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Der Roman „Der Weg nach Oobliadooh“ von Fritz Rudolf Fries ist eines der bemerkenswertesten Bücher der deutschen Nachkriegsliteratur, aus vielerlei Gründen. Einmal war es „das dienstälteste Nichtbuch in der DDR“,1 denn die Kulturfunktionäre verhinderten 23 Jahre lang seine Veröffentlichung. Erst 1989, als es kein Risiko mehr darstellte, löste der Aufbau Verlag sein langjähriges Versprechen ein, allerdings in einer gekürzten „Ausgabe für die sozialistischen Länder“. Das Risiko, den Erstling eines in der Bundesrepublik völlig unbekannten jungen DDR-Autors zu verlegen, übernahm dafür bereits 1966 der Suhrkamp Verlag2 – übrigens durch die engagierte Vermittlung von Uwe Johnson. Zum zweiten gehört der Roman, „eines der furiosesten Bücher, das auf dem Territorium der DDR entstand“,3 nicht nur „zum bleibenden Bestand der DDR-Literatur“,4 sondern gilt generell „bis heute als genialer Meisterwurf“.5 Drittens zählt „Der Weg nach Oobliadooh“ zur in der deutschen Literatur eher selten vertretenen Gattung der Schelmenromane, die sich jedoch im spanischen Sprachraum einer großen Tradition erfreut, und ihr fühlt sich der vor 75 Jahren, am 19. Mai 1935, in Bilbao geborene Sohn einer spanischen Mutter und eines deutschen Vaters persönlich und beruflich eng verbunden. Die beiden Protagonisten des Romans sind zwei in Leipzig lebende enge Freunde in ihren Zwanzigern, die versuchen, den vom Regime vorgegebenen Normen und Zwängen, der Gängelung an den Universitäten und der Uniformität des kleinbürgerlichen Alltags entgegen zu leben und die dem Individuum gesetzten Grenzen eines totalitär verfassten Staates auszutesten, nicht mit politischem Widerstand, sondern auf ihre spezifische schelmische Weise. Der eine dieser beiden Nonkonformisten par excellence heißt
Arlecq, Romanistik-Student, sich noch versuchender Schriftsteller und
Spanisch-Dolmetscher,
der wie sein Autor in Spanien geboren und als Kind während des Krieges
nach Deutschland verschlagen wurde. Der andere wird dem Leser nur als
Paasch vorgestellt, lustloser Student der Zahnmedizin, der seine Examina
verhaut und lieber Klavier spielt, viel trinkt und herum flirtet. Was
Arlecq und Paasch völlig neben der Spur sozialistischer Lebensführung
alles anstellen oder unterlassen, wird von Fries mit virtuoser Sprachfertigkeit
und ausgefeilten satirischen Spitzen dargestellt, dabei offen genug systemkritisch,
dass man sich noch heute den Unwillen der Zensurfunktionäre gut
vorstellen kann. Es ist eben doch ein höchst politischer Roman,
dessen Veröffentlichung im Westen den Autor seine Stelle als Assistent
für Romanistik an der Deutschen Akademie der Wissenschaften (der
DDR) kostete und ihm eine lange Zeit der Isolierung eintrug, während
der er seine Familie mit Übersetzungen spanischer Klassiker wie
Calderón de la Barca, Lope de Vega, Julio Cortázar, Pablo
Neruda und Jorge Luis Borges durchbrachte. Dieser vierte Grund ist der Jazz und wie ihn der Autor als Kompositionselement nutzt, nicht zuletzt, wie er ihn in seinen Roman einbaut, nämlich als eine Kraft, die den beiden Protagonisten zuströmt, derer sie fast schon existentiell bedürfen in ihrem nonkonformistischen Alltag. Beide sind – wie Fries selbst – ausgewiesene Jazzfans, übrigens nicht des Dixieland, wie man bei einer Handlung, die in der DDR des Jahres 1957 spielt, vermuten könnte, sondern des Be-bop, denn: „Be-bop ist da und wird bleiben, sagte Paasch, und die Geschichte würde seine voreilige Prognose rechtfertigen.