Ausgabe
Juli/August 1998 PORTRAIT So Near, So Far Der Tenorsaxophonist Johannes Enders Neue CD: Johannes Enders: Autor: Hans-Jürgen Schaal Fotos: Ralf Gerard
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Manchmal hat Johannes Enders
das Gefühl, er müsse versäumte Jugendsünden
nachholen. Dann tut er sich im heimischen Weilheim mit
Rockbands zusammen oder spielt auf Acid-Jazz-Sessions
für Münchens Nachtschwärmer. Als Teenager blieb ihm
für solche Eskapaden nur wenig Zeit: Mit 16 entdeckte er
Charlie Parker, und von da an widmete er sich dem Jazz
mit allem jugendlichen Ernst. Schon den Teenager kannte man in der Münchner Szene. Seine bescheidene Art gewann ihm alle Sympathien, seine 2-Meter-Statur war kaum zu übersehen, und sein Saxophonspiel verriet bereits Autorität und einen Zug ins Große. Mit 23 Jahren konnte Johannes Enders eine nicht alltägliche Bilanz vorweisen: zweimal erste Preise beim Internationalen Jazzwettbewerb in Österreich, ein Stipendium an der New School in New York, Plattenaufnahmen mit Harry Pepl und Joe Locke, einen Silver Award beim American MusicFest in San Francisco, eine Finalteilnahme bei der Monk Competition in Washington, D.C. (Letztere gewann damals im übrigen ein gewisser Joshua Redman.) "Mein Aufenthalt in New York war für mich die beste Zeit meines Lebens", sagt Enders. "Ich habe dort in einem Jahr mehr gelernt als anderswo in zehn Jahren." In der Hauptstadt des Jazz jammte er im Visiones oder St. Mark's Café, nahm Unterricht bei Branford Marsalis, Dave Liebman, Donald Byrd, Jimmy Cobb und Jim Hall, spielte mit Milt Hinton, Vincent Herring, Lester Bowie oder Jamaaladeen Tacuma. "Die Leute sehen dort auch den Menschen in dir, nicht einfach nur den Musiker", meint Enders. Auf alle Fälle entging ihnen nicht, daß der deutsche Riese auch eine Riesenportion Begabung mitbrachte. "Er ist extrem talentiert und lernt schnell", bescheinigte ihm Dave Liebman. Und Joe Locke, der führende Vibraphonist unserer Tage, nannte den Youngster aus Germany sogar einen "reifen Stilisten". Als Johannes 1992 nach Südafrika reiste, glühte er noch vom Erlebnis New York. Südafrikas Kritiker erkannten in ihm einen kommenden Tenorstar und verglichen die Energie seines Spiels mit einer Turbo-Rakete. Seit Paul Simons "Graceland"-Projekt, so war zu lesen, habe das kulturell boykottierte Südafrika keinen wichtigeren musikalischen Besucher empfangen. Johannes gab Workshops an der Universität, jammte mit dem Saxophonisten Winston Mankunku Ngozi und ging mit dem Trio des Pianisten Hilton Schilder in ein Aufnahmestudio in Kapstadt. Das Ergebnis, die CD "Reflections on South Africa", erschien vier Jahre später. Ein junger Mann braucht Vorbilder, von denen er lernt, an denen er wächst und von denen er sich wieder lösen kann. Enders wählte sich die besten: Tenor-Meister wie Liebman, Bergonzi, Lovano. Und natürlich Coltrane, den Meister dieser Meister. Coltrane klang lange nach in Enders' starkem Sound, den feurigen Höhenflügen, den Klangschattierungen, dem modalen Drängen, den sich steigernden Phrasen. Eines Tages im Jahr 1994 traf Johannes Enders eine Entscheidung, die von Reife zeugt: Er verordnete sich selbst eine Pause, um Coltrane abzustreifen. Gerade hatte der 27jährige mit Posaunist Adrian Mears die CD "Discoveries" veröffentlicht, die Karriere war in vollem Gang, er hatte gut zu tun, eilte von Gig zu Gig und hatte dennoch das Gefühl, auf der Stelle zu treten. "Ich konnte meinen Sound nicht mehr ertragen", sagt er heute. "Ich wollte meinen eigenen Stil finden, nicht nur Vorbilder imitieren." Eineinhalb Jahre lang hat Enders daraufhin sein Horn nicht mehr angerührt: "Das war das Beste, was ich tun konnte. In dieser Zeit habe ich meditiert und komponiert. Ich habe mir eine Pause gegönnt auch um diesen Sound loszuwerden, der ich nicht selber bin." Er ging zu Coltrane auf Distanz so wie einige Jahre früher zu Michael Brecker. "Coltrane ist eine große Klage, eine Sehnsucht nach einer anderen Welt, er