Anzeige |
|
|
Anzeige |
|
Am Anfang stand ein Bilderbuch über legendäre amerikanische Gangster wie Al Capone. Weil sich das Buch gut verkaufte, suchte der Gerstenberg-Verlag ein Nachfolgeprojekt für den jungen aufstrebenden Zeichner und Grafiker aus Münster, der es liebevoll gestaltet hatte: Robert Nippoldt. Sehr bald kam man auf die gemeinsame Idee, ein Jazz-Buch zu machen. Gewissermaßen als Ergänzung zum Gangsterprojekt wollte man sich auf die New Yorker Jazzszene der Roaring Twenties konzentrieren, die entscheidend mitgeprägt wurde von den „American Gangsters“, die damals die Clubs kontrollierten. Als Autoren konnte Robert Nippoldt einen der besten Jazz-Experten Deutschlands gewinnen: Hans-Jürgen Schaal. Das Ergebnis: „Jazz im New York der Wilden Zwanziger“ wurde von der Stiftung Buchkunst als eines der schönsten Bücher des vergangenen Jahres ausgezeichnet. 24 legendäre Musiker aus jener Zeit werden von Nippoldt und Schaal vorgestellt: von Louis Armstrong über Fats Waller und Duke Ellington bis hin zu vermeintlichen Randfiguren wie Bill „Bojangles“ Robinson. Wie wichtig es ist, auch an Mr. Bojangles zu erinnern, soll folgende Anekdote aus der Vorweihnachtszeit verdeutlichen. Auf einem Christmas-Sampler eines großen Medienriesen entdeckte ich zwischen „White Christmas“ und „Last Christmas“ tatsächlich „Mr. Bojangles“. Irgendwie muss der sicher nicht überqualifizierte Kompilator bei der Zusammenstellung dieser Weihnachtslieder beschwipst oder überfordert gewesen sein. Bei Bojangles dachte er wohl eher an Jingle Bells als an den berühmtesten Tänzer des „Cotton Clubs“, den auf dieser CD Sammy Davis Jr. besang. Nur weil Robbie Williams vor einigen Jahren diesen Klassiker eines Country-Songwriters, Jerry Jeff Walker, ausgegraben hat, ist er vermutlich ins begrenzte Blickfeld dieses Stümpers geraten. Auf einer wunderbaren, beigelegten CD kann man nun sogar die Originalstimme von Mr. Bojangles hören. Am 4. September 1929 nahm Bill Robinson zusammen mit Irving Mills Hotsy Totsy Gang (dahinter verbargen sich vermutlich der Duke und einige seiner Boys) einen Fats-Waller-Song auf, der zum Standard werden sollte: „Ain’t Misbehavin’“. Und zur Musik kann man das lachende Gesicht des „Bojangles of Harlem“ (wie ihn Fred Astaire einmal besang) betrachten und die Kurzbiografie genießen, die Schaal beigesteuert hat: „Er war ein Trommler, aber mit den Füßen. Eine schwarze Vaudeville-Truppe klaubte das Waisenkind auf, machte es zum Pickaninny, zum Kind-Entertainer und reiste mit ihm von Theater zu Theater... Seine bekannteste Nummer – das Auf- und Absteppen auf einer Treppe – hat er angeblich bei einer Audienz beim König von England erfunden ... 1930 stellte er den Weltrekord im Rückwärts-Sprint auf, der bis 1977 gültig blieb, und mit über sechzig Jahren tanzte er noch rückwärts den Broadway hinunter vom Columbus Circle bis zur 44. Straße.“ So pointiert skizziert Schaal den Künstler, der nur zwölf Schallplatten hinterließ. Ein anderer „Cotton Club“ hatte 1980 noch einmal einen großen Auftritt, der „Hi-De-Ho-Man“ Cab Calloway. In John Landis’ Pop-Musical „The Blues Brothers“ zelebrierte er ein letztes Mal seine große Nummer aus jenen Jahren: „Minnie the Moocher“. Natürlich gibt es diesen Hit in der Originalfassung zu hören. Kenntnisreich weist Schaal darauf hin, dass Calloway das heimliche Vorbild gewesen sei für Gershwins „Sportin’ Life“, den diabolischen Verführer aus „Porgy and Bess“: „Dieser geborene Selbstdarsteller sah sich am liebsten als schriller Bühnenzampano, laut, bizarr und provozierend bis zur Geschmacklosigkeit. Im Mittelpunkt seiner Shows stand natürlich immer er selbst: der Sänger, Scatter, Tänzer, Komödiant, Dirigent. Seine unverkennbare Stimme reichte vom tiefen Bass bis zum hohen Tenor und konnte hinaufspringen in einen wilden Sopran.“ Selten zuvor konnte man in einem deutschsprachigen Coffeetable Book solch liebevoll-pointierte Kurzbiografien über Randfiguren der Jazzszene lesen. Das Glück vollkommen macht natürlich Nippoldts kongeniale Gestaltung. Mit Vignetten hat er sein ganzes Buch verziert, mit gezeichneten Plattenlabels, Grammophonen oder Musikinstrumenten. Neben all seinen silhouettenhaften Porträts bestechen auch die Gruppenporträts. Immer, wenn ich in Zukunft Aufnahmen der „Original Dixieland Jass Band“ höre, werde ich in Zukunft Nippoldts Bandporträt vor mir sehen. Manchmal erinnert mich Nippoldts Stil an die Plakatkunst der zwanziger Jahre. Damals zeigte man den weißen Entertainer Al Jolson auf den Filmplakaten zum allerersten Tonfilm „The Jazz Singer“ im „black face“. Durch die gewählte weiße Grundierung wirken nun viele der schwarzen Ikonen genauso. Ein merkwürdiger Effekt. Viktor Rotthaler
|
|