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Ausgabe April 1999

PORTRAIT

BARJAZZ, BACH & BLUES

Für David Gazarov sind Jazz und Klassik keine Gegensätze

Autor:
Ssirus W. Pakzad

Foto:
Ssirus W. Pakzad

gazarov.jpg (11319 Byte)Vier Männer, Marke Manager, sitzen mit aufgeklappten Aktenkoffern und Laptops um den einen Tisch, an einem anderen lassen sich gerade zwei Damen mit Pudelanhang üppige Sahnetorte schmecken, und schräg gegenüber genehmigen sich ein paar aufgedrehte Modehühner das eine oder andere Piccolöchen. Von dem Pianisten nehmen sie alle keine erkennbare Notiz. Zwei, drei anderen Gästen ist er allerdings schon aufgefallen, wie er da mit sanftem Anschlag ("mein Motto muß lauten: das leiseste Gespräch muß lauter sein als die Musik") und eleganten Bewegungen über das Elfenbein des weißen Klaviers huscht, wie er Broadway-Klassiker, Tagesschlager und Jazzstandards mit untrüglichem Swinggefühl dezent unter das Gemurmel der Hotelgäste befördert.

Der Mann am Klavier ist keiner dieser Bar-Pianisten, die ihr Leben lang auf Klang-Kulisse abonniert sind. An seinem Instrument gehört er ohne Zweifel zu den besten in Europa: blendende Technik, Riesen-Feeling, enorme Phantasie. Er stammt aus einem Land, das man nicht unbedingt mit Jazz in Verbindung bringt: Aserbai-dschan, wo er mit drei Vierteln armenischen Blutgehalts geboren wurde. David Gazarovs Vater war der Leiter der Fernseh- und Rundfunk Big Band in der Hauptstadt Baku. Er hatte seinen Sohn schon mit Jazz infiziert, als dieser noch kaum in der Lage war, richtige Sätze zu formulieren. Er ließ ihm eine klassische Ausbildung angedeihen und versorgte ihn andererseits mit dem begehrten Jazz-Gut, wo er nur konnte. Kein leichtes Unterfangen: Die Familie kaufte Touristen Jazz-Schallplatten zu horrenden Preisen ab und hörte verbotenerweise Willis Conovers Jazz-Sendungen auf der Welle von "Voice of America". Die Charts, die der Vater für die Big Band und die Noten, die der Nachwuchs fürs Klavierspiel benötigten, waren in Aserbaidschan nicht erhältlich, und so erarbeiteten sich die beiden ihre Jazz-Theorie und -Praxis nach Gehör.

"Wenn es eine Live-Sendung gab, mußte mein Vater wenigstens zwanzig Minuten diese sogenannte kommunistische Musik spielen, und dann sagte er in die Kamera oder ins Mikrophon: ‚Und jetzt werden wir euch mal zeigen, wie diese blöden Kapitalisten ihre Soldaten unterhalten.‘ Dann spielte er vierzig Minuten lang Stücke von Thad Jones, Mel Lewis, Miles Davis oder Dizzy Gillespie", schmunzelt David Gazarov. "Auf der Straße hat man meinen Vater häufig angesprochen. Man hat ihn natürlich nicht so direkt loben können, gab ihm aber sehr dezent zu verstehen, daß er unbedingt so weitermachen solle."

Der Sohnemann drückte zusammen mit der heute ziemlich bekannten Megazicke Aziza Mustafa Zadeh die Schulbank und studierte mit ihr am Konservatorium. Als die Sowjetunion Auflösungserscheinungen zeigte, reiste er in die russische Hauptstadt. In der Moskauer Musik-Akademie wurde 1989 ein Jazz-Studiengang eingerichtet, den David Gazarov wahrnahm und zu einem Abschluß-Diplom brachte. Nebenher hat er mit dem heute ebenfalls in München lebenden Jazz-Virtuosen Leonid Chizhik studiert. Nach München kam er 1992 mit einem Schallplattenvertrag in der Tasche. Als der auslief, mußte er sich Gedanken darüber machen, womit er seinen Lebensunterhalt bestreiten konnte. Er sprach schließlich im Hotel Bayerischer Hof vor und wurde dort tatsächlich als Barpianist verpflichtet. Nach zwei Probezeiten gehört David Gazarov dort als Hauspianist schon seit mehreren Jahren zum Inventar. Er ist in der großen Halle hinter dem Eingangsbereich zu hören, in der Piano-Bar und mit einer kleinen Konzertreihe, die ebenfalls in der Pianobar/ dem Nightclub über die Bühne geht. "Ich mag alle dort, und alle dort mögen mich. Unsere Beziehung hat wohl längst ein freundschaftliches Niveau erreicht", sagt er über sein Engagement im Bayerischen Hof. Doch die Aktivitäten im Münchner Luxus-Hotel bleiben selbstverständlich nicht die einzigen. Der Pianist, der Oscar Peterson, Bill Evans und Herbie Hancock als seine großen Vorbilder benennt, spielt die unterschiedlichsten Gigs, nimmt immer wieder CDs unter eigenem Namen auf und arbeitet derzeit recht häufig mit den Bamberger Symphonikern. Mit dem Orchester, zu dem er auf Empfehlung des Posaunisten und RIAS-Big-Band-Leiters Jiggs Wigham kam, führte er seine ganz eigene Fassung von "Rhapsody in Blue" auf, spielte ein Schönberg-Programm und gastierte gar in Djakarta, wo er mit der Blech-Sektion der Symphoniker vier Konzerte unter das Motto "Bach, Blech und Blues" stellte. Dafür hat er etwa die e-Moll-Fuge aus dem Wohltemperierten Klavier neu instrumentiert. "Was Bach da geschrieben hat, war Bebop pur", schwärmt Gazarov.

München ist mittlerweile längst zu seiner zweiten Heimat geworden. "Ich mag es hier", sagt der Meisterpianist, moniert allerdings, daß sich sowohl Publikum als auch Kollegen manchmal etwas seltsam gegenüber hier lebenden Musikern verhalten. "Es ist mir öfter passiert, daß mir jemand zugehört hat und danach begeistert auf mich zukam. Man sagte mir dann, daß ich toll gespielt habe und fragte mich, wann ich denn mal wieder in die Stadt käme. Wenn ich dann gesagt habe, daß ich hier zu Hause sei, konnte ich förmlich die Enttäuschung auf dem Gesicht meines Gegenübers erkennen. Das ist einfach nicht zu verstehen, daß der lokale Musiker nichts gelten soll. So etwas finde ich schade."

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