spricht das Depressive an. Ich verehre ihn zu sehr, und das wurde zu einer Art Sackgasse für mich. Im Prinzip hat Coltrane seinen Weg vollendet, du kannst höchstens darauf herumstiefeln. Ich wollte das abschließen." Johannes Enders, inzwischen 30 Jahre alt, hat dabei zu einer neuen Gelassenheit gefunden, die seinem Image als "gentle giant" alle Ehre macht. Man müsse aussetzen können, meint er, damit Neues wachsen kann. Man müsse sich vom Eingefahrenen lösen, immer wieder vor einer weißen Leinwand beginnen. Seit langem bewundert er Wayne Shorter, weil der es vermeidet, in die immergleichen Figuren und Phrasen zu verfallen. "Er spielt wenig Licks. Als ich ihn zum ersten Mal hörte, dachte ich deshalb: Der kann gar nicht spielen. Shorter beherrscht das kreative Improvisieren, das Offenlassen. Er hat etwas Malerisches." Ein Vorbild, von dem man lernt, Vorbildern nicht auf den Leim zu gehen. Die selbstverordnete Pausentherapie zeigte Wirkung: 1996, ein kleines Comeback. Enders kehrte auf die Jazz-Szene zurück, er ging nach Aufnahmen in New York und Kapstadt als Leader in ein Münchner Studio, er besann sich auf sich und sein eigentliches Territorium: Der CD-Titel "Home Ground" war mit Bedacht gewählt. Eine neue Qualität von Relaxtheit wurde hörbar in seinem Spiel, geduldig schichtete er am Tenorund Altsaxophon seine kräftigen Phrasen, immer offen für unerwartete Entwicklungen im Verlauf der Exkursion. Symptomatisch für die Flucht vor dem Klischee war das Schlußstück "Panta Rhei" mit dem beinahe hypnotischen 5/4-Takt und den fließenden Akzenten. Da wären eingefahrene Phrasierungen selbstmörderisch. Da ist Improvisation hoch zwei gefragt. Dann, September 1997: Die kanadische Trompeterin Ingrid Jensen ist auf Europatournee. Ingrid kennt Johannes seit seiner New-York-Zeit, trat mit ihm gelegentlich auf, in Wien und in München, beide Seiten halten Kontakt. Es liegt nahe, daß Ingrid den Saxophonisten anruft und einlädt, ein paar Gigs der Tour mitzuspielen. "Mit Ingrid ist es kein Wettkampf, es geht einfach nur um Musik", sagt Enders. "Unsere Instrumente fließen wunderbar zusammen. So eine weiblich-männliche Frontline, die hat was." Der Saxophonist steigt ein, bringt ein paar eigene Stücke mit, den Musikern gefällt's. Für den 26. September sieht der Tourplan einen freien Tag vor. Enders packt die Gelegenheit beim Schopf, mietet ein Studio und macht aus Ingrid Jensens Quartett das Johannes-Enders-Quintett. Daß die gute Gelegenheit zur Sternstunde wird, spricht für Enders' neue Entspanntheit. "Ich habe noch nie eine so relaxte Aufnahmesession gehabt. Es gab keine Diskussionen, alles war easy." Die gute Atmosphäre schlägt sich auch musikalisch nieder: Die Musik auf Enders' neuer CD "Bright Nights" wirkt selbstverständlich und locker, die Soli kommen taufrisch, unforciert, wie hinge-malt. "Allen wird möglichst viel Spielraum gelassen, und die Stücke sind auch nicht sehr schwierig. Sie hatten sie auf der Tour schon teilweise gespielt. Mein Konzept ist es, den anderen Musikern zu vertrauen: Die bringen schon ein, was nötig ist." Weil es im Studio kein Klavier gibt, sitzt Pianist George Colligan durchgehend am Fender Rhodes, an dem er sich zur Zeit ohnehin profiliert. Diese Klang-Reminiszenz an die 70er Jahre verleiht der Musik etwas Schwerelos-Psychedelisches, untermischt mit einer Prise Miles Davis: linear, weiträumig, ungehetzt. "Ingrid und ich sind große Gil-Evans-Fans. Überhaupt alles, was mit Miles zu tun hat, verehren wir beide sehr. Bei 'Kind of Blue' soll Miles ja auch nur ein paar Akkorde verteilt haben das war genial. Denn wenn die Musik zu verkopft ist, schaltet sich die kreative Gehirnhälfte ab." Wen wundert es, daß Johannes als Schlußstück "So Near, So Far" wählt, und zwar in 12/8: so, wie Miles das Stück 1963 mit George Coleman aufnahm. Statt nachgeahmter Licks: ruhige Tempi, atmende Räume, schwebende Stimmungen. Auf solchen Vorgaben kann Eigenes wachsen. |
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