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Jazzzeitung

2007/04  ::: seite 13 f.

rezensionen

 

Inhalt 2007/04

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig
jazzle gmacht: Entjazzt
no chaser: Ohrenfaulheit
jazzfrauen-abc: Anny Xhofleer


TITEL - Vom Verlassen des Wohnzimmers
Jazzfestivals und Tourismus


DOSSIER - Club Connection & Stargastspiele

Der Jazzclub Regensburg feiert sein 20. Jubiläum mit Festival

… und mehr im Inhaltsverzeichnis

CDs

Sylvie Courvoisier
Signs and Epigrams

Tzadik TZ 8033

Sylvie Courvoisier, die Schweizerin in New York (genau gesagt in Brooklyn), hat offenbar eine besonders kreative und erfolgreiche Phase, was die Veröffentlichung von CDs angeht. Kurze Zeit nach ihrem neuen Intakt-Album „Lonelyville“ mit Vincent Courtois, Mark Feldman und Gerald Cleaver, das schon ihre besondere Position in der Welt zwischen Jazz und Zeitgenössischer Musik markiert, erscheint nun bei Tzadik ihre neue Solo- Aufnahme. Im Dezember 2006 in New York aufgenommen spiegelt sich in ihr auch das Programm wider, das Courvoisier auf ihrer ausgedehnten Europa-Tournee wenige Wochen zuvor (deutsche Station: Loft, Köln) entwickelt hat.
Das Klavier durch die verschiedenen „Zeichen und Epigramme“ wie ein großes Orchester klingen zu lassen, sei ihr Ziel, erklärt Sylvie Courvoisier im Begleittext. Der Hörer braucht nicht lange, um zu erleben, auf welch grandiose Weise ihr dies in den zehn Suiten gelungen ist. Alle Vorzüge des aktuellen Klavierspiels kommen vor, die Spannung und Inspiriertheit des avantgardistischen Jazz, die große Gabe der freien Improvisation, der kompositorische Glanz der zeitgenössischen Komposition, die Virtuosität, die Klangvariationen des reinen oder des präparierten und bisweilen wie ein Cembalo klingenden Steinway-Flügels: Sylvie Courvoisier bindet aus all diesem einen bunten Strauß nicht enden wollender bewegender Impressionen.
Mit großer Spannung darf man die neue Solo-Tournee Ende dieses Jahres erwarten.
Hans-Jürgen von Osterhausen

James Choice Orchestra
Live at Moers

Moers Music 2007

Schon seit den 60er-Jahren machten sich Kollektive wie das London „Jazz Composers Orchestra“ oder das „Globe Unity Orchestra“ daran, althergebrachte hierarchische Rollenprinzipien im Orchester aufzubrechen, und öffneten sich auch für die Improvisation. Aus der Kölner Loft-Szene kommend haben sich Frank Gratkowski, Norbert Stein, Matthias Schubert und Carl Ludwig Hübsch zum kreativen Zentrum ihres „James Choice Orchestra“ zusammengetan und hinterließen nicht zuletzt bei den ambitionierten Vormittagsprojekten beim Moerser Jazz-Festival starke Eindrücke. In diesem Umfeld entstand 2005 dieser Livemitschnitt, der jetzt auf Burkhard Hennens Moers-Music-Label verewigt wurde. Der gewählte „Bandname“ zollt dem Schriftsteller James Joyce Tribut. Die augenzwinkernde Abwandlung „Choice“ markiert vor allem die ständige Entscheidungsfreiheit als oberstes künstlerisches Prinzip in diesem abenteuerlustigen „variablen Orchesterprojekt“.
Maximale Offenheit, ja Zufallseingebung ist erlaubt und gefordert: Aus der tumulthaften Anarchie des Anfangs heraus erwächst ein dezidierter Gestaltungswille. Ungeahnte, durch 25 entfesselte Spieler und eine Sängerin massenhaft aufgetürmte Klangimpulse, Glissandi, Flageoletts, dadaistische Urlaute oder expressiv geschärfte Vokalfragmente fordern die Sinne heraus – stets in unerwarteten Konstellationen und Brechungen. In ständig neue Richtungen drehen die Ausführenden vom „James Choice Orchestra“ ihr Kaleidoskop.
Stefan Pieper

