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Jazzzeitung

2007/05  ::: seite 8

Brasilien

 

Inhalt 2007/05

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig


TITEL - Endzeitstimmung
Wir erleben die Apokalypse des Jazz


DOSSIER

Individualisten aus Chicago
Zum Tod des Pianisten Andrew Hill und des Geigers Johnny Frigo

I like the way you play
Abschied von Joe Zawinul mit Erinnerungen an eine bewegte Zeit


Portraits

Jean-Luc Ponty, Kristin Asbjørnsen, Daniel Smith, Harald Banters Media Band, Besuch bei Richie Beirach

… und mehr im Inhaltsverzeichnis

I like the way you play

Abschied von Joe Zawinul mit Erinnerungen an eine bewegte Zeit

Niemand hat als Pionier und Vollender so viel für die Etablierung elektroakustischer und elektronischer Tasteninstrumente im Jazz getan wie Joe Zawinul. Vom simplen E-Piano, das er als beliebtester europäischer Jazz-Import schon bei Cannonball Adderley einsetzte bis zur neuesten Synthesizer-Technik – der Wiener mit der bunten Kappe hat alles schon ausprobiert und perfektioniert, bevor sich das Gerät herumgesprochen hat. Am 11. September erlag Zawinul in einem Wiener Krankenhaus einer seltenen Hautkrebserkrankung. Aus diesem Anlass drucken wir Abschnitte eines Blindfold-Tests, den Marcus Woelfle im vergangenen Jahr mit ihm vornahm. Vorgespielt wurde unter anderem folgende Aufnahme:
I’ve Got You Under My Skin (Cole Porter), Dinah Washington (voc), unter anderem mit Clark Terry und Maynard Ferguson (tp)
Aus: The Complete Dinah Washington on Mercury Vol.3 (1954)

Zawinul wie er lebte und spielte: furchtlos mit Kappe und Chuzpe. Foto: Hans Kumpf

Bild vergrößernZawinul wie er lebte und spielte: furchtlos mit Kappe und Chuzpe. Foto: Hans Kumpf

Joe Zawinul (sofort): I waas, wer des is! Ich hab mit ihr gearbeitet einundzwanzig Monate. Des war eine der großen Erfahrungen in meinem Leben. Des is a lovely person. She was a wunderbarer Mensch! Wir waren sehr sehr gute Freunde. Ich war ihr Musikdirektor, der einzige Weiße in der Band, und ich hab die stage arrangements für Sie geschrieben. Wir tourten den „chitlin‘ circuit“. The chitlin‘ woaßt, was des is?

Marcus Woelfle: The chidling. Nein das weiß ich jetzt nicht.
Zawinul: The chitlin‘ is von die Schweine der Bauch, die Gedärme. Und die Schwarzen haben in den alten Sklaventagen, die haben ja nichts gehabt und das haben die gekriegt. Und die haben das gekocht in einer Weise, des muaß gereinigt werden fünf sechsmal mit einer so einer eisernen Bürste, mit einer Metallbürste wird des geputzt und gewaschen und gewaschen. Weil des is ja von einer Sau der Magen mehr oder weniger. Des wird so klein geschnitten. Woaßt du was ein Beuschel ist?

Woelfle: Ein Beuschel? Nein.
Zawinul: Ja der Hund kennt se ja überhaupt net aus. So, des wird so kloan geschnitten und kocht in einer Soße mit Zwiebeln, in ana Soß so kocht und des is a phantastische Speis. Des is halt a furchtbare Arbeit. Und da „chitlin‘ circuit“ war eine Art Großes Tour-Theater, das die Schwarzen in der alten Zeit gehabt haben. Du musst Dir mal vorstellen, dass in Amerika vor der Integration die Schwarzen ihre eigenen Theater gehabt haben und ihre eigenen Banken, Taxikompanien, die Alkoholgeschäfte, Hotels... I mean, die warn möglicherweise in der Society net so oben, aber die haben unheimlich viel gemacht. Und die haben auch die besten Theater gehabt mit der besten Musik, des leiwandste Essen und der chitlin‘ circuit, der war in ganz Amerika, wo immer du hingehst, des Apollo Theatre in New York, the Howard Theatre in Washington D.C., des Riddle Theatre in Chicago und für alle diese Plätze in ganz Amerika auf diesem Circuit hab ich die Stage Arrangements geschrieben. Ich war der einzige Weiße und ich hab die schwarzen Bands kontaktiert, also dirigiert mehr oder weniger. Ich war Musikdirektor für sie, und für mich ist die Dinah Washington neben der Billie Holliday die ausdruckvollste Sängerin überhaupt.

