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Dave Brubeck bis auf den letzten Platz besetzt. Erster Tag der diesjährigen 32. Jazzwoche in Burghausen. Am letzten Abend spielt Paul Kuhn vor fast leerem Saal. Die Stimmung dennoch die gleiche: Eine stürmische Begeisterung, mit der hartnäckig nach Zugaben verlangt wurde.
Im ersten Fall waren es über 1.200 Burghauser, die kreischten und spitze Schreie ausstießen wie Teenager, als der agile Altmeister Take five anstimmte, den Song seines Altsaxophonisten Paul Desmond, mit dem das Brubeck Quintett in den 50ern weltberühmt wurde. Im anderen Fall war es ein Häufchen echter Swingfans. Eisern ließen sie erst das durchaus goutierbare Esbjörn Svensson Trio und anschließend die Dodecaband des französischen Pianisten Martial Solal mit einem sperrigen bis hochgradig widerborstigen Ellington-Programm über sich ergehen. Burghausen 2001, das war ein bunt gemischtes Mainstream-Programm, mit erwartungsgemäß starker (US-) amerikanischer Dominanz und einigen Appetithappen europäischer Provenienz. Diese konnten sich durchweg mit den Marktführern in Sachen Jazz messen. Von den Oberbayern an der Salzach ist man seit vielen Jahren eine klare Struktur gewohnt: Start mit einem Highlight; freitags nach einem weiteren Highlight die Dancenight; samstags Avantgarde downtown, Gala oben in der Neustadt (in diesem Jahr übrigens das Ausnahme-Vokalensemble New York Voices mit dem beeindruckenden Netherlands Metropole Orchestra) und eine Häufung von big (American) names. Mit dem in New York lebenden Münchner Shooting Star Cornelius Claudio Kreusch (p), dessen Auftritt Ähnlichkeit mit einer Christus-Performance aufwies, dem fusionverfallenen Consortium des Münchner Trompeters Johannes Faber mit einer Klasse-Besetzung, dem Österreicher Christian Muthspiel, der sein extravagantes Motley Mothertongue präsentierte, und dem Mann am Klavier Paul Kuhn, der die Sängerin Silvia Droste mitbrachte, war diesmal aber eine deutlich spürbare Hinwendung zu europäischen Jazzern zu verzeichnen. Selbst die prächtig herausgeputzten, schwarzen Three Divas of Blues, die das niederschmetternd verregnete Blues-Open-Air-Konzert stimmgewaltig zu einem trostreichen Happening gestalteten, leben alle seit längerem in Deutschland. Ob das schon beinahe heftige Liebäugeln mit der europäischen Szene Martial Solal zählt, wie die farblose holländische Allerwelts-Spacegroove-Rap-Afro-Mix-Tante Saskia Laroo (tp, voc) immerhin auch noch dazu nun den hinterlistigen Auswirkungen der Waigelschen Ausländersteuer geschuldet sind oder tiefere Ursachen hat, bleibt abzuwarten. Alles andere als ein Highlight war das Konzert des Ray Brown Trios mit
Regina Carter (v), Sänger Kevin Mahogany, der zupackenden Flötistin
Holly Hofmann und einem prachtvollen Nicholas Payton (tp) als Gästen.
Wenig inspiriert spulte der Meister seine beautiful show aus
Standards und American Songbook herunter, ließ seine Gäste
jeweils kurz antanzen, das brave Publikum kurz mitklatschen (und bremste
es feldwebelartig wieder aus) und nur in einer einzigen Nummer erkennen,
dass er seinem Ruf als führender Bassist noch immer gerecht werden
kann. Mehr als entschädigt wurde die auf knapp die Hälfte des
Saals geschrumpfte Zuhörerschaft am darauffolgenden Abend. Archie
Shepp, um dessen Unzuverlässigkeit und Launenhaftigkeit wilde Gerüchte
und Mythen im Umlauf sind, knurrte, stöhnte und schrie hingebungsvoll
durch sein Horn. Sichtlich hingerissenen Verehrern lief es bei diesem
gebrochenen Ton heiß und kalt den Rücken rauf und runter. Amina
Claudine Myers, die den Hohepriester des Blues seit kurzem spürbar
in Schwung bringt, verstieg sich einmal im Trio zu wunderlichen repetitiven
Vokalisen, die möglicherweise afrikanisch klingen sollten. Sonst
gab sich die Pianistin zurückhaltend und legte erst gegen Konzertende
im spirituellen Sanges-Wetteifer mit Shepp um die Anrufung des Herrn einen
Zahn zu. Call him Jesus
ließen sich die treuen
Burghauser Seelen nicht zweimal zurufen und standen wieder einmal Kopf.
Michael Scheiner
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