Peter Giger & Family of Percussion
The Best Of…

Intuition INT 34012/Schott Music

In den 70er- und 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts war der Schweizer Schlagzeuger und Perkussionist Peter Giger nahezu omnipräsent im europäischen Jazzmarkt. Giger-Lenz-Marron, Family of Percussion (FOP), Four for Jazz, Mangelsdorff Quintett, Solokonzerte, Duo mit Max Roach und zahlreiche Auflagen FOP & Friends. Später geriet der heute 68-jährige Musiker, Dozent und Initiator zahlloser künstlerischer Begegnungen ein wenig aus dem Kegel des großen Scheinwerfers angesagter Jazzstars. Lange vor dem Worldmusic-Boom beschäftigte er sich intensiv mit ethnischen Traditionen afrikanischer, asiatischer und karibischer Perkussionsmusiken.
Aus den Veröffentlichungen aus dieser Zeit hat Schott dankenswerterweise eine Zusammenstellung von über 30 Kompositionen von Giger, Archie Shepp, Doug Hammond und anderen auf zwei Alben herausgegeben, viele davon erstmals auf CD erhältlich. Es ist eine spannende, gelegentlich nostalgische Begegnung mit einem kämpferischen Archie Shepp, Alan Skidmore, Günter Lenz, Gerd Dudek, Wolfgang Dauner und Trilok Gurtu und einer wunderbaren Vielfalt perkussiver Instrumente, Stile und virtuoser Perkussionisten. Manches, vor allem aus der Hochphase des Jazzrock, klingt etwas altmodisch, angenagt vom Zahn der Zeit. Doch viele Titel habe ihre Frische, ihren Witz, die meditative Kraft, das Träumerische und Verspielte, ihre klangliche und rhythmische Originalität und melodische Tiefe bewahrt. Dem Urteil einer großen afrikanischen Zeitung: „Peter Giger ist einer jener Musiker, die das Mysterium Rhythmus in sich tragen, er geht einher mit Größen wie Max Roach und Art Blakey,“ braucht man eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.
Michael Scheiner

Grupa Palotai
Singapore

Budapest Music Center Records 133

Immer wieder gibt es in Europa aufregend Neues in Sachen Jazz zu entdecken. So zum Beispiel wenn man anfängt, sich in die reiche Welt des ungarischen Jazz zu begeben. Schafft man nicht persönlich den Weg nach Budapest und Umgebung, steht ein reichhaltiger Katalog von BMC Records zur Verfügung, inzwischen auf dem deutschen Markt von Codaex vertrieben. Man kann aber auch in Paris viel über die ungarischen Qualitäten erleben, nicht nur die große Musik des dort lebenden Gitarristen Gábor Gadó, sondern auch die eines dramatisch guten Gitarristen eine Generation jünger, Csaba Palotai, der mit vier französischen Kollegen auf der jüngsten Produktion einen sehr überzeugenden Auftritt vermittelt. Nicht nur dass die Saxophonisten Rémi Sciuto und Thomas de Pourquery einen ganz eigenen Gruppensound produzieren, in den sich Palotais Gitarre ständig einreiht, auch Nicolas Mathuriau verleiht dem Klanggeschehen einen erdig starken Schlagzeug-Rückhalt. Schon die Dramaturgie des Ganzen ist einzigartig, erlebt man nur die ersten drei Stücke: Palotais verquere Solo-Partie mit „Homeless“, die er in einen von den Kollegen begleiteten immer noch sehr psychologischen, tiefsinnigen Auftritt „Bruyantes solitudes“ verwandelt, um dann in den hinreißenden Song „El liberation“ zu verfallen. Ähnliche Strukturen ziehen sich durch das ganze Werk bis zur Ankunft in „Singapore“, worauf aber noch ein Ausflug in die „forbidden zone“ folgt – mitreißende ungarisch-französische Klänge, die für ein grenzenloses Europa im Jazz stehen.
Hans-Jürgen von Osterhausen