Marcus Woelfle: Da hat es auch sicher Schwierigkeiten gegeben, wenn Sie als einziger Weißer in einer schwarzen Band gespielt haben.
Zawinul: Schon. Ich hab mit ihr angefangen im Sommer 59 zu spielen. Da herrschte im Süden noch Segregation. (Er hört der Sängerin gerührt zu) Die ist sehr bedeutend für mich die Frau. ... Man wollte den Schwarzen das Recht zur Wahl geben, aber im Süden haben die das nicht gewollt. Und da war eine große Bewegung für das Wahlrecht der Schwarzen. Und da sind viele Leute, auch von der jüdischen Gesellschaft, nach den Süden gegangen und einige sind aufgehängt worden. Speziell wann du als einziger Weißer in an Auto mit den Schwarzen warst, da warst du der erste, der am Baum hängt.

Einmal waren wir im Sommer in Odessa, Texas. Ich hatte gerade mit der Dinah aufgenommen „What a difference a day made“. Wir hätten in einem von Schwarzen gemanagten Club spielen sollen. Ich will auf die Bühne und da war eine weiße Sheriff-Frau, a Batznfrau mit ana 375-er Magnum auf der Seiten und die fragt: „Where are you going, boy?“ Ich hab ihr frech gesagt: „Ich spiel, da ist keine Fragen“. Sagt sie: “No, you won´t play here”. Sag ich: “I will play here”. Dann ist sie energisch worden. Ich geh zurück in die Armutschkerlküche, zugleich auch Dressing room, und sag: „Dinah, der Sheriff sagt, ich kann nicht spielen da“. Und die Dinah sagt: „Der Joe ist mein Pianist auf der ganzen Welt, wenn der da nicht spielt, gehen wir.“ Der Clubowner ist nervös geworden, hat sie bekniet: „Dinah, du bist eine großartige Klavierspielerin, mach das doch, sonst hauen sie mir den Club zusammen“. Die Dinah sagt: “No, open the window.” Wir sind beim window ausse von der Kuchl, weil wir net durch das Haus gehen konnten, sonst hätten die uns sofort zusammengeschlagen. Wir sind weggefahren und am nächsten Tag haben wir erfahren, die haben den Club wirklich zerstückelt.

„Ich spiel da net“

Später dann im Einundsechzigerjahr, beim Cannonball, war eine ähnliche Situation. Der Norden war schon integriert, aber in Baltimore, Maryland waren noch immer segregierte Straßen und Clubs. Wir spielen in einem Club den ersten Set und es sind nur Weiße in dem Club. Durch die Fenster hat man viele Schwarze drau-ßen gesehen, die sich am Fenster die Musik angehört haben. Ich sag: “Cannon, I know this is hard for you but I will not play here a second set until everybody can come in.” – “Oh please man, this a different thing still.” Dann sag ich: „Das bist du, aber ich net, ich spiele da nicht.“ Die Leute sind nervös geworden, weil es hat eine lange Zeit gedauert. Ich habe gesagt: „Ich fahr heim. Du kannst mich ausse werfen, aber ich spiel da net“. Der Clubowner war ein Gentleman und sagt: „O.k., ich mach den Club auf für alle.“ Wir sind dann alle nach Hause gefahren am selben Abend zurück nach New York, sehr stolz, dass wir das durchgedrückt haben. Am nächsten Abend treff ich Buddy Rich im Birdland gleich auf der Stiegen: „Buddy, what are you doing, ich hab glaubt du spielst in Baltimore heut?“ Er hat gesagt: „Nein, die haben den Clubowner exekutiert.“ Darum bin ich streckenweise beim Auto unten gesessen, wenn wir in den sehr gefährlichen Gegenden im Süden durchgefahren sind. Da hätte uns sogar die Polizei daschossen!

Woelfle: Während wir uns unterhalten haben, waren Trompeter zu hören.
Zawinul: Den Clark Terry den habe ich gehört.

