Ausgabe November 1998STORYOldtime Jazz Ein Essay über Dixieland und das herrliche Gefühl der Freiheit Autor: |
Autorenbesprechung. Es geht um "Jazz in Bayern II". Es steht die
Meinung im Raum, daß es immer weniger gut aufeinander eingespielte Bands gibt. Die
"Telefonbands" mit all ihren Negativ-Auswirkungen werden immer mehr. Sollte man
sich nicht einmal in einem Artikel Bands widmen, die schon lange Zeit zusammenarbeiten ?
Etwas verlegen, fast ein wenig hämisch ist plötzlich zu hören: "Da werden wir dann
lauter Dixielandbands bekommen", und das findet irgendwie kaum einer gut. Man
muß das schon ein wenig reflektieren: Ausgerechnet die Musiker, die dauernd in einer
bierseligen Frühschoppenecke angesiedelt werden, arbeiten anscheinend am
kontinuierlichsten über lange Zeiträume an ihrer Musik. Wer hätte das gedacht ?
Einige Zeit später brachte mir Andreas Kolb vier CDs mit Dixielandgruppen, ob ich mich ihrer annehmen könne, er habe niemanden unter unseren Autoren, der sie besprechen wolle. Nun habe ich vor dreißig Jahren selbst mit einer Dixieband gearbeitet und dies gerne. Swing spiele ich heute noch und auch das gerne. Das allein führt natürlich nicht unbedingt zu Kompetenz, aber ich will es versuchen. Back to the roots! Als Joe Viera Anfang der siebziger Jahre mit den Burghausener Jazzkursen begann, stieß ich als Dozent dazu. Die ersten Jahre verirrten sich immer noch ein paar Dixielandmusiker zu uns, die dann langsam wegblieben. Nicht daß die Wurzeln des Jazz nicht gebührend akzeptiert wurden, sie wurden nur nicht unterrichtet. Ausgangsbasis war offiziell der Bebop, praktisch vielfach der Swing. Lag das vielleicht schlichtweg daran, daß es ganz einfach ziemlich schwer ist, aus dem Stegreif drei korrespondierende Melodielinien zu schaffen, schwerer jedenfalls als eine einfache Swingmelodie unisono zu spielen ? Als ich etwa zur selben Zeit in meinem Jazzkeller mit meinen Freunden im Dixie/Swing-Idiom musizierte, sagte ein junger Kollege im Vorübergehen verächtlich zu mir: "Opas Jazz ist tot!". Einige Monate später begegnete ich ihm wieder, als er sich bei einem Burghausener Kurs mit Ragtime herumschlug. Ich sagte zu ihm: "Opas Jazz ist tot!", er meinte: "Es muß sein back to the roots!" Einverstanden. "Oldtime"-Jazz ist eine Art Oberbegriff für alles, was vor dem Bebop passierte, also zwischen 1910 und 1940/50 etwa. Der Begriff ist so pauschal schwammig und unzureichend wie die später geprägte Bezeichnung "modern" Jazz, mit dem die Entwicklungen seit dem Entstehen des Bebop zusammengefaßt werden. So unterteilte man den "Oldtime" in die "Two Beat"- und die "Four Beat"- Stile, womit einer rhythmischen Entwicklung Rechnung getragen wurde. Bei den ersteren werden im 4/4-Takt zwei Viertel betont, bei letzteren alle vier Viertel gleich behandelt. Zu den "Two Beats" zählen der "New Orleans"- und der "Dixieland"- Jazz, vielleicht auch noch der "Chicago"- Jazz, soweit er nicht bereits dem "Swing" und damit dem "Four Beat" zuzurechnen ist. Natürlich gab es vor "New Orleans" auch noch zum Jazz führende oder in ihn einmündende Musik. So spricht man bei den blasmusikverhafteten Erscheinungen von "archaischem" Jazz und einer "echten" (zunächst klavierverhafteten) Ausprägung von "Ragtime". Schließlich haben diese "alten" Stile immer wieder Erneuerungen (Revivals, Renaissancen oder wie auch immer) erfahren und werden ganz munter heute noch gespielt. Wer sich eingehender mit der historischen Entwicklung befassen will, wird mit Joachim Ernst Berendts Jazzbuch seit 1953 nach wie vor bestens bedient. Opas Jazz ist also keineswegs tot. Er ist auch nicht auf Frühschoppen und ähnliche Veranstaltungen beschränkt, auch wenn er meist in derartigem Rahmen praktiziert wird. Als ich 1952 Louis Armstrong mit seinen All Stars erstmals hörte, spielte er