Pär Lammers Trio
all die bunten schafe

Traumton 4500

Ein unkonventioneller Titel, der berechtigte Hoffnungen bestätigt: Pär Lammers am Piano beherrscht sein Instrument und eröffnet auf seiner CD eine bunte Mischung aus urbanem Jazz und blumigen Geschichten, die er mit seinem Trio erzählt. Einfache Melodien paaren sich mit atmosphärischer Dynamik, und ähnlich wie einige seiner Kollegen interpretiert auch er Pop-Hymnen, hier etwa Depeche Modes „Enjoy The Silence“. Um es auf den Punkt zu bringen: Lammers spielt virtuos, energiegeladen und melodiös, ohne an irgendeinem Punkt manieriert zu klingen, und offenbart in seinem Spiel eine eigene, individuelle Klangsprache. Kein lupenreiner Jazz, kein poppiger Songwriter, sondern vielmehr das, was Jazz an sich auszeichnet – Freude am unkonventionellen Spiel gepaart mit Improvisation, filigranen Tönen, manchmal ein wenig schräg, dann wieder locker und leicht. Lammers findet immer wieder zum Ursprung der Songs zurück. Er ist ein Pianist der MTV-Generation, der am Anfang seiner Karriere steht und die Zukunft des Jazzpianos maßgeblich prägen wird, indem er sich der musikalischen Tradition eines Piano-Trios nicht ganz hingibt, sondern weiter über den klassischen Jazz-Tellerrand hinausblickt. Das belegt auch seine musikalische Vergangenheit, in der er in verschiedenen Rockbands mitspielte oder sich auch als Hip-Hop-Produzent betätigte. Pär Lammers und sein Trio mit Marcel Krömker am Bass und Benni Wellenbeck am Schlagzeug sollte man nach diesem Debut unbedingt im Auge behalten.
Thomas J. Krebs

Triband
Trip

Herzog Records 901005 HER

Die Band mit Sandie Wollasch (vocals), Sebastian Studnitzky (keyboard/trumpet), Michael Paucker (bass) und Tomy Baldu (drums) ist kürzlich schon durch einen Beitrag in „Kulturzeit“ von 3sat geadelt worden. In einer Welt, die schon aus marketingtechnischen Gründen gut verkastelt sein muss, damit die Dinge immer am richtigen Platz liegen und zu finden sind, fällt es normalerweise schwer, diese Musik unterzubringen.
Diese Musik changiert zwischen Pop und Jazz und will weder dem einem noch dem anderen zu nahe rücken. Es ist gleichwohl ein Crossover über die Stühle hinweg, eher wie ein neues musikalisches Sofa. Das freilich ist nicht so neu, sondern steht bequem als „clubbing-music“ in einer kuscheligen Ecke.
Neben den Sachen von Sidsel Endresen beispielsweise. Keine Frage, Trip von Triband ist eine angenehm für sich durchstrukturierte Platte mit zahllosen Feinheiten, die Musiker sind exzellent und das Studiofinishing ist brillant. Man muss die Stimme von Sandie Wollasch nicht mögen, aber sie fügt sich in den Gesamtrahmen ein und prägt ihn zugleich – damit wird die Stimme unter Umständen zum K.O.-Kriterium. Gleichwohl hat man viele der Teilstrukturen der Musik schon besser gehört, zum Beispiel von einer musikalisch und stimmlich ungleich radikaleren Nicolette.
Die Plattenfirma beschreibt den „Trip“ von Triband übrigens als einen „süffigen, urbanen Cocktail, verführerisch leicht und dabei hochprozentig inspirierend. Mit Triband erhält der Lifestyle Tiefe.“ „It‘s so disgusting“, heißt es da in einem Song, eine andere Situation meinend. Und sicher kann die Musik nichts dafür, dass man sie von Haus aus so beschreibt. Aber kann es eigentlich eine bessere Kritik für diese Platte geben?
Für die Zielgruppe freilich ist es perfekte Musik.
Martin Hufner

