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Was ist das für ein Musiker, der seine aktuelle Platte nach diesen Zeilen benannt hat – „The second coming“ (Die Wiederkunft)? Und der in die Hülle dieser CD das Sterbealter Jesu Christi, 33, stanzen lässt, damit an Kafkas „Strafkolonie“ erinnernd, wo jeder Delinquent seine Schandtaten ins Fleisch geschnitten bekommt?
Yeats war – insbesondere mit diesem Gedicht – ein düsterer Warner, auch noch heute beschäftigen sich Literaturwissenschaftler damit, was genau Yeats zwischen den beiden Weltkriegen mit „wüste Bestie“ gemeint hat – den damals aufkommenden Faschismus, den so genannten Kommunismus oder den blinden Glauben religiöser Menschen an einen, der ihnen erlösend selbst auferlegte Lasten abnimmt? Folgt man den Wissenschaftlern Hendrik Achenbach und James Lovic Allen, ist es ziemlich wahrscheinlich, dass Yeats die zwei ihm gleichermaßen verhassten Bewegungen „Christentum“ und „Kommunismus“ (die beide für ihn eine nicht zu akzeptierende Gleichmachung der Individuen bedeuteten) gleichsetzt – dass also in der Form des Kommunismus die „wüste Bestie“ wiederkehrt, die einst als „Christentum“ geboren wurde. – Ein Stoff für Einzelgänger, für Warner! Wie ein Warner wirkt der in Paris und Budapest lebende Gitarrist und Komponist Gábor Gadó auch – aber wie einer, dem der Glaube daran fehlt, dass Warnungen philosophisch-künstlerischer Art erhört werden. An jene zu erinnern, die aufbegehren, die einsam ihre Bahn ziehen, die zum Scheitern verurteilt sind, die also diese Welt etwas aushaltbarer machen, scheint Gadós Mission zu sein. Kunst, Musik, Jazz als Menetekel. Gadó stammt aus dem ungarischen Pécs. Mit acht Jahren, 1965, lernte er Geige und Gitarre spielen. Frühzeitig schon musizierte er auf Hochzeiten und quälend viele Male zum Tanz in miesen Klubhäusern und Kneipen Südungarns, eignete sich dabei ein stilistisch weit gefächertes Repertoire an: von britischer und ungarischer Beat- beziehungsweise Rockmusik über die Lieder der Serben und die Tänze der Donauschwaben bis hin zu den Popularmelodien der ungarischen Kaffeehausmusik und den amerikanischen Schmalzsongs der Musical- und Hollywood-Filmmusikindustrie. 1980 dann ging Gadó nach Budapest, um Musik zu studieren, schon 1982 erhielt er den ersten Preis für Jazz am Béla-Bartók-Konservatorium und verdiente sich mit dem „Ungarischen Gitarrentrio“ erste Meriten. 1991 nahm er die CD „Special Time“ auf, die im Sound noch ziemlich vom Fusion-Jazz beeinflusst war, kompositorisch aber schon viel Eigenes erkennen ließ. Der auf „Special Time“ enthaltene Titel „Balkan Ballad“ wurde mittlerweile so etwas wie ein Markenzeichen Gadós; seine melodisch-harmonische Schönheit fasziniert und stellt den Künstler auf eine Ebene mit den ganz Großen unter den „Jazz“-Komponisten von Weltgeltung. Zwar gibt es bei Gadó immer wieder auch expressive Passagen und fulminante Soli, wie sie im freieren Jazz üblich sind, aber eigentlich geht es dem Künstler nicht vordergründig darum, Individuelles – psychische Befindlichkeiten oder emotionale Zustände – durch Phrasierung, Tongebung und Aufbau von Soli in den Mittelpunkt seiner Musik zu stellen. Insofern ist die Musik des Ungarn kein Jazz, zumindest keiner im Sinne von Coltrane, Gayle, Marsalis oder Brötzmann. Gadó schafft Stimmungen und Nachdenklichkeit; seine Musik ist eine enigmatisch leuchtende Welt des Warnens in der Düsternis. Seit 1995 pendelt der Musiker zwischen Budapest und Paris, komponiert, arrangiert – auch für größere Formationen, auch in klassischer Musik und tritt mit verschiedenen Gruppen auf. In Ungarn befasst er sich auch mit Filmmusik. Seit 2000 leitet er das in Paris beheimatete Gábor Gadó Quartett, das Auftritte in Spanien, Frankreich und Ungarn vorweisen kann. 2003 erhielt er in Frankreich für sein Gesamtwerk den Bobby-Jaspar-Preis der Französischen L’Académie du Jazz und damit den Titel „Bester Europäischer Jazzkünstler“ – nach solchen Größen wie Paolo Fresu, Martial Solal, Daniel Humair, Aldo Romano, Bobo Stenson und Albert Mangelsdorff. Seit geraumer Zeit komponiert Gadó für den außergewöhnlichen Sänger Gábor Winand und wurde zu dessen künstlerischem „alter ego“. Winand, ein völlig eigenständiger und einzigartiger Vokalkünstler, verbindet den Ausdruck des Zigeunergesangs mit den Gestaltungsfinessen zeitgenössischer Kunstlieder und der Scat-Ästhetik des Modern Jazz. Sein mal schamanistisch, mal avantgardistisch wirkender Gesang und Gadós Kompositionen gehen – vermittelt durch die philosophisch durchtränkte Lyrik Eszter Molnárs – eine in der emotionalen Ausstrahlung beklemmend enge Verbindung ein. Mathias Bäumel Veranstaltungs-Tipp
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