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Jazzzeitung
2007/05 ::: seite 6
portrait
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Ihr Name verrät es: die Sängerin und Songwriterin Kristin Asbjørnsen
stammt nicht aus den USA, sondern aus Norwegen. Und doch hat sie sich
mit ihrem Album „Wayfaring Stranger“ afroamerikanischen Spirituals
gewidmet. Auch wenn die Vermutung naheliegen mag, es handle sich hier
um ein weiteres traditionelles Gospelalbum, schnell wird der Hörer
eines Besseren belehrt: Asbjørnsen vertieft sich mit ihrer ungewöhnlichen, äußerst
ausdrucksstarken Stimme und ihrem sehr freien improvisatorischen Ansatz
auf eigenwillige Weise in diese Musik – eine Bereicherung ungewöhnlicher
Art für die Jazzwelt.
jazzzeitung: Ruth Reese, die afroamerikanische Sängerin, vererbte
dir, als sie in ihrem norwegischen Exil starb, ihre Notensammlung amerikanischer
Spirituals. Außer diesen Liedern, was gab sie dir noch mit auf
den Weg?
Kristin Asbjørnsen: Es gab nur einige wenige, dafür aber
intensive Treffen zwischen mir und Ruth. Ich war 19, als ich sie kennenlernte,
das war bereits kurz vor ihrem Tod. Aber es stimmt, diese Zusammenkünfte
bedeuteten mir viel und bildeten die Grundlage für alles, was ich
von da ab machte. Einmal Ruths Blickwinkel auf die Traditionen von Spiritual
und Gospel und ihr fundiertes Wissen darüber.
Außerdem ihre Art, mich zu fordern, mir beizubringen, alles Überflüssige
aus der Musik zu tilgen, all die konventionellen Verzierungen abzustreifen.
Als ich Ruths Songbook erbte, erschloss sich mir eine ungeheure Menge
neuer Musik. Das zwang mich, meine eigenen Möglichkeiten weiter
zu erforschen, was meine Stimme angeht, aber auch meine Improvisationsmethoden.
jazzzeitung: Die Spirituals bildeten, so erklärst du es, alle Unwägbarkeiten
des Lebens ab, den Kampf um persönliche Freiheit und Unversehrtheit.
Was macht Sprirituals zeitgemäß genug, um mit ihnen ein ganzes
Album zu füllen?
Asbjørnsen: Obwohl die Sklaven jener Zeit unter
ganz anderen Umständen
lebten, im Zustand extremer Unterdrückung, besitzen die Gefühle,
die sie in diesen Songs ausdrückten, eine Allgemeingültigkeit.
Ich bezeichne das als existentiellen Ausdruck. Meiner Erfahrung nach
ist die Botschaft dieser Songs, ihre Kraft, nicht begrenzt durch Zeit,
Herkunft, Nationalität oder Glaube. Mich haben diese Songs sehr
berührt, sie bieten mir aber auch Raum, um zu sein.
jazzzeitung: Der Titel der CD, „Wayfaring Stranger“ ist einem
berühmten Song entlehnt, den sowohl Pete Seeger als auch Johnny
Cash gesungen haben. Was bedeutet das Stück für dich persönlich?
Asbjørnsen: Für mich ist es ein wundervoller Roadsong, ein „Travelling
Song“. Das Stück sagt viel Wahres über die Einsamkeit.
Aber auch über das, was wir miteinander teilen, weil wir ja alle
auf unserem Weg durchs Leben sind. Kennengelernt habe ich den Song als
Spiritual, aber es gibt auch eine Version etwa im Stil des Irish Folk.
Er ist gleichzeitig ein Beispiel für die universelle Kraft, die
Musik haben kann. Ich habe das Lied vor über 17 Jahren als eines
der ersten gelernt, es ist mir heilig!
Interview: Carina Prange
CD-Tipp
Kristin Asbjørnsen:
Wayfaring Stranger
(Emarcy / Universal 60251 7050617)
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