Vein
Vein

meta records meta 035

Das Jazz-Trio mit Florian Arbenz (drums), Thomas Lähns (double-bass) und Michael Arbenz (piano) spielt acht Eigenkompositionen mittlerer Länge. Keine ausufernden Improvisationsorgien, aber auch keine musikalischen Knappzeichnungen sind damit zu hören. Das Ganze schwingt musikalisch zwischen durchkomponierten Passagen, die manchmal geradezu wie von Big-Band-Arrangements auf die kleine Besetzung heruntergerechnet wirken („New O-Rootie“, Track 2).
Ganz gewiss dem modernen Klangidiom verpflichtet, sind die Stücke thementempovariant. Das meint, es gibt nicht die in sich gerundeten Themen, sondern gerne jene extremen Schwankungen des Tempos nach Metrum, Ambitus und Dichte. Wie im genannten „New-O-Rootie“, das daher wie ein Medley im Medley wirkt (ebenso Track 5, „Down The River“); das erinnert ein wenig an die musikalische Poetik eines Charles Ives, nur ist es weniger humoristisch. In „Shapes“ (Track 3) dagegen breiten sich die Klänge wie über einen akustischen See aus. Eine Musik zum Mitverfolgen. Nicht viel anders „Shadow of a Memory“ (Track 6).
Dass die Besetzung Jazztrio eine hochemotional aufgeladene Gattung ist und nicht nur eine Besetzung, ähnlich wie beim Streichquartett in der traditionellen Musik, hat natürlich Konsequenzen für die Faktur solcher Musik. Die Gefahr, ausbrechen zu müssen, merkt man mancher Unternehmung an, wie man anderen anmerkt, dass sie unter dem Niveau der Gattung bleiben. Vein hält sich damit nicht auf, sondern reißt die Perspektive solcher Musik noch einmal auf.
Attraktives aus dem musikalischen Erfahrungsschatz der drei Individuen, die ihre Musik musikalisch reflektieren können.
Martin Hufner

Live Maria Roggen
Circuit Songs

Emarcy 06025 1715519 0

Die norwegische Lyrikerin, Songwriterin und Jazzsängerin Live Maria Roggen hat sich gehäutet für ihr überraschendes Singer/Songwriter-Jazz-Debüt auf Bugge Wesseltofts trendigem Elektronik-Label „Jazzland“. In gewisser Weise ist diese tiefschürfende Scheibe, bei der Soulmusik Seelen- und Selbstfindungsmusik heißt, das Gegenteil ihrer Jazz-Standards neu auslotenden Arbeit mit ihrer alten, derzeit pausierenden Band Come Shine. Aus anderer Perspektive ist das neue Album „Circuit Songs“ allerdings die Fortsetzung von „Come Shine“ auf neuem Terrain, mit anderer Rollenverteilung – oder anders gesagt: Soul-Akrobatik, freischwebend, ohne Netz und ohne den sicheren Boden der Jazztradition. In diesem Sinne ist Live Maria Roggen ein experimentelles Album gelungen, das in ihrer Radikalität den Arbeiten von Kolleginnen wie Eldbjørg Raknes, Elin Rosse-land oder auch Sidsel Endresen in nichts nachsteht. Sängerinnen wie Beady Belle, Torun Eriksen einerseits und Hanne Hukkelberg allerdings sind keine Referenzpunkte für Roggens Song-Ästhetik. Da Live Maria Roggen die Songstrukturen hier unangetastet lässt, ja als Songwriterin mit einem Händchen für tanzbare Beats glänzt, dürften ihre „Circuit Songs“ auch in Avant-Discotheken reüssieren. Der Soul-Attitude Live Maria Roggens allerdings stammt aus einer anderen Tradition: Sie leitet sich eher aus der englischen Tradition ab – einerseits von den traumwandlerischen Songpoemen eines Robert Wyatt („Shipbuilding“) oder aber von Tracy Thorn und Ben Watts Band „Everything But The Girl“,
Auf „Circuit Songs“ stellt Live Maria Roggen ihre neue Band vor. Und in dieser begegnet man anderen bekannten norwegischen Jazzmusikern wieder: etwa der Pianistin und Keyboarderin Maria Kannegaard und dem Schlagzeuger Thomas Strønen.
Reinhold Horn

