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Jazzzeitung
2011/01 ::: seite 9
portrait
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Dem norwegischen Saxophonisten Karl Seglem, auch bekannt durch den Einsatz
urtümlicher Blasinstrumente, dem Ziegen- und Antilopenhorn, gelingt
auf dem neuen Album „Ossicles“ scheinbar die Quadratur des
Kreises: die nahezu perfekte Mischung der Vorzüge einer Live- und
einer Studioaufnahme, erstere ausgeführt vor kleinem Publikum
im holzgetäfelten Tanzsaal des Hotels Herrenhaus in Salderatzen.
Stets war es erklärtes Ziel des Jazzmusikers, das Livefeeling, das
die Konzerte seiner Formationen so außergewöhnlich werden
lässt, auch auf CD einzufangen.
Seglems Musik, die den Folk seines Heimatlandes als selbstverständlichen
Teil eines musikalischen Ganzen versteht, ist auch auf dem neuen Album
geprägt durch Håkon Høgemos Hardangerfiddle. Einen
hohen Stellenwert haben aber auch Seglems Goathorn und das hier erstmals
klangprägend eingesetzte Horn der Antilope. Gemischt mit elektrischer
Gitarre oder Mbira tragen sie ihren unentbehrlichen Teil zu diesem speziellen
Klanggenuss bei.
JazzZeitung: Wie könnte man die Musik deines neuen Albums „Ossicles“ charakterisieren?
Karl Seglem: Als farbenfroh! Auf „Ossicles“ ist, von sehr
ruhigen bis hin zu höchst expressiven und kraftvollen Kompositionen,
ein breites Spektrum vertreten. Ich will den Hörer aber nicht lenken.
Ich bin sicher, dass jeder das Album anders empfinden wird. Auf alle
Fälle anders, als ich selbst.
JazzZeitung: Wenn es dir gelungen ist, in „Ossicles“ das
Beste aus zwei Welten, also die Lebendigkeit des Bühnenerlebnisses
mit der Präzision einer Studioaufnahme zu verbinden, was kommt danach?
Kannst du das mit dem nächsten Album noch toppen? Oder musst du
ganz andere Wege gehen?
Seglem: Nein, ich habe noch viele Pläne mit diesem Worldjazz-Quintett!
Ich sehe vielerlei Möglichkeiten, wo sich die Musik hinentwickeln
kann. Wenn du eine Zeitlinie ziehst, von den Vorgängeralben „Femstein“ und „Urbs“ hin
zu „Ossicles“, dann kannst du „Ossicles“ als
das dritte Album einer Trilogie verstehen. Mag aber sein, dass ich noch
ein viertes Album mache, um die Reihe fortzusetzen und so quasi eine
Tetralogie daraus mache (lacht). Mal sehen! Auf alle Fälle werden
wir in den beiden kommenden Jahren viel auf der Bühne stehen und
Zeit haben, an neuen Kompositionen zu feilen.
JazzZeitung: Bedeutet „Ossicles“ mit seinen starken Folkeinflüssen
nicht eine Rückkehr zu deinen eigentlichen Wurzeln?
Seglem: Nein, ich betrachte das Album eher als aus diesen
Wurzeln erwachsen, denn als eine Rückkehr zu ihnen. Ich habe, das ist soweit richtig,
viele Elemente aus der norwegischen Folklore und Vokalmusik eingearbeitet
und auch entsprechende Instrumente eingesetzt, wie die Hardangerfiddle.
Andererseits handelt es sich bei allen Stücken auf „Ossicles“ um
ureigene Kompositionen von mir.
Es dauert ja einige Zeit, die eigene musikalische Sprache zu entwickeln.
Ich bin dem, wie ich meine, in den letzten Jahren näher gekommen.
Es handelt sich, und zwar immer deutlicher, um „typische“ Karl-Seglem-Musik.
Das finde ich natürlich gut und auf diesem Weg möchte ich weitergehen.
Vielleicht setze ich beim nächsten Mal einfach zwei Fiddler ein!
Warten wir ab.
JazzZeitung: Es heißt ja auch, du seist ein „Pionier“,
der „den norwegischen Folk als Inspiration nutzt“, um daraus
zeitgenössischen, eigenständigen World-Jazz zu entwickeln.
Beruht der „Welt“-Anteil in deiner Musik also hauptsächlich
auf der nordischen Folklore?
Seglem: Eigentlich nicht. Ansonsten ist ja die Weltmusikszene
fast per Definition auf Afrika, Amerika und Ostasien fokussiert. Skandinavien
ist im Grunde nicht auf deren Landkarte. In dieser Szene gibt es gar
nicht so viele Musiker, die wirklich in der Lage sind, zu improvisieren.
Jedenfalls nicht so wie im Jazz. Das vermisse ich wirklich. Aus diesem
Grund kommt mir die übliche Weltmusik recht langweilig vor. Oft
baut sie auf nichts anderem als auf irgendwelchen Vokaltraditionen auf.
Oder, wie im Falle der afrikanischen Musik, auf überlieferten Rhythmen.
Und das war‘s dann. Der Improvisation wird darüber hinaus
wenig Raum gegeben. Ich lege da großen Wert darauf, versuche, die
Musik zu öffnen und die ganze Gruppe zum Improvisieren anzuhalten.
Und selbst wenn ich traditionelle Instrumente einsetze, wie im Fall der
Hardanger-Fiddle, dann außerhalb ihres traditionellen Kontextes. Carina Prange
CD-Tipp
Karl Seglem: Ossicles
Ozella Music OZ 034 CD, OZ 1034 LP / Galileo MC)
www.karlseglem.no |