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Was 1990 unter dem Motto „Swiss Jazz“ begann, ist heute zur imponierenden und wichtigsten Leistungsschau des Schweizer Jazz geworden. Das Schaffhauser JazzFestival macht alljährlich mit einer Szene bekannt, die in Europa ihresgleichen sucht. Das viertägige Ereignis hat im Kulturzentrum Kammgarn einen Treffpunkt der Schweizer Szene geschaffen, eine Plattform für eigenständige Musiker. Wieder wurde ein rundes Dutzend Gruppen präsentiert, deren Stärken in ihrer außerordentlichen Vielfalt lagen. „Wir setzen vor allem auf working bands und bemühen uns“, so Urs Röllin, Gitarrtist und künstlerischer Leiter, „eine Startrampe für deren neueste Projekte zu sein“. Dies ist eindrücklich gelungen. Eingerahmt war das vielfältige Programm von zwei Großformationen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Sie markierten Anfang und Ende des Festivals. Der große alte Mann des Schweizer Jazz, der 70-jährige Pierre Favre, hatte seine „Singing Drums“ zu einem gewaltigen Oktett mit verschiedenen Schlagzeugern ausgeweitet. Ausgehend vom luftigen Gruppenklang, der sich zu archaischen Themen bündelte, entstand eine choralhafte, differenzierte, wundervolle Musik, die den Rahmen absteckte. Das Swiss Jazz Orchestra, das sich aus ehemaligen Schülern der Jazzschule Bern zusammensetzt, konnte mit diesem Anspruch nicht mithalten. Seine Interpretationen von Rock-Klassikern, handwerklich perfekt, waren allerdings in allzu biedere Bigband-Arrangements verpackt. Von Konventionen lösen konnte sich eine kleine Bigband, die der Saxofonist Yvan Ischer mit „Scorpio 7“ zusammengestellt hat. Die vier Bläser mit Rhythmusgruppe erinnerten mit Cool Jazz und Hardbop-Themen zwar stark an Miles Davis’ Capitol Orchestra. Sie wurden aber nach und nach mit Zwischenthemen durchsetzt und damit mit eigenständigem Profil versehen. Verschiedene Stilmittel probierte das Quintett „Erb-Gut“ aus. Saxofonist Daniel Erb vermischte Bebop, Funk und Dada mit viel Free zu einer äußerst ersprießlichen Mischung. Einen guten Eindruck hinterließen in Schaffhausen auch die drei eingeladenen klassischen Klavier-Trios. Das feinsinnig agierende „Christoph Stiefel Trio“ stand ganz im Gegensatz zum Trio „Vein“, das mitunter mit ordentlichem Groove daherkam. Die Basler Arbenz-Brüder erzeugten, wie die lokalen „Schaffhauser Nachrichten“ notierten, „einen Lavastrom aus blindem Verständnis und rhythmischer Interaktion“. Im weiten Raum zwischen Klassik, Elektronik und Jazz wurde selten so unangestrengt und phantasievoll musiziert wie hier. Da hatte es die Pianistin Vera Kappeler dann schwer, sich mit Tom Waits, Erik Satie und Carla Bley zu profilieren. Neben dem vielfältigen Programm, das zahlreiches Publikum anzog,
ist man in Schaffhausen noch auf zwei Dinge stolz, die nicht unerwähnt
bleiben sollen: die Programmzeitung und das Rahmenprogramm. Die informative,
großformatige Programmzeitung, die sich wohltuend von den üblichen
Festivalheftchen abhebt, vermittelt einen Einblick in eine recht rege
Szene mit Interviews und Porträts. Und dann das Rahmenprogramm.
Ergänzend zum prallen musikalischen Programm des Festivals fanden
die Schaffhauser Jazzgespräche mit Vorträgen und Podien zum
vierten Mal statt. Im Mittelpunkt standen diesmal die rasanten Veränderungen
in der Musikwelt. MP 3 und i-Pod erschließen neue Informations-,
Produktions- und Vertriebskanäle, wie drei Fachleute ausführten.
Doch sind virtuelle Jazz-Clubs im Netz und Online-Zeitungen nur dann „eine
neue Bühne für den Jazz“, wenn die Fundamente für
kritischen Musikkonsum gelegt sind. Bei allem ambivalentem Charakter
dieser Entwicklung gibt es hoffnungsvolle Ansätze. Weniger Hoffung
haben die Musiker, denn „sie können von ihrer Konzerttätigkeit
nicht leben“, wie die Bilanz eines weiteren Gesprächs lautete.
Drei Modelle der Jazz-Selbsthilfe beleuchteten die schwierige Situation
der Szene, die um die immer weniger werdenden Subventionen kämpft.
Freilich hätte man sich für diese diskursiven Gespräche
mehr Publikum gewünscht, nicht nur Insider. Reiner Kobe |
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