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Stuart Nicholson: Is Jazz dead ? (Or has it moved to a new address) Routledge/New York-London, 270 Seiten Der Jazz ist schon öfters totgesagt worden, aber immer von Leuten, die zu wenig Bescheid wussten, oder von solchen, die die neuesten Entwicklungen nicht mochten (oder die Musikform als Ganzes). Angesichts der (scheinbaren) Richtungslosigkeit der heutigen Szene kann man freilich fragen, ob und wie es weitergeht. Das tut der Autor in neun Kapiteln. Der Klarheit wegen habe ich im Folgenden die Meinung des Autors (A) und meinen Kommentar dazu (K) deutlich voneinander getrennt. Die Kapitelüberschriften sind in Kurzform vermerkt. 1 Jazz Mainstream 1990 to 2005 A: Miles Davis‘ Tod 1991 hat den Jazz in eine Krise gestürzt,
da kein Nachfolger in Sicht ist. Eine stilistische Retro-Bewegung, die
schon vorher existierte, hat sich verstärkt. Mehr und mehr wurde
die Arbeit der Jazzmusiker wirtschaftlichen Zwängen unterworfen. 2 The Wynton Marsalis Phenomenon A: Ständig hoch gelobt vor allem von den amerikanischen Journalisten
Stanley Crouch und Albert Murray ist er zu einer Art Ikone geworden. 3 Jazz at Lincoln Center A: 1991 startete das „Jazz at Lincoln Center“-Programm mit
Wynton Marsalis als künstlerischem Leiter. In der Folge gab es immer
wieder Diskussionen wegen einseitiger Programmgestaltung und Bevorzugung
schwarzer Musiker im Lincoln Center Jazz Orchestra. 4 Jazz Singers A: Norah Jones, Diana Krall, Jamie Callum, Jane Monheit, Michael Bublé… in
Europa vor allem skandinavische Sängerinnen wie Silje Nergaard,
Victoria Tolstoy, Rebekka Bakken haben einen regelrechten Boom im Jazzgesang
initiiert. 5 Jazz Education A: Sie ist weit verbreitet, aber vielen Absolventen von Ausbildungsgängen
fehlt es an Originalität. Die Konzentration auf den Bebop während
des Studiums ist nachteilig. 6 Future Jazz A: Die Verwendung elektronischer Klangerzeuger
hat stark zugenommen, auch in Europa. Der Autor nennt eine Fülle
von Beispielen. 7 Jazz in the Global Village A: Die Globalisierung gibt es im Jazz schon sehr lange. Neu hinzugekommen
ist eine Interaktion zwischen internationalem Jazz und lokalen Formen
(der Autor nennt dies Glokalisierung). Die Amerikaner nehmen davon zu
wenig Kenntnis (der Autor ist Engländer). 8 The Nordic Tone in Jazz A: Das „Nach-Innen-Hören“, für das der Autor u.a.
Edvard Munch, Sören Kierke-gaard und Ingmar Bergman nennt, findet
sich auch bei vielen skandinavischen Jazzmusikern, deren Arbeit sehr
stark öffentlich gefördert wird, vor allem in Schweden („The
typical Swedish jazz musician is the best overall equipped craftsman
around“/Dave Liebman, S. 198) 9 Marketplace or Subsidy A: Der Jazz kommt heute ohne öffentliche Unterstützung nicht
mehr aus. Der holländische Saxophonist Yuri Honing bringt es auf
den Punkt: „If you look at history, the church was originally the
main financier of most of the arts, and later on royalty took on that
role as the most important promoter of art. So it is quite logical that
as church and royalty no longer support the arts, the government is responsible“,
S.227). Bruno Spoerri (Hg.): Jazz in der Schweiz – Geschichte und Geschichten. Chronos Verlag, Zürich/459 Seiten mit einer CD-ROM (Biographien, Diskographien, Bibliographie) Schon Ende der 20er Jahre begannen in der Schweiz Hörer und Musiker sich eingehend mit dem echten Jazz zu beschäftigen. Dieser war damals (und auch später noch lange) in der Wahrnehmung Vieler durch Jazz beeinflusste Tanzmusik; er war durch diese stark überdeckt mit der Folge, dass etwa Paul Whiteman bekannter war und höher eingeschätzt wurde als Louis Armstrong (heute unvorstellbar, aber es war damals wirklich so). Nach dem 