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Ausgabe April 1999

MUSIK UND POLITIK

COME SUNDAY

Neues Festival im Einstein

Autor:
Ralf Dombrowski

Foto:
G.Lutz

Fred van HoveCome Sunday - Musik
Der Zeitpunkt bot sich an, denn die magische 2000-Marke der Bilanzen rückt näher. Und der musikhistorische Dreischritt – Was war?/Was ist?/Was könnte kommen? – wurde in München mit Blick auf die Avantgarde lange nicht mehr vollzogen. Also trafen sich unter den Motto Come Sunday 18 Musiker zu sechs Konzerten in den Kellerräumen des Kulturzentrums Einstein, um ein wenig durch die Geschichte der Improvisation zu schlendern. Das Panorama der künstlerischen Ausdrucksformen war weit, und der Blick in Vergangenheit und Gegenwart dominierte den Klangmarathon.

Da gab es den belgischen Pianisten Fred van Hove. Dieser Ahnherr der freien Spielformen, der einst im Trio mit Peter Brötzmann und Han Bennink die europäischen Hörgewohnheiten herausforderte, umrahmte das International Improvisers & Composers Forum Munich mit zwei Konzerten. Als Solo-Künstler eröffnete er vormittags die Veranstaltung mit einer Feldstudie zum Ausdrucksspektrum des Klaviers. Er ließ Golfbälle in den Saiten tanzen, schlug und zupfte, strich und klopfte das Instrument. Mit schelmisch hintersinnigen Querverweisen auf zeitgenössisch klassische Tonexperimente von Conlon Nancarrow bis György Ligeti und reichlich Lust am dynamischen Kräftespiel entwickelte er eine clevere und packende Zusammenfassung zu den Möglichkeiten experimenteller Gestaltung. Sein neunköpfiges ‘t Nonet am Abend wirkte im Vergleich dazu behäbig altbacken wie eine mit neodadaistischen Klangintarsien geschmückte Antiquität aus dem experimentellen Fundus.
Der Pianist Georg Gräwe wiederum erinnerte sich mit eigenem Quartett und im Duo mit dem Posaunisten Sebi Tramontana an die stilistischen Errungenschaften der Siebziger, arpeggierte enge Akkorde, bis sie clusterhaft erschienen, und alterierte Harmonien und Skalen, bis sie uneindeutig offen wurden. Hier gab es, wie bei dem Quartett "On Monday You May See Her Again" um den Schlagwerker Paul Lovens, reichlich Déjà Entendues, auch wenn alle drei Projekte mit trancehafter Kraft und expressiver Energie das Publikum begeisterten. Nur das Duo des Geigers Philipp Wachsmann mit dem Soundtüftler Paul Lytton fiel schließlich aus dem engeren Kontext des Free-Jazz-Erbes heraus und widmete sich der behutsamen, leisen Verknüpfung von Musik und Geräusch. Ihre collagenhaften Tongebilde aus rhapsodischen Melodien, blubbernden und glucksenden, perkussiven und erdenfernen Klangangeboten öffnete die Wahrnehmung auf die komplexen Schichtungen der Neuen Musik wie auf dekonstruktivistische Ideen. So war Come Sunday vor allem eine Bestandsaufnahme vorhandener Ausdrucksformen, die durchaus noch etwas mehr Jugend vertragen könnte. Aber das nächste Projekt ist ja schon geplant. Im Mai wird der Kontrabassist Barry Guy als Composer in Residence zu Gast sein. Es bleibt spannend.

Come Sunday – Kulturpolitik
Erstaunlich ist nicht, daß sie sich gemeinsam an den Tisch setzen, um zu diskutieren. Erstaunlich ist, daß sie es erst jetzt tun. Denn eigentlich, stellte sich heraus, ist die zeitgenössische Improvisierte Musik nichts anderes als eine, vielleicht gar die zentrale Grundlage künstlerischen Schaffens in der Gegenwart. Doch der Reihe nach.

Das International Improvisers & Composers Forum Munich soll sich nicht nur um die Darstellung aktueller musikalischer Prozesse bemühen. Das Konzept der Veranstaltungsreihe beinhaltet auch die öffentliche Auseinandersetzung über die mentalen, kulturellen und kulturpolitischen Grundlagen, in denen sie stattfinden. Aus dem Grund versammelten sich bei Come Sunday sechs Diskutanten unter der Leitung des Musikkritikers Reinhard Schulz auf der Bühne der Unterfahrt und kommunizierten: Francesco Martinelli, Musiker und Festivalleiter, Steve Lake, Plattenproduzent und Journalist, Phil Wachsmann, Musiker, Markus Müller, Musikjournalist und Publizist, Christof Reiserer, Saxophonist und Komponist, und Zoro Babel, Schlagwerker und Komponist.
Die Aussagen ähnelten sich, doch die Gewichtungen waren verschieden. Während die altgedienten Vertreter der kreativen Szene nimmermüde die Bedeutung der Improvisierten Musik als Impuls für modernes Komponieren und als Bindeglied zwischen den stilistischen Gattungen von Jazz und zeitgenössischer Klassik beschworen, stellten sich für junge, aktive Künstler wie Babel die Probleme der Väter nicht mehr. Denn faktisch hat der Brückenschlag zwischen den vermeintlich divergierenden Klangwelten bereits stattgefunden. Die Grenzen zwischen Komposition und Improvisation, zwischen Festlegung und Öffnung sind längst überschritten und werden, wie nur beiläufig angedeutet, etwa von DJs bereits ausgiebig als Spannungsmomente genutzt. Wertungen sind uninteressant, Funktionen stehen im Vordergrund.
So kam neben den ästhetischen Fragen die Diskussion immer wieder auf die kulturpolitischen Weichenstellungen zu sprechen. Denn hier, wurde einhellig festgestellt, fehlt es an allen Ecken. Weder die Klassiklobby, noch die Jazzkünstler fühlen sich für die Improvisierte Musik zuständig. Daraus resultiert, auch der Meinung Fred van Hoves im vorangegangenen Podiumsgespräch nach, daß ihre Interessen in der Regel nicht wahrgenommen werden. Ob Festivals oder Konzertveranstalter, Sponsoren oder Subventionen, die Improvisierte Musik ist außen vor, weil zuweilen schwer zu hören und daher am besten live zu vermitteln. So schwebte über der illustren Runde der Appell an die Verantwortlichen, Konzertreihen wie Come Sunday doch öfter und besser subventioniert zu kultivieren. Denn genau in solchen Foren finde Entwicklung statt. Da die kreative Republik derzeit den Millenium-Schlaf schlummert, hätte die Stadt München die Möglichkeit, mit derartigen Aktivitäten wieder kulturell soweit vorne zu stehen, wie sie von sich gerne behauptet, es zu tun. Mut ist gefragt, Experimente zu wagen. Und vielleicht auch bei der nächsten Gesprächsrunde ein paar strittigere Partner auf die Bühne zu setzen. Da gibt es zum Beispiel die GEMA, den Bayerischen Musikrat, Stadträte, Landtagsabgeordnete und viele andere, die noch überzeugt werden wollen.

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