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Es war die Zeit, als nicht nur die Intellektuellen den Aufstand probten. „The Times They Are A-Changing“, sang Bob Dylan. McCarthy und Kennedy waren tot, Amerika begann, sich in Südostasien in einem Krieg zu blamieren, den es nur verlieren konnte, während daheim die Farbigen um ihre Gleichstellung kämpften. Malcolm X und Martin Luther King predigten und auch in Europa füllten sich die Straßen mit Protest. John Coltrane war mit sich im Reinen wie nie. Und er machte den 9. Dezember 1964 zu einem Feiertag des Jazz.
Am späten Nachmittag war der Saxophonist mit seinem Quartett im Chrysler Combi losgefahren (sechs Dollar Extrakosten für die mitgeführte Pauke) zu Rudy van Gelders Studio, Englewood Cliffs, New Jersey. Kurz nach Mitternacht stand eine Aufnahme wie ein Monolith, die in der populären Musik des 20. Jahrhunderts ohne Vergleich bleiben sollte: A Love Supreme. Aus nicht mehr als einer Tonbandstunde waren knapp 33 Minuten destilliert worden als die Essenz der wichtigsten Band jener Zeit: eine meditative Suite, in deren Tiefe jeder Ton besteht. In die Aufgeregtheit der Zeit hatte ihr Muezzin seine Vision gemeißelt – und der moderne Jazz hatte fortan seine Bergpredigt. Pianist McCoy Tyner war dabei gewesen damals. Mit 25 war er der Jüngste der Band, heute ist der 68-Jährige der letzte noch Lebende dieses Quartetts. Eine Legende also, und wenn er wortlos sein Instrument in Besitz nimmt in dieser lauen Juli-Sommer-Sonntagnacht der Jenaer KulturArena, die Mitteldeutschlands schönstes und ausdauerndstes Kulturfestival ist, schwingt das alles mit. „Sie haben Ihr Ziel erreicht“, hatten schon die Autobahnreklameschilder des Freistaates Thüringen proklamiert – und sie sollten recht behalten. Denn als McCoy Tyner den knapp tausend Zuhörern unmittelbar die erste seiner berühmten Akkord-Linken verabreicht, steht er unmittelbar im weiten Rund, dieser volle Sound aus dichten Clustern, flinken Linien und Po-wer-Permanenz. Die Revolution entließ ihre Kinder, und McCoy Tyner trägt bis heute jene Aufbruchsideen in kaskadenhaften Schichtungen und Ballungen in die Gegenwart. Er dient einem Erbe, integer, phantasievoll, gar nicht beflissen und ausgesprochen druckvoll. Es ist nicht einfach, einen so individuellen Sound auf dem Klavier zu finden und in immer neuen Kontexten durchzuhalten. McCoy Tyner gelingt diese Intensität scheinbar mühelos, ohne dass er dazu Moden bedienen müsste. So ist und bleibt er eine der Instanzen des modernen Mainstreams, egal ob als Solist oder als Big-Band-Chef. Nach Jena kam er nicht wie angekün-digt im Trio, sondern brachte
als Überraschungsgast Saxophonist Gary Bartz mit. Der Kompagnon
der ersten Elektrobands des Miles Davis, ist ein beweglicher Melodiker,
der in dieser klassischen Besetzung zum Glück nicht in den Fehler
verfällt, ein Coltrane-Imitat sein zu wollen. In der Summe ergibt das eine relaxte schwarze Klassik, die sich ihrer Wurzeln bewusst ist, doch viel zu gut hingebreitet wird, um in einem verstaubten Museum auf der Stelle zu treten. Ein putzmunteres Weißt-du-noch ist das und gleichzeitig ein unverbrauchtes Geschichtenerzählen aus einer großen Geschichte. Und es ist die ideale Plattform für einen ihrer großen Innovatoren. Der zelebriert in unglaublicher Leichtigkeit sein Tänzeln in der temposatten Ideenflut der Töne, stemmt die Akkordblöcke, schaufelt die Schichten, lässt Blues-, Rag-, Stride- und Boogieabbreviaturen schimmern durch sein pianistisches Kompaktpaket. Natürlich lässt er sich von einem mitgehenden Publikum nach anderthalb Stunden zurückrufen, um noch einmal in seine große Endlosschleife einzuschwenken. Den finalen Schlag dann führt noch einmal die Linke. Ulrich Steinmetzger |
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