Ausgabe
Juli/August 1998 REISSUES Neue Impulse von Gestern Acht legendäre Impulse-Alben feiern ihr Comeback auf CD Die digitalen Acht: McCoy Tyner
Trio John
Coltrane John
Coltrane Elvin Jones
/ Archie
Shepp Archie
Shepp Pharoah
Sanders Pharoah
Sanders Sun Ra Autor: Markus A. Woelfle |
Bob Thieles Label Impulse!,
das janusgesichtig Avantgardisten wie John Coltrane und
Archie Shepp sowie Altmeister aufnahm, die keinen
musikalischen Stillstand kannten (Cole-man Hawkins), war
wohl neben Blue Note jene Jazzfirma, die unser Hörbild
der 60er Jahre am stärksten geprägt hat. Acht
Impulse-Alben feiern nun wieder ihr digitalisiertes
Comeback. Im Digipack gleichen sie äußerlich jenen
legendären Alben mit den schwarz-rote Rücken, die
Jazzsammler so entzücken; viele von ihnen warten mit
Bonus-Tracks auf. "Reaching Fourth" zeigt uns McCoy Tyner auf dem Weg zu sich selbst. 1962 war er schon seit zwei Jahren bei Coltrane. Sein im gleichen Januar entstandenes Leader-Debut "Inception" hatte zwar vereinzelt noch Evansismen und Powellismen, doch seine volltö-nenden Cluster und modalen Kompositionen, die der Sololinie größtmögliche Freiheit lassen, sind unverkennbar. Ähnlich wirkt auch sein im November eingespieltes, zweites Album, doch ersetzte er hier Davis und Elvin Jones seine Kollegen vom John-Coltrane-Quartett, durch den Bassisten Henry Grimes und den Drummer Roy Haynes. Das Resultat ist ein lichtes, entspanntes, gutgelauntes, relativ "traditionelles" Album. Wer die von Tyner bei Coltrane erzeugte wuchtige Klangdichte im Ohr hat, fühlt sich fast in Red-Garland-Stimmung zurückversetzt. Coltrane selbst ist unter den Reissues mit "Living Space" und "Live At the Village Vanguard. The Master Takes" vertreten. Das Village-Album vereint erstmals jene Aufnahmen der in der Jazz-Zeitung, vom April 98 (21f.) besprochenen Box, die einst auf "Live At the Village Vanguard" und "Impressions" verstreut waren. Da der Sammler hier nur das Bekannteste findet, die Box andererseits leicht erschwinglich und beglückend ist, sei das Album eher Trane-Einsteigern empfohlen. "Living Space" gehört wie "Transition" zu den zahlreichen Aufnahmen vom Juni 1965, die zwei Wochen vor "Ascension" entstanden, aber zu Coltranes Lebzeiten nicht erschienen. Beide Alben dokumentieren Coltranes klassisches Quartett mit McCoy Tyner, Jimmy Garrison und Elvin Jones kurz vor seiner Auflösung. Beim Titeltrack "Living Space", der Coltranes orientalisierendes Sopran im Overdub vorführt, liegt sogar der kuriose Fall vor, daß sei-ne Erstveröffentlichung eine Bearbeitung darstellte. Alice Coltrane hatte für das Album "Infinity" eine effektvolle Streicher-Bearbeitung hinzugefügt, die die Aufnahme wohl in noch himmlischere Sphären entrücken sollte. Das hymnische, vom Muster seines Wohnzimmerteppichs inspirierte Thema, dem die Würde eines gregorianischen Chorals eignet, ist ein unvergeßlicher Ohrwurm, der zu einem seiner eindringlichsten Solos führt. In ihrer Originalform erschienen diese Aufnahmen erstmals 1978 (als CD 1987), auf dem Doppelalbum "Feelin' Good", doch damals noch ohne "The Last Blues", einer Trouvaille aus dem Besitz von Ravi Coltrane, die allein schon den Kauf des Albums lohnt. Die gleiche Coltranesche Rhythmusgruppe wirkte auch 1963 am Album "Illumination" des Elvin Jones-Jimmy Garrison-Sextetts mit. Sie bildet den kraftvoll vorantreibenden "Unterbau" zu den Bläsern, den Neutönern Prince Lasha (cl, fl), Sonny Simmons (as, Englischhorn) und dem traditioneller boppenden Charles Davis (bars). So angeregt improvisiert wird, so reizvoll die exotischen Themen auch sind da finden sich orientalisierende Blüten neben einem kuriosen afro-schottischen Tanz , so ist doch der qualitative Abstand zu Coltranes zeitlos gültigen Alben zu groß, als er sich verhehlen ließe. Aus hi-storischer Warte ist es freilich interessant wieder Musikern wie Lasha und Simmons damals ein häufiges Team zu begegnen, die damals an der vordersten Front der Avantgarde agierten, aber um die es in den letzten Jahrzehnten allzu still geworden ist. Man hört Ideen heraus, die von Coltrane, vor allem aber von Eric Dolphy stammen (könnten), aber noch vergleichsweise unverdaut, ohne deren Dringlichkeit und überlegene gestalterische Konsequenz. Wie unterschiedlich das unmittelbare Coltrane-Erbe ausfallen konnte, zeigen auch die Alben von Archie Shepp und Pharoah Sanders. Pharoah Sanders panafrikanischer Hymnus "Black Unity" (1971) und Alice Coltranes "Journey In Satchidanda" (1970), eine ins Esoterische gewendete Reduktion von Trane errungener avantgardistischer Komplexität. Mit einem durch Oud und Tamboura verstärkten Hauch von Osten, ätherisch rauschend, öffnet der Ex-Free-Jazz in ehrlichem spirituellen Bemühen flo-wer-powerischer Friedlichkeit die Pforten. Einen völlig eigenständigen Weg der Coltrane-Nachfolge beschritt Archie Shepp auf seinem Album "Four For Trane" mit einem pianolosen Sextett, dem unter anderem der Posaunist Roswell Rudd angehörte sowie der Ornette-Coleman-Schlagzeuger Charles Moffett, dessen Tod am 14.2.97 nahezu unbeachtet blieb. "Four For Trane" hat seit 1964 nichts von seiner Modernität eingebüßt. Obwohl Shepp hier Kompositionen Coltranes interpretierte, Coltranes Tenor-Sound damals allgemein vorbildlich geworden war (man höre nur Shorter oder Lloyd), ging das von Coltrane arrangierte Debut seines jungen Freundes in eine ganz andere Richtung: Berstend wie Eddie Lockjaw Davis, vibratoreich wie Ben Webster und an Rollins geschult brachte Shepp den dramatischen Sound der Coleman-Hawkins-Schule beißend verfremdet in diesen Kontext ein. |
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