Woelfle: Da gibt es doch eine lustige Geschichte. Wollen Sie die erzählen?
Zawinul: Die Geschichte war a so: Im siebenundfünfziger Jahr oder im achtundfünfziger Jahr kriege ich einen Anruf, ich war da gerade in der Fatty George Band in Wien. Die Fatty George Band, muss ich sagen, war eine fantastische Band: Oskar Klein, Karl Drewo..., ich hab Basstrompete, Vibraphon und Klavier gespielt. Und da Drewo und da Willi Mehrwald haben gespielt. Der Fatty war ein Meistermusiker. Und die Grahbrüder, der Heinz und der Bill Grah und der Blumenhoven Schlagzeug. Das war eine fantastische Band, das war die Two Sounds Band. Ich habe viele Arrangements geschrieben. Wir haben mit fünf Hörnern gespielt und mit drei Rhythmen (und immer habe ich mit dem Schlagzeug von der Benny Goodman Musik gespielt). Das war eine wunderbare Musikband. So, und ich habe immer gesagt: „Wir spielen nicht gut genug, wir müssen viel üben und üben.“ Die wollten es bequem haben. Und ich habe gesagt: „Ich will wachsen.“ Ohne Wachstum stirbt man. Ich habe immer gesagt: „Ich gehe nach Amerika, weil mir geht das am Arsch, ich will das nimmermehr.“ Ja, ja, und dann haben‘s mich dann, also eines Tages, da ruft der Bill Grah an hat da irgendeinen Promoter, den Horst Lippmann bei sich. Auf einmal ist der Horst Lippmann am Telefon. Sagt er: „Die Ella Fitzgerald ist in Deutschland, und die will unbedingt, dass du nach Deutschland kommst.“ Also, ich sollte nach Deutschland kommen und mit ihr eine Platte machen. Ich hab schon alles eingepackt, ich glaub an einem Mittwoch oder so und am Montag hätte ich nach Frankfurt kommen sollen. So, ich habe das alles eingepackt hab es ihnen dann erzählt in der Band, dass ich einen Anruf gekriegt habe, dass ich am Montag nach Frankfurt fahr´ und mit der Ella spiele. Und dann am Sonntag haben sie es mir am Abend noch gesagt: wir haben dich auf die Schaufel genommen.

Einstecken, austeilen

Woelfle: Schon gemein.
Zawinul: Na, na. Das war okay. Ich habe gesagt: „Ihr habt das sehr gut gemacht aber trotzdem ändere ich meine Meinung nicht, ich gehe nach Amerika.“ Und so ging es auch weiter. Eine Woche später oder zwei Wochen später krieg ich einen Anruf, dass die Ellington Band in München ist und dass der Clark Terry und Paul Gonsalves eine Platte machen und wollen, dass ich Klavier spiel. Und ich habe gesagt: „Ja leckt’s mich am Arsch“ und habe den Hörer aufgelegt. Als ich dann wirklich in Amerika das erste Mal den Clark Terry getroffen habe, hat der hat mich nicht einmal angeschaut – die haben dem das erzählt, dass ich dem „kiss my ass“ gesagt hab, und der hat geglaubt, ich bin ein Rassist. Und dann hat damals der Münchner Pianoplayer auf der Aufnahme gespielt, wie hat denn der geheißen?

Woelfle: Carlos Diernhammer, ich habe die Platte.
Zawinul: Der nie Klavier spielt... Und das Lustige: später habe ich dann wirklich mit der Ella gespielt... – Das war wirklich nicht gemein, denn ich habe zu viel Selbstvertrauen, als dass mich das gestört hat. Denn eigentlich muss ich sagen, die haben das wirklich gut gemacht, weil ich war ein Mensch der immer alle Leute auf die Schaufel genommen hat. Man muss auch einstecken können. Denn ich habe so viele Leute auf die Schaufel genommen, und ich habe die immer so furchtbar behandelt. Denn Bill Grah, der hat immer so schnell gespielt, da hab ich immer gesagt: aufhörn. Sein Name war Zirkus Renz. Zirkus Renz und so beleidigende Sachen habe ich immer gesagt. Da haben sie sich einmal revanchiert, und es ist ihnen gut gelungen. Ich habe gesagt Bravo. Aber wir waren immer Freunde.
Zawinul: Und wer war der andere Trompeter?