“6 Zwar haben wir es nicht mit einem Jazz-Roman zu tun, aber doch mit einem Roman voller Jazz, und das in einem Maße, wie es seitdem in keinem deutschen Roman wieder vorkommt – bis zu dem großartigen, vor drei Jahren erschienenen „Abendland“ von Michael Köhlmeier, bei dem der Jazz eine noch größere Rolle spielt.7 Bei Fries beginnt es schon mit dem Titel, der einem Stück von Dizzy Gillespie entlehnt ist und in dem es heißt: „I knew a wonderful princess in the land of Oo-bla-dee“. Dieses imaginäre Land dient Arlecq und Paasch als Metapher für eine unbestimmte, undefinierbare Sehnsucht nach einem unbestimmten, undefinierbaren Ort, der in jedem Fall anders zu sein hat als die DDR. Fries sagt dazu: „Die Figuren sind Reisende unterwegs… Sie kommen da an, wo die Diskussion zu Ende ist, wo sie nicht mehr nur verbal sich entscheiden können für Ost oder West, für Ideen oder für Dinge des schönen Scheins. Sie werden einfach durch äußere Zwänge in die Pflicht genommen. Sie werden vom Autor an jenem Punkt entlassen, wo ihr Leben beginnt. Was sie dann anstellen, ist eine Sache des Lesers, der vielleicht eigene Erfahrungen mit einbringt.“8 Ein ernst gemeinter Ausbruchsversuch der beiden „traurigen und fröhlichen Helden“9 nach West-Berlin – „Freier weht der Wind nach Oobliadooh“ – scheitert an – na, an was eigentlich? Ihrer Unentschlossenheit? Der erdrückenden Angebote der kapitalistischen Glitzerwelt? Der uneingestandenen Verwurzelung im Leipziger Milieu mit ihren ebenfalls unangepassten Freunden? Oder den Freundinnen daheim, von denen die eine – unbeabsichtigt, was sonst - schwanger ist? Immerhin hatte ihnen ein in Ost-Berlin lebender Freund ein beeindruckendes Count-Basie-Konzert im Sportpalast ermöglicht, mit anschließendem Besuch am Breitenbachplatz (in der namentlich nicht genannten legendären „Eierschale“). Und bei dem Freund, der sich die neuesten Platten „am Hardenbergplatz“ besorgte für „Ost gegen West zum Tageskurs“, hörten sie „The Jazz Messengers…(sie) spielten geräuschvoll, mit viel Schlagzeug (Art Blakey), die Töne stürzten mit der Macht einer Lawine aus dem Diskantlautsprecher…Dann legte (der Freund) The Sleepwalker auf, mit Howard McGhee… Das Klavier im Alleingang orgelte zum Gegenrhythmus der Züge unten vor dem Haus.“ Paasch spielt selbst gern und recht ordentlich Klavier, imitiert vorzugsweise die Blockakkorde von George Shearing, „Lullaby of Birdland“ oder „Jumping with Symphony Sid“, „dass es nicht nur Arlecq eine Freude war und ein Rausch zugleich“. Ein andermal: „Paasch stellte sich an den Flügel…Er schlug eine Terz an, die sich schnell im Dunkeln verlor, dann eine zweite, wechselte darauf in die Pentatonik und es wurde so etwas wie Back Home Blues von Charlie Parker. Danach spielte er in weitläufigen Improvisationen verloren alle Themen, die er von Bud Powell, dem großen Irren und Morphinisten, kannte, bis eigene Einfälle eigene Themen ergaben und so fort.“ Paasch ist auch stolzer Besitzer eines Tonbandgeräts, dem er vorzugsweise in seiner Bude im Dunkeln lauscht, auch wenn seine schwangere Freundin dabei ist, die lieber über die gemeinsame Zukunft reden möchte: „Wieder läuft das Band, Parker und Davis im Unisono, dann Bud Powell…findet sich nicht zurecht, das Thema ist ihm entglitten, man merkt, wie hier sich einer abmüht, quält, in den Abgrund schaut, in den er getrieben wird, bis Miles Davis einsetzt, Horizonte tun sich in langer grader Linie auf, die Beklemmung hat Raum, sich zu lösen… Dodo Marmarosa spielt jetzt, es ist das gleiche Thema, aber er kommt durch, hat keine Hilfe nötig, man wünscht sich, sein Chorus wäre länger, man vergisst die andern, solange er spielt, aber da markiert schon das Schlagzeug (Al Haig) den Wendepunkt, Gegenwart wird Zukunft, und der Schlusschorus schleppt sich belanglos ins Finale. Hier aber ist einer, Marmarosa, durch das Labyrinth gekrochen.