in Berlin, da kann man nur staunen, danke schön“. Schulzes konsequente Haltung ist rundum aufgegangen: Beinahe sämtliche Konzerte des Berliner Jazzfestes waren bereits im Voraus ausverkauft. Ray Anderson bot nach schwerer Krebserkrankung im Trio mit Gerry Hemingway und Mark Helias einen atemberaubenden Set, dicht, konzis und luzid, lobte die Atmosphäre in der Stadt und im besonderen bei diesem Festival: „Die Leute sind in einer gewissen Weise gut vorbereitet, das Festival hat eine Geschichte, die Stadt hat eine Geschichte, das spürt man sofort, und das schlägt sich natürlich auch auf das nieder, was man dann am Abend spielen wird.“ „El gusto“ meint vor allem: Geschmack – verwandt mit „sabor“ auf Spanisch und „goût“ und „esprit“ auf Französisch. Spricht „sabor“ vom Wissen um etwas, meint „esprit“ eine Geisteshaltung. Dazu gehört die Entscheidung, ein Ensemble wie „El gusto“, in dem jüdische und muslimische Musiker seit je zusammengearbeitet haben und sich nun nach mehr als 40 Jahren wieder begegnen konnten, ganz selbstverständlich an den Anfang, ein vor Ideenreichtum sprühendes Ensemble des englischen Multitalents Django Bates dringlich als Ausrufezeichen an den Schluss eines Festivals in der Hauptstadt. Als in Berlin die Mauer errichtet wurde, brach der Wiener Michael Mantler
nach New York auf, um dort – gemeinsam mit Bill Dixon, Archie Shepp,
Steve Lacy, Cecil Taylor,Carla Bley, Roswell Rudd und etlichen anderen
die von Journalisten so betitelte „Oktoberrevolution des Jazz“ auszurufen – 1964
war das, im gleichen Jahr, als die ersten Berliner Jazztage stattfanden – allerdings:
Oktoberrevolutionäre wurden vom damaligen künstlerischen Leiter
der Berliner Jazztage, Joachim Ernst Berendt, zunächst nicht eingeladen.
Jetzt hatte Mantler ein DAAD-Stipendium in Berlin absolviert, und beim
JazzFest gab es „Sketches of Berlin“ – so könnte
man die sieben „compositions“ benannten Tableaux nennen,
auf denen sich Solisten unterschiedlichster Provenienz profilieren können.
Ob sie ein ganzes Konzertprogramm zu tragen im Stande sind, darf an dieser
Stelle bezweifelt werden. Nick Mason, Pink-Floyd-Trommler der psychedelisch konfigurierten Popwelt
von Anbeginn, hinterließ jedoch Stirnrunzeln und Fragen – aber
auch das ist im Rahmen eines solchen Festivals eine Qualität – musste
das sein? Und was überhaupt „musste sein“? Er und der langjährige Produktionsleiter Ihno von Hasselt – Herz und Seele des Betriebs – werden mit dem Beratergremium aus Redakteuren der seit jeher dem Festival verbundenen ARD das nächste Jazzfest Berlin stemmen, gewiss, aber eines werden sie alle: neugieriger sein als bislang auf Entdeckungen. Den Jazz mit anderen Ohren hören. Nur so hat er künftig eine Chance. Roland HH Biswurm |
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