2. Weltkrieg stieg die Zahl der Jazzmusiker stark an; die meisten blieben Amateure, da sie in der Schweiz nicht genügend Arbeit fanden und nicht ins Ausland wechseln wollten wie der Schlagzeuger Daniel Humair aus Genf, der 1958 mit 20 Jahren nach Paris ging und sich dort zu einem Weltklassemusiker entwickelte. Die Qualität der Schweizer Amateurmusiker war schon in den 50er-Jahren erstaunlich hoch, was das von André Berner 1951 gegründete Zürcher Amateur Jazz Festival jedes Jahr eindrucksvoll bewies. Insgesamt ist seither trotz mancher Schwierigkeiten die Rolle des Jazz im öffentlichen Bewusstsein der Schweiz bemerkenswert groß und kann als Vorbild für viele andere europäische Länder gelten. Bruno Spoerri, selbst ein bekannter Musiker, hat mit einem Autorenteam die Geschichte des Jazz in der Schweiz von den ersten Anfängen bis heute sehr sachlich-kritisch und ausführlich dargestellt. Ein verdienstvolles Buch, dem eine weite Verbreitung zu wünschen ist. Warum gibt es übrigens immer noch keine entsprechende Arbeit über den Jazz in Deutschland? Bill Crow: Jazz Anecdotes Second Time Around, Oxford University Press/New York, 391 Seiten 1990 brachte Bill Crow (früher Bassist unter anderem bei Marion McPartland, Gerry Mulligan und Benny Goodman) die erste Fassung seiner „Jazz Anecdotes“ heraus, 1992 ein zweites autobiographisches Buch „From Birdland to Broadway“. Sie enthalten beide zahlreiche Geschichten über Musiker, Veranstalter, Manager, Agenten, Kritiker und Besucher. Man versteht den Jazz viel besser, wenn man sie kennt. Jazzmusiker haben einen starken Sinn für Situationskomik, der aus der gleichen Quelle gespeist wird wie die Fähigkeit des Improvisierens. Es geht in beiden Fällen um das rasche Erfassen von Augenblicken – im Falle des Musikmachens von Spielsituationen – und um die schnelle Reaktion darauf. Bill Crows Sammlung reicht von boshaften Bemerkungen („Glenn should have lived, and the music should have died.“ Al Klink über Glenn Miller, S.13) über witzige Ratschläge („Let them think it‘s a little hard for you to do it. You‘re making it look too easy.“ Louis Armstrong zu Erskine Hawkins über das Trompetenspiel im hohen Register, S.45) bis zu schlagfertigen Definitionen („Endless love is a tennis match between me and Ray Charles!“ der blinde George Shearing, S.314) und zu allen möglichen, zum Teil sehr skurrilen Begebenheiten. Sollte man nicht frühzeitig an ein Weihnachtsgeschenk denken? Hier ist eines. Dave Oliphant: Texan Jazz Ist es sinnvoll, eine Geschichte des Jazz in Texas beziehungsweise
der in Texas geborenen oder aufgewachsenen Jazzmusiker zu schreiben?
Wenn
man bedenkt, dass Texas erstens der östliche Nachbarstaat von Louisiana
ist, wo einst der Jazz entstand, und dass Texas zweitens flächenmäßig
der zweitgrößte und bevölkerungsmäßig der
drittgrößte Staat der USA ist, dann kann man freilich einiges
an Stoff für dieses Thema erwarten und man wird nicht enttäuscht.
Die Liste der großen Musiker ist lang: Sie reicht (eine kleine
Auswahl) von Jack Teagarden, Charlie Christian, Hot Lips Page und Herb
Ellis über Budd Johnson, Tyree Glenn, Harry James, Kenny Dorham,
Red Garland und Jimmy Giuffre bis zu Ornette Coleman, Dewey Redman, Julius
Hemphill und Roy Hargrove. Auch der größte aller Ragtime-Komponisten,
Scott Joplin, und einer der größten Bluessänger, Blind
Lemon Jefferson, gehören dazu. Ihnen allen hat Dave Oliphant sein
Buch gewidmet; er schreibt anschaulich und fügt den bekannten Fakten
viele Details hinzu, vor allem über weniger bekannte Musiker. So
ist ein lesenswertes Buch entstanden, das sich niemand entgehen lassen
sollte, der sich für die Geschichte des Jazz interessiert. |
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