“ So hört es Paasch, aber so schreibt es der Jazzkenner Fries. Charlie, Dizzy, Miles, Adderley, Monk („the high priest of bop, wie Paasch oder Arlecq hinzusetzt“) – das sind seine und seiner Helden Jazz-Götter. „Der Jazz und das Paradies sind für Fritz Rudolf Fries seit je dasselbe“, heißt es in einer Rezension des späteren Romans „Hesekiels Maschine oder Gesang der Engel am Magnetberg“, in dem der Autor nochmals seine Jazz-Leiden- und Kennerschaft literarisch einbringt.10 Auf den recht komplizierten Inhalt kann hier nicht weiter eingegangen werden, aber zitierenswert ist die Schilderung, wie der Held des Romans von zwei Erzengeln in das Paradies geführt wird, denn sie ist zugleich eine eigenwillige, doch hingebungsvolle Hommage an Lady Day: „… hinter Schwaden von Tabakrauch und in den leisen Passagen in ihrer Musik beinahe zugedeckt von den unbekümmert geführten Gesprächen am Tisch, die Ostinato waren, durchaus anregend gedacht wie die ständige Begleitung auf dem Schlagzeug, unterbrochen oder gesteigert durch das Klirren eines zerbrochenen Glases, das Aufschlagen der Bestecke auf einem geleerten Teller und der unerwartet in die Höhe steigenden Spirale eines Lachens, das auch das der Sängerin sein konnte, die auch heute auf ihre Gardenie im Haar nicht verzichtet hatte und deren abgezehrter Körper unmöglich diese Stimme beherbergen konnte, die stammelte wie ein kleines Mädchen und dann wieder stöhnte wie eine auf den Wogen der Lust reitende Geliebte, und die ihre Kollegen animierte, aus ihren Trompeten und Saxophonen, Gitarren und Bässen die letzten Geständnisse herauszupressen, die sie der Sängerin und uns machen wollten, an diesem Abend und dann nie wieder.“ Auch aus diesem Abschnitt geht hervor, wie sehr Jazz ein Gestaltungs- und Kompositionselement der Fries’schen Prosa ist. „Jazz-Paraphrasen ziehen sich durch das gesamte Werk von Fries… Der Jazz, wie Fries ihn versteht, treibt verschiedenste Stimmen voran, in einem sich ständig verändernden Sog. Da gibt es keine einheitliche Melodieführung, das Gegenteil schwingt immer gleich mit…“11 Nicht ohne Grund wurde „Der Weg nach Oobliadooh“ in einer germanistischen Dissertation mit Jack Kerouacs „On the Road“ verglichen. 12 Doch kehren wir abschließend noch einmal zurück in das Leipzig der Endfünfziger, als sich Arlecq und Paasch letztlich doch mehr oder weniger an den sozialistischen Alltag anpassen, ohne jedoch ihren Jazz zu „verraten“. Paasch, inzwischen verheirateter Familienvater und angestellter Zahnarzt in einem dörflichen Vorort, schickt Arlecq, der sein Brot als Dolmetscher für hohe DDR-Gäste verdient, einmal ein Lebenszeichen auf Tonband, und sein Freund hört neben Nachrichten aus dem eher langweiligen Familien- und Berufsalltag: „übrigens toronto konzert endlich aufgenommen parker und dizzy bud powell geht gleich los mit salt peanuts herrlich da gerätst du außer rand bringe das band mit… übrigens willi conover sendet auch über langwelle…“ Und Oobliadooh? Wo liegt es? Nein, nicht vergessen ist es, nur viel kleiner, viel bescheidener geworden. Arlecq, der ab und an zu Freunden in die ländliche Idylle Grüneiche bei Berlin fährt, denkt dort an Paasch mit den Worten: „Hier lasst uns Hütten baun. In Grüneiche-Oobliadooh.“ Und als die beiden in den städtischen Anlagen einen Mann auf einem Rasenmäher beobachten, überlegen sie, ob das nicht ein prima Job auch für sie wäre, mit einem Verdienst, der ausreiche für ein Kind, einen kleinen Haushalt und „einmal im Monat Kino“: „Du kämst dir vor wie in Oobliadooh, sagt Arlecq. Wo immer das liegt. Paasch singt das Lied von der Prinzessin. In the land of Oobliadooh.“ Dietrich Schlegel 1 Wilfried F. Schoeller in der „Süddeutschen Zeitung“ vom
1.12.1989, Interviews mit dem Autor |
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