Ausgabe
Juli/August 1998 STORY: PORTRAIT MEMORIAL EVENTS INTERVIEW NEUE CDs BÜCHER |
"Würde der nächste
Bundestag ausschließlich von Jazzfans gewählt werden,
dann würden die Parteien der Regierung Kohl an der
Fünf-Prozent-Klausel scheitern (CDU 2,3%, FDP 2,8%), und
im Bundestag wären nur noch zwei Parteien vertreten: Die
SPD würde mit 27,4 Prozent weiterhin die Oppositionsbank
drücken, und die Grünen, so sie denn wollten, die
alleinige Regierungsverantwortung tragen, mit einem
Stimmenanteil von 60,1%." Auch wenn man weiß, daß
Jazzfans weder Durchschnitt noch schweigende Mehrheit
sind, dieses Zitat aus einem lesenswerten Artikel über
"Jazz und Politik" von Ekkehard Jost fand ich
doch bemerkenswert (in: "Populäre Musik, Politik
und mehr ... ein Forschungsmedley", Coda, 1998, ISSN
0943-9242). Die Zahlen sind von 1990, ob sie am 27.
September 1998 noch Gültigkeit hätten, wer weiß? Und
wie würden Bayerns Jazzfans wählen, unterstellt man
ihnen, daß sie unter den sowieso schon rebellischen
Jazzern nochmals eine eigensinnige Fraktion bilden? Haben
Jazz und Politik überhaupt etwas miteinander zu tun? Es
gibt Themen, die mir spontan dazu einfallen: die
Verfolgung der Swing-Jugend im Nazi-Deutschland, die
amerikanische Bürgerrechtsbewegung. Oder konkreter Sonny
Rollins' "Freedom Suite", das AACM in Chicago,
die Liberation Music von Charlie Haden, Charlie Mingus
und seine "Fables Of Faubus". Oder, um noch
einmal ein Beispiel aus Deutschland zu nehmen, die
Diskriminierung des Jazz in der ehemaligen DDR sowie
linksradikale Blasorchester in der Bundesrepublik der
achtziger Jahre. Kurz vor dem Jahr 2000 scheinen die
Zeiten, in denen Jazz etwas mit Politik zu tun hatte,
endgültig vorbei zu sein. Heute kommt dem Jazz weniger
eine politische als eine wirtschaftliche Bedeutung zu.
Das Geld der öffentlichen Hand wird knapper, Jazzclubs
müssen scharf rechnen, um noch attraktive Programme
machen zu können. Auf der anderen Seite sind Konzerte
von Stars wie Oscar Peterson und George Benson um
nur zwei große Namen zu nennen, die im Juli in Hamburg
und München zu Gast sind nach wie vor lukrativ
für Veranstalter. In den Sommermonaten 1998 drängeln
sich wieder die großen und kleinen Festivals. In Bayern
wären da der altbewährte Münchner Klaviersommer sowie das neuinstallierte
JazzClassica Festival im Schloß Elmau. Die Alternativund
Familienfestivals "Fest '98" im Feierwerk sowie
Tollwood präsentieren Jazzmusik in immer größerem
Umfang. In Regensburg bleibt das 17. Jazzweekend als
kombiniertes Jazzund Stadtfest unübertroffen. Beinahe
500 Musiker erwartet Initiator Richard Wiedamann in
diesem Jahr. Die reiche Architektur Regensburg bietet zudem wohl eine
einmalige Kulisse für Musiker und Zuhörer. Hamburgs
Beitrag zum Festivalsommer ist das West Port Jazz
Festival. Die großen Feste des Jazz haben begonnen, von
Rezession und Krise ist da nichts zu spüren. Feiern wir
mit! ANDREAS KOLB |