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Der Musikmarkt verzerrt die Wahrnehmung, so die 68-jährige argentinische Sängerin und Anti-Diva Mercedes Sosa. Sie hält es für ein marktgemachtes Problem dass die lateinamerikanische Popmusik derzeit gerne (falsche) Blondinen wie Shakira pusht, „die nach Möglichkeit sehr schlank sein sollen und unbedingt ihre Brüste zeigen müssen. Ich lebe und habe mein Leben immer anders gelebt“, erklärt Sosa so trocken und selbstbewusst. Und tatsächlich: Der tiefe Kulturunterschied der seit jeher politisch und sozial sehr engagierten und emanzipierten Mercedes Sosa zu den „material girls“ und Latino-Titten-Mäuschen für normierte Männerphantasien könnte nicht größer sein. „Ich höre mir diese Musik nicht an, sie ist mir egal“, erklärt bestimmt Mercedes Sosa und fügt stolz und gleichzeitig voller Demut hinzu: „Nichts desto trotz bin ich für mein neues Live-Doppelalbum „Acústico“ gerade mit einem Grammy ausgezeichnet worden und habe auch ein Preis von der UNESCO erhalten. Ich habe Glück gehabt im Leben.“ Ob sie dann auch live auf dieser Tournee „Gracias a la vida“ (deutsch: „Danke an das Leben“) singen würde, diese große Ode an das Leben, antwortet Mercedes Sosa: „Aber ja.“ Und Pablo Nerudas berühmtes Gedicht „Poema Nr. 15“ mit der Musik von Victor Jarra, wird sie das auch singen.“ „Aber sicher“, sagt Mercedes Sosa, „keine Frage im Jahr 30 nach dem Tode des chilenischen Literaturnobelpreisträgers Pablo Neruda am 23. September 1973 und 30 Jahre nach dem gewaltsamen Ende von Salvador Allende. Wie bei allen großen lateinamerikanischen Künstlern kennt Sosa genauso wie Mario Vargas Llosa oder Gabriel García Márquez keine Trennung von Kunst und Politik. Als sie im Gespräch von der Neuigkeit überrascht wird, dass der liberale Historiker und Cineast Carlos Mesa in Bolivien vom Kongress zum neuen Präsidenten erklärt wurde, ruft sie spontan aus: „Was für ein Glück! Ich kann es kaum glauben. Ich bin sehr glücklich und zufrieden über diese Wahl und ich