Matthias Schriefl
shreefpunk plus strings

ACT 9657-2

Was für ein „Kuddelmuddel“! Der junge Trompeter und Flügelhornist Matthias Schriefl und seine vier gleichsam talentierten Mitstreiter Jens Düppe (dr), Robert Landfermann (b), Johannes Behr (g) plus Streichquartett meinen selbstredend das Kölner Durcheinander. Im dortigen Klüngel sind sie zu Hause, stänkern gegen ignorante Medien, einäugige Kulturpolitik und die Vorherrschaft der Erfahrenen an und geben „Das, was hinten rauskommt“ zum Besten.
Sie tun es ohne „Angst vor dem Einfachen und ohne Angst vor dem Komplizierten“, wie Bandleader Schriefl das Motto dieser ersten ACT-Einspielung zusammenfasst. Und sie tun es mit ungestümer Kraft, handwerklicher Akkuratesse, großer Leidenschaft, mit triefender Ironie, streitbarem Witz und feinfühliger Hingabe. Man kann auch sagen, mit einer gehörigen Portion Verliebtheit. Gestopfte Trompete, zart-sehnsüchtige Gitarretropfen und ein Himmel voller Geigen künden die Melodei von „Hannas Haar“, dem mit verschärftem Biss und punkiger Attitüde ein aus Ratlosigkeit und Hohn gespeistes „Ozonloch, i hob no koans gseng!“ folgt. Immer wieder bilden die vier Streicher (Gerdur Gunnarsdóttir, Christine Rox, Stephan Blaumer, Daniel Raabe) das rhythmische Fundament, erweitern bisweilen den Sound um einen Hauch moderner Klassik und verwirklichen dann wieder Schriefls musikalische Faxen, wenn sie mitten im Avantgarde-Gewitter fröhlich Wiener Kaffeehausmusik säuseln.
Schriefl selbst zieht alle Register, von Dämpfern, Growl bis zu seinem mehrstimmigen Spiel, das neben einem Hang zu komödiantischen Showeinlagen auf der Bühne zum Markenzeichen des ehemaligen Mitgliedes des Bayerischen Lan-des-Jugendjazzorchesters gehört. Eine absolut gelungene Konfrontation und Verknüpfung von Traditionsbewusstsein und selbstbewusstem Übermut,
Michael Scheiner

Joe Lovano & Hank Jones: Kids
Duets live at Dizzy´s Club Coca-Cola

Blue Note 702814/Emi

„Mit Hank Jones zusammenzuarbeiten”, urteilte Joe Lovano, „war für mich eine großartige Erfahrung“. So beschreibt der Tenorsaxophonist sein Duo mit Hank Jones, dem 87-jährigen Grandseigneur des Jazz-Klaviers. Ein knappes Dutzend legendärer Standards von Berlin bis Monk haben die beiden auf Platte gebannt. Das Programm ist Swing, Bebop und Blues. Das Titelstück verweist auf Thad Jones, den jüngeren Bruder Hanks, von dem noch zwei weitere Stücke interpretiert werden. „Kids“ als Motte soll die spielerische Herangehensweise an die Musik verdeutlichen. Tatsächlich gehen die beiden Protagonisten spielerisch mit dem Material um. Leichthändig überträgt der Pianist die Big-Band-Passagen aufs Klavier und dem Saxophonisten gelingt mit einer Eigenkomposition, die auf „Milestones“ aufbaut, eine Hommage an Charlie Parker. Erst vor ein paar Jahren haben Hank Jones, die Klavier-Legende, und Joe Lovano, der seit drei Dekaden zu den experimentierfreudigsten und innovativsten Saxophonisten zählt, zueinandergefunden, vor allem im Quartett mit den Veteranen George Mraz und Paul Motian. Der vorliegende Live-Mitschnitt aus dem mit 140 Plätzen kleinsten Club des New Yorker Lincoln Center, zeigt ein Duo in bester Form: lyrisch, spielfreudig, entspannt.
Reiner Kobe

JazzKamikaze
Travelling At The Speed Of Sound

Stunt Records 07042 (SunnyMoon)

Als JazzKamikaze 2005 den internationalen „Young Nordic Jazz Contest“ gewann, war das für viele eine Überraschung. Mit dem im Jahr darauf erschienenen, erfrischenden Debütalbum „Mission I“ fanden die fünf jungen skandinavischen Musiker dann auch in Deutschland eine begeisterte Zuhörerschaft. Ähnlich quirlig geht es auf ihrem zweiten, diesmal in New York aufgenommenen Album „Travelling At The Speed Of Sound“ zu: JazzKamikaze werden durch ihren todesmutigen Sprung ins Stil-Mischmasch ihrem Namen gerecht – ein rauer, abwechslungsreicher Sound, scheinbares Chaos, das immer wieder in funkig-rockige Strukturen mündet. Für nahezu klassische Elemente sorgt die Cellistin Mairi Dorman-Phaneuf bei „Until The Sun Comes“ und auch Rapper „Big D“ hilft beim Verwischen der Genregrenzen. Und ebenso wie die Musik wird wohl die drollige Manga-Anmutung des Covers die Nicht-Puristen unter den Hörern erfreuen.
Carina Prange

