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Das große Festivalzelt in Moers ist naturgemäß anfällig für Unruhe. Viel Mut braucht, wer hier leise spielen will, doch Haydns Chisholm Sextett „The Ambassadors“ gelingt das Wagnis. Ihr hochsensibler kammermusikalischer Jazz berührt zuweilen im tiefsten Inneren. Streicher und Bläser sind vereint in dieser feinnervig komponierten und beredt improvisierten Sternstunde der Versenkung, die schließlich im zitierten „Quartett vom Ende der Zeit“ von Olivier Messiaen ausklingt... Aber die Zeit ist in Moers nicht stehen geblieben – Reiner Michalke zieht als künstlerischer Leiter einmal mehr alle Register, um Wege aufzuzeigen hinaus aus beschränkten ästhetischen Kategorien. Und auch eine puristisch über das Bewährte wachende „Jazzpolizei“ darf im Zweifelsfall von den aufmerksam verteilten Ohrenstöpsel Gebrauch machen! Nicht nur, als der japanische Noise-Pionier Merzbow zu einer verstörenden Lärm-Orgie abhebt, wo alles klangliche Geschehen vom Linearen und Gestalthaften abgelöst wird. Wie weit man auf solchen Wegen auch ganz physisch und handgemacht vorankommt, demonstriert der Berliner Avantgarde-Gitarrist Olaf Rupp. Sein filigranes, von brachialen Clustern durchsetztes Saitenspiel wird durch das vibrierende Trommelfeuer des japanischen Schlagwerk-Berserkes Shoji Hano unverschämt vital beantwortet. Über 11 000 Musikinteressierte lassen sich vier Tage und vier Abende auf so viele unterschiedliche Musikfarben, Gesten und Stile ein – letztere werden ohnehin in jeder einzelnen Darbietung meist schon hinreichend reflektiert, kombiniert oder gebrochen. Das fordert Konzentration, gefeiert und getanzt wird hingegen nur vereinzelt. Zuweilen geht auch dies, etwa, als marokkanische Gnawa-Musiker rituell und pulsierend aufspielen. Mächtig in die Beine geht auch Steve Colemans Funk-Rap, der am späten Sonntagabend den aufgestauten Hunger nach überkochender rhythmischer Intensität befriedigt. Neben dem legendären Coleman gibt sich ein echtes Monument in Sachen
amerikanischer Improvisationslehre die Ehre: Anthony Braxtons hochpräzises
Ensemble zieht nur so hinein in eine formstreng auskomponierte und bewusst
hermetische Welt - mit kühner Detailversessenheit und manchem leuchtenden
Moment! Stefan Pieper |
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