Woelfle: Das war Maynard Ferguson.
Zawinul: Maynard hätte ich unbedingt erkannt, aber wir hatten schon reden angefangen. Für mich war Maynard einer der Superleute. Ein wirklich feiner Mensch! Durch ihn habe ich die Gelegenheit gehabt in Amerika zu bleiben. Ich habe ja nur ein Stipendium gehabt für vier Monate. Ich war in der Schule ungefähr drei Wochen, in Berklee. Da Klavierspieler, der vor der Ella in Boston gespielt hat, hat sich verkühlt. Die rufen die Schule an und mein Klavierlehrer sagt, der Joe soll spielen. Und der Schlagzeuger war der Jake Hanna. Nach dem ersten Satz ruft er Maynard an und sagt: „Da ist ein Pianoplayer here, du musst den hören. Ich sag Dir eins: ich zahle seine Fahrt nach New York und zurück und wenn er Dir nicht passt, zahl ich dem anderen Klavierspieler die zwei Wochen noch, was er haben muß.“ Ich bin am nächsten Tag nach New York gefahren und habe im Apollo Theater live gespielt mit Maynard Ferguson und den Job bekommen. Das hat mir dann geholfen. Der war Kanadier, kein Amerikaner, und doch hat er es durchgesetzt, dass ich eine grüne Karte bekommen habe. Für mich Österreicher war das unmöglich in diesen Zeiten. Unser Naziding ist so angehängt. Maynard war ein Gentleman total. Ich habe einen großen Respekt für ihn als Bandleader. Es war eine phantastische Band mit Don Ellis und Slide Hampton, und für eine kurze Weile Wayne Shorter. Slide und ich wir waren sehr gute Freunde ich habe mit seiner Familie dann gewohnt in Brooklyn. Slide hat den jungen Trompeter Freddie Hubbard für die Band vorgeschlagen. Und der Maynard war ein Mensch, der sich vor Niemandem gefürchtet hat. Seine Frau war kein Rassist; aber da waren jetzt mehr Schwarze drinnen wie Weiße in der Band. Da hat sie gesagt: “Pass auf, das ist nicht gut, das wird unbalanciert.“ Und der hat dann den Slide und mich und einige Leute herausgeschmissen. Ich war ihm immer dankbar und ich schätze den Menschen bis zu meinem letzten Atemzug. Wir haben mit Maynard auch in Atlanta gespielt, im Magnolia Ballroom. Die Dinah war die Hauptattraktion; also waren beide Bands gefeatured.

Und nachher war eine Jam Session in dem Hotel und ich habe Klavier gespielt. Da hat die Dinah über meine Schulter gesagt: „I like the way you play.“ Und hat mir die Telefonnummer zugesteckt. Ich habe sie aber nicht angerufen den ersten Sommer in New York. Ich habe keine Job gehabt, das war gleich nachdem Maynard mich aussigehaut hat. Einmal habe ich in Slides Haus um 2 Uhr nachts nicht schlafen können. Ich bin geschwind in die U- Bahn ins Birdland. Und das war so komisch. Ich mache die Schnalle (Klinke) so auf im Birdland und auf der anderen Schnallen war die Dinah. Und sie sieht mich und sagt: „You are the one who played in Atlanta Georgia, right?” Und sie hat mich eingeladen am nächsten Tag zum Village Vanguard zu kommen. Nach ihrem Eröffnungsstück ruft sie mich auf die Bühne und engagiert mich. Und dann bin ich 21 Monate dort geblieben.

Woelfle: Sie haben vorher erwähnt, dass Sie viel mit Mingus gespielt haben, wollen Sie vielleicht darüber noch etwas erzählen?
Zawinul: Wie ich noch New York gekommen bin, war da eine Jam Session. Meine erste Jam Session in New York war das. Und da Mingus hat Bass gespielt. Und da war ein Musiker. Und ich hab gesagt „I wanna go out and play with this guy.“ Und die haben gesagt: na pass auf, der Mingus ist gefährlich der hat schon einen Klavierspieler eine Watschn gegeben.” So I hab´ mi net gescherrt. Ich bin raufgangen und hab mit ihm gespielt und des hat dem wirklich gefallen wie ich gespielt hab und da hat der gesagt, seine Worte waren: „You are very very close.“ I war nur ungefähr a Wochn oder sowas in New York und da waren immer. Ich bin hochgegangen in so Welln. Wann immer I im Club gekommen bin und da hat der Jaki Byard mit ihm gespielt hat er mi immer angriffen zu spielen. Wir haben sehr gut zusammen gespielt.
Woelfle: Aber eine Aufnahme habt ihr nicht gemeinsam gemacht?
Zawinul: Na, nix.

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