Die dänische Sängerin, Komponistin und Pianistin Susi Hyldgaard
legt aktuell bei enja eine neue CD „Magic Words to steal your heart
away“ vor. Das erste Hören des noch unbeschrifteten Promo-Exem-
plars überrascht: Jene Individualistin, die auf ihren bisherigen
Soloalben betont eigenständige Grenzgänge zwischen Jazz und
elektronischem Pop wagte, rückt hier gleich einer ganzen Reihe alter
Standards aus den 40ern und 50ern und auch den französischen Chansons
zu Leibe. Ein Gesinnungswandel jener Künstlerin, die ja sonst so
konsequent auf ihr ureigenes Ding bedacht ist?
Aber keine Sorge, sie bleibt doch ganz sie selbst dabei! Ihre starke,
dunkle Stimme lässt behaglich ein „oldschool“-Jazzfeeling
aufleben, gleichzeitig kommen erstaunliche Sound-Architekturen zum Tragen – teilweise
auch mit erweiterter Band-Besetzung. Das führt in so manches Labyrinth
und berührt in seiner Schlichtheit. Im Dortmunder Domicil zeigt
sich Susi Hyldgaard als entspannte Bandleaderin, die ausgiebig mit dem
Publikum zu plaudern weiß und sich später von der schmusesoulig
die Seele streichelnden Vocaleuse zur expressiven Power-Frau steigert.
Zu ausgepowert für ein Gespräch direkt nach dem Konzert, steht
sie wenige Tage später telefonisch Rede und Antwort, der Rest wird
per E-Mail geklärt.
jazzzeitung: Im Domicil hattet ihr eine gute
Bandchemie und eine sehr präzise, gleichberechtigt anmutende Kommunikation.
Definierst Du Dich als klare Leaderin?
Susi Hyldgaard: Ich bin eindeutig die Leaderin, weil
ich die Musik komponiere. Es geht von meinen Texten aus, irgendwann kommt
spontan eine Melodie
aus meinen Fingern, die ich an Klavier und Computer ausarbeite. Es ist
wie bei einem Bild, das immer mehr Farben bekommt.
jazzzeitung: Es gibt
viele Musiker, die schauen beim Spielen regelrecht über ihr Publikum
hinweg. Du hingegen scheinst sehr direkten Blickkontakt zu bevorzugen.
Susi Hyldgaard: Ein Konzert ist die totale Interaktion.
Du bist auf der Bühne so abhängig von dem, was dir die Zuhörer intuitiv
geben. Gerade bei komplex arrangierten Stücken ist es oft ein Wagnis
zu erreichen, dass das teilnehmende Publikum nicht verloren geht.
jazzzeitung: Deine Musik ist so innovativ und experimentierfreudig,
gleichzeitig sind so viele Spurenelenemte aus dem Jazz enthalten. Wie
kommt es zu dieser
Balance?
Susi Hyldgaard: Meine ersten musikalischen Berührungen war der alte
Jazz der 40er und 50er. In der jüngeren Vergangenheit habe ich mich
sehr intensiv mit elektronischer Musik beschäftigt. Die Musik wird
lebendig, wenn du es schaffst, Gegensätze zu vereinen. Und ich bringe
gerne Warmes mit Kaltem zusammen.
jazzzeitung: Wie schwer es ist, über
Musik treffend zu schreiben, zeigt sich bei den vielen Vergleichen mit
anderen Sängerinnen, die über dich zu lesen sind. Wie gehst
du damit um?
Susi Hyldgaard: Damit gehe ich recht gleichgültig um. Nachprüfen
kann ich sie nicht, weil ich überhaupt nur ganz wenig andere Musik
höre. Ich bin ausgefüllt genug mit meiner eigenen Musik.
jazzzeitung: Umso mehr erstaunt es, dass du jetzt eine
Platte mit Standards gemacht hast. Wo liegt dabei der persönliche
Bezug?
Susi Hyldgaard: Die alten Platten meiner Eltern waren
meine erste Berührung
mit Musik überhaupt. Später haben wir das Realbook rauf- und
runtergespielt, um unsere Improvisationen zu verbessern. Aber ich dachte
sehr lange, die vorhandenen Interpretationen sagen alles aus. Aber dann
habe ich es doch mal ausprobiert, zuallererst im letzten Sommer, als
ich in Kanada tourte. Es ist eine neue Erfahrung, Stücke aus der
Feder anderer Leute zu spielen. Vor allem wenn wir live spielen, schaffen
diese Wiedererkennungseffekte beim Publikum einen schönen gemeinsamen
Horizont.
jazzzeitung: Wie viel Persönlichkeit von dir steckt in
der aktuellen Auswahl der Songs?
Susi Hyldgaard: Zum Beispiel ist der Opener „Slow Hot Wind“ eine
Liebeserklärung an Henri Mancinis Werk.
“Teach me tonight“ ist von einem meiner absoluten Lieblingsalben
mit Joe Pass und Ella Fitzgerald. Mein Vater hat es mir oft vorgespielt,
ich mag bei dem Stück vor allem die Interaktion der beiden. Und
die ist auch wunderbar, wenn ich es mit Jannik Jensen spiele, meinem
ewigen Lieblingsbassisten.
Cole Porters „Love for sale“ ist ein sehr kritischer Text
und mir schwebte eine sehr traurige, ernste Interpretation vor. Ich hatte
eine Menge ernster Bezüge aus der Gegenwart im Kopf und wollte gegen
den Missbrauch der menschlichen Krea-
tur protestieren. Aber dieser Anspruch überforderte mich. Die aktuelle
Version imaginiert eine Frau in den 40ern, die nachts in Internet-Partnerbörsen
surft.
„Les Parapluis de Cherbourg“ ist der Titelsong eines alten
Films, den wir oft mit der ganzen Familie gesehen und regelmäßig
gemeinsam geheult haben hinterher. Ich habe das Stück auf einer
alten 45er-Platte mit ganz vielen Kratzern drauf – wunderschön!
Aktuell bin ich sehr glücklich, dass ich Aldo Romano als Gast-Sänger
für die Aufnahme gewinnen konnte. jazzzeitung: Die neue CD ist fertig,
einige Konzerte liegen hinter Dir. Wie sieht dein aktueller Tagesablauf
aus?
Susi Hyldgaard: Ich bin viel zuhause, denn ich habe
ein neun Monate junges Baby. Im Durchschnitt komme ich etwa drei Stunden
täglich zum Arbeiten,
meist am Computer. Das ist okay so. Stefan Pieper |