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Ausgabe November 1998

PORTRAIT

Schwerelose Lyrik

Der Trompeter Art Farmer auf Tournee

Autor:
Reinhard Köchl

Fotos:
Helge Heinemann

Tourdaten:
Art Farmer tritt zusammen mit dem Tommy Flanagan Trio, Johnny Griffin und Vanessa Rubin am Samstag, 7.11., in Salzburg, am Mittwoch, 11.11., in Nürnberg im Karstadt Kultur-Cafe und am Donnerstag, 12.11., im Bürgerhaus Unterschleißheim auf. Am Sonntag, 8.11., gastiert er nur mit Flanagan und seinem Trio (Peter Washington, Lewis Nash) im "Birdland" in Neuburg/Donau.

farmer.jpg (12608 Byte)Das Interview, welches das Nürnberger Karstadt Kultur-Cafe in seiner Vorschau auf das bevorstehende Sonderkonzert des Protagonisten mit dem Tommy Flanagan Trio, Johnny Griffin sowie der Sängerin Vanessa Rubin am Mittwoch, dem 11. November abdruckte, würde bereits ausreichen, um ein punktgenaues Profil von Art Farmer zu skizzieren. Wenn die Frage "Wo würden Sie gerne leben?" lautet, entschlüpfen ihm als Replik allenfalls vier Worte: "Wien oder New York". Und so geht es weiter: "Perfektes musikalisches Glück?" – "Eine gute Rhythmussektion." "Welche Art von Musik hat Sie als erstes beeindruckt?" – "Kann mich nicht erinnern." "Lieblingsbeschäftigung?" – "Musik." "Was schätzen Ihre Freunde an

Ihnen?" – "Weiß nicht." "Haben Sie spezielle Ängste oder Sorgen?" – "Nein." "Wünsche für die Zukunft?" – "Besser spielen." "Ihr Motto?" – "Gut leben." Eingedenk der Tatsache, daß sich der für gemeinhin eher schweigsame Trompetenvirtuose überhaupt auf ein solch plattes Zwiegespräch einließ, scheint es überlegenswert, den Artikel exakt an dieser Stelle zu beenden. Der Leser weiß nun im Prinzip alles über Arthur Stewart Farmer.

Wenn da nicht noch seine Musik wäre. Musik, die ein seltsam betörendes, völlig aus dem Rahmen fallendes lyrisches Flair verströmt, voll von melodischem Reichtum sowie pulsierendem Swing steckt und dennoch seit Jahrzehnten vom Publikum allenfalls beiläufig zur Kenntnis genommen wird. Art Farmer setzt einen unscheinbaren Kontrapunkt als ästhetisches Korrektiv. Heute inmitten der Heerschar gipfelstürmender Jungtrompetenstars bewußter denn je, wenn auch mit der seit 50 Jahren typischen zurückhaltenden Art. Wenn der Mann spricht, spricht er leise. Wenn er spielt, spielt er leise und läßt an jedem Ort der Welt das Klappern der Kaffeelöffel, das Klirren der Weingläser, kurzum sämtliche enervierenden Nebengeräusche verstummen. Nur ja jede Nuance dieser Kunst aufschnappen, nichts davon verpassen.

Seine Spielweise sei "linear", befand Miles Davis irgendwann in den Achtzigern, hob dabei lässig die Hand und zog einen akkuraten Strich durch die Luft. Miles schickte allerdings prompt hinterher, daß er "linear" keinesfalls mit spannungsarm oder langweilig gleichsetze. "Art verfügt über eine ganz besondere lyrische Qualität. Ich liebe seine schwerelose Art."

Die heute 70jährige Ikone des Hardbop schafft es, einen Nonkonformismus zu entwickeln, der völlig ohne Vorsatz entsteht. Da gibt es keine strahlende Phrasierung, keine aggressive Attacke. Warm, delikat, geschmeidig, stets kontrolliert wirkt seine Art, Noten zu modellieren, sie handstreichartig in emotionale Statements zu verwandeln. Bei der Umsetzung seines musikalischen Ideals hilft ihm die spektakuläre "Flumpet" (eine Kreuzung aus Trompete und Flügelhorn), das unkonventionelle Resultat jahrelangen Tüftelns, sowie ein treffsicherer geschmacklicher Instinkt bei der Suche nach kongenialen Partnern.

Denn einer wie er weiß um die enorme Bedeutung eines musikalischen Kollektivs, gerade weil der am 21. August 1928 in Council Bluffs/Iowa geborene und seit langem in Wien lebende Trompeter noch nie ein Freund affektierter Egotrips war. Sein Faible für einen stimmigen Ensembleklang entwickelte der Sproß einer Musikerfamilie bereits in der Schule, wo er Klavier, Geige, Tuba und Trompete erlernte. Mit seinem Bruder, dem Bassisten Addison Farmer, kam Art 1945 nach Los Angeles und spielte 1948 mit dem Pianisten Jay McShann in Kansas City seine erste Platte ein. In der Frühphase seiner Karriere arbeitete er unter anderem mit Benny Carter, Teddy Edwards, Sonny Criss, Gerald Wilson, Wardell Grey, Charles Mingus, Lionel Hampton, Gigi Gryce, Horace Silver und Gerry Mulligan, mit dem er 1958 auch die Filmmusik zu "I Want To Live" aufnahm.

Im selben Jahr gewann Farmer erstmals den "Down Beat"-Poll in der Sparte "Trompete", veröffentlichte vielbeachtete Platten unter eigenem Namen wie "Work Of Art" oder "Farmer’s Market" und gründete 1959 gemeinsam mit Benny Golson sowie Curtis Fuller das legendäre "Jazztet". Mit "Killer Joe" landete die Allstarband gleich einen Hit, schrieb stilistisch ein Stück Jazzgeschichte und ebnete in mehreren Besetzungen erfolgversprechenden Talenten wie dem jungen McCoy Tyner den Weg. Als Solist stach er unter anderem mit George Russell, Quincy Jones, Oliver Nelson, Jim Hall, Steve Swallow, Ron Carter, Jimmy Heath, Jeremy Steig, Art Pepper, Yusef Lateef, Ray Bryant, Cedar Walton, Bill Evans, Tony Williams sowie Clifford Jordan oder den Bigbands von Kenny Clarke/Francy Boland sowie Peter Herbolzheimer hervor. In Europa, das er oft für Tourneen bereiste, ließ sich Farmer erstmals 1968 nieder, als er festes Mitglied der ORF-Bigband in Wien wurde. Dort blieb er zunächst für zehn Jahre, kehrte dann aber endgültig 1982 zurück.

Mit Unterstützung bekannter österreichischer Musiker wie Fritz Pauer oder Harry Sokal sowie des wiedervereinigten "Jazztets" eroberte Art von Europa aus sogar den japanischen und den amerikanischen Markt. In Wien gründete er eine Familie, in welcher der Apfel natürlich nicht weit vom Stamm fiel: Sein Sohn George Farmer zupft wie weiland Onkel Addison den Baß. Bis zum heutigen Tag verkörpert die Donaumetropole Arts Alters-Unruhesitz, weil es sich hier bekanntermaßen leicht und in Ruhe leben, aber auch erstaunlicherweise recht gut arbeiten läßt.

Den Rummel zu seinem Siebzigsten erträgt der zurückhaltende Gentleman in in Ruhe. Viel zu viel Aufhebens, denkt er wahrscheinlich, ohne etwas zu sagen. Sprechen soll da lieber seine Musik.

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