Chris Brown/ Fred Frith
Cutter Heads

INTAKT 124

Ein elektrisch ziselierendes Geröll schiebt sich durchs Land. Ein dichtes, stahlmaschiges Gewebe drängt als ganzer Wald, als Netz abstrakt hinan. Pianotropfen fallen ohne Gravitation. Chris Brown und Fred Frith zehren fürchterlich auf. Drücken entrückte Träume in völlig kaputtes Gebiet. Leider bleibt Brown durchgehend im hinlänglich bekannten gestischen Bereich eines zeitgenössischen Tastenmusikanten. Zudem überträgt sich das verstimmte Klavier gerne auf den Magen des Hörers. Etwas zu beliebig erscheint diese Aleatorik. Auch dem Zufall gegenüber gilt es, sich mit straffer Hand heranzufühlen. Aufnahmetechnisch ist das instrumentale Mobiliar zu sehr in Hall gefasst, so dass die Musik nicht zutreffen kann. Es bildet sich kein Meisterwerk. Unausgewogen, haben die Musiker die eigenen Stärken nicht konsequent erkannt und zur Darstellung gebracht. Ein spontanes Demoscheibchen. Gut, dass so etwas verlegt wird.
Oliver Schwerdt

Ulrich Gumpert
Quartette

INTAKT 127

Dieses Quartett sorgte 2005 zum JazzFest Berlin für Aufsehen, als Ulrich Gumpert den Mangelsdorff-Preis verliehen bekam und aufspielte. Herrlich ungezwungen swingt die Gruppe nun auf CD. Das alte Zentralquartett ist nicht so fern. Immerhin zollt Gumpert mit drei Nummern Tribut an die Weggefährten Baby, Luten, Conny. Die ersten Solonoten am Klavier jedoch sind für Satie. Es gibt freundliche harmonische Wendungen. Überraschende Rhythmik, abgehacktes Piano. Spröde das Saxophon, tief mit Stimme durchdrungen. Jan Roders (bass) störrische Läufe bis zum gebrochenen, berstenden Ton – natürlich mit Michael Griener (dr) im Verein, da wo es fantastisch ebbt und jeglicher Taktakkord verschrubbt, bis zur nächsten Hymne. Schmutzige Cluster perlen im Relief der Tastatur. Eine zur Perfektion getriebene Ungenauigkeit im Anschlag. Solch ein Dreck ist die wahre Unschuld im Jazz, der tief in die Geschichte dieser Musik blickt.
Oliver Schwerdt

John Surman
The Space in Beetween

ECM 1956/Universal

Spätestens mit seinem ambitionierten Chorwerk „Proverbs and Songs“ (1996) hat John Surman seine Affinität zum klassischen Formenkanon bewiesen. Nach „Coruscating“ 1999 legt der britische Bariton-Saxophonist jetzt ein weiteres Werk vor, das zwei verschiedene Welten zur Synthese bringt. Für Surman sind Klassik und Jazz keine Gegensätze, trotz unverwechselbaren Personalstils. Kunstvoll kombiniert er Improvisationen des Jazz mit den Streicherklängen des damals ad hoc zusammengestellten und bis heute bestehenden „Trans4mation“-Quartetts. Die 1999 erstmals erprobte Zusammenarbeit bewährt sich jetzt glänzend. Die Streicher, in die improvisatorischen Abläufe integriert, bilden mit dem Saxophonisten eine organische Einheit. Im gemeinsamen Spiel entstehen hier oftmals Strukturen, die „The Space in Beetween“ lebendig auffüllen. Surmans melancholische Lyrik findet in den tiefgründigen Quartettsätzen ihren Widerpart.
Reiner Kobe

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