nicht in einem der von uns durchaus geschätzten, verräucherten Jazzlokale, er gab ein Konzert im riesigen Kongreßsaal des Deutschen Museums in München. Wie oft wird einem heute noch "Oldtime"-Jazz in solcher Art und Umgebung präsentiert ? Solange ich denken kann, gab es allerdings zwei Lager innerhalb der Jazzgemeinde: die "Oldtime"- und die "modern"-Fans. In den siebziger Jahren arbeitete ich mit einer Dixieland- und einer moderneren Gruppe. Es gab immer wieder Ärger unter den Kollegen. Bei einem gemeinsamen Konzert wollte der Bassist der Dixielandformation in der Konzertpause aussteigen, weil ich angeblich die modernere Besetzung bevorzugt habe, diese länger spielen ließe. Die Kollegen konnten den Verärgerten zurückhalten, der Bandmitschnitt erwies später, daß die Dixielander zwei Minuten mehr Spielzeit hatten (Gott sei Dank!). Der Konflikt ist und war keine speziell deutsche Angelegenheit. Als Charlie Parker, Dizzy Gillespie, Thelonious Monk und viele andere den Bebop auf den Weg brachten, sahen zahlreiche Musiker, Autoren und Fans den Untergang des Jazz anbrechen. Heute können wir diese Fehleinschätzung genüßlich goutieren. Der Dixieland-Jazz verdankt dem Bebop eine regelrechte Renaissance, die über England ganz Europa erreichte. In Amerika wurde dies zum Teil schon recht verärgert registriert. So meint Dave Brubeck Mitte der fünfziger Jahre lakonisch: "Macht mich krank, wenn ich sehe, wie ein junger Mensch Dixieland spielt. Vom Standpunkt des Publikums aus ist es sogar noch schlimmer: immer nur Tonika-, Dominant- und Subdominant-Akkorde in praktisch allen Stücken." Er fährt dann allerdings fort: "Der Dixieland hat aber durchaus auch eine erfreuliche Seite, und das ist die Verwendung des Kontrapunktes, der im Swing verlorengegangen ist. Diese Polyphonie hat man nun in einer Dixie-Gruppe immer, und das ist ein herrliches Gefühl, ein herrliches Gefühl der Freiheit..." In den sechziger Jahren wurde eine ganze Berendt-geprägte Generation plötzlich durch die These erschüttert, daß "der Jazz letztlich durch die Weißen, speziell durch die Original Dixieland Jazz Band geschaffen worden sei". Bei uns war Horst H. Lange ein Anhänger dieser Theorie. Wir hatten alle bei Berendt gelernt, daß die Schwarzen diese Musik quasi mit der Muttermilch aufgesogen hätten, wir deshalb sowieso nicht mithalten könnten und jetzt das. Die Anhänger der These stützten sich auf ein Buch über die ODJB von H. O. Brunn und Forschungsergebnisse der Tulane University im Lande des Jazz. Es dauerte geraume Zeit, bis sich der Sturm wieder legte, der natürlich vom "modernen" Lager mit einer gewissen Häme kommentiert wurde. So verlief die Entwicklung auch der alten Jazzstile kontinuierlich bis in unsere Tage. Immer noch finden sich auch junge Leute, die sich darin ausdrücken wollen und Möglichkeiten zur Verwirklichung eigener Vorstellungen sehen. Solange das so ist, kann von "tot" keine Rede sein. Ältere Jazzstile sind, genauso wie historische Erscheinungsformen anderer Musikrichtungen, nicht automatisch wegen ihres Alters nicht mehr lebendig. Solange sie von heutigen Musikern mit Leben erfüllt werden, ihr Lebensgefühl widerspiegeln, Ausdrucksmöglichkeit, Sprache sind, solange leben sie. Wir wollen künftig in der JazzZeitung an einer differenzierteren Sichtweise dieses Bereiches mitarbeiten und dazu etwas in die Geschichte eintauchen. Dazu statten wir im nächsten Heft als erstem Louis Armstrong einen Besuch ab. Literatur:Joachim Ernst Berendt: "Das Jazzbuch, Von New Orleans bis in die achtziger Jahre",
überarbeitet und fortgeführt von Günther Huesmann, Fischer Taschenbuchverlag, Nat Shapiro - Nat Hentoff: "Jazz -
erzählt / Hear me talkin to ya" H. O. Brunn: "The Story Of The Original Dixieland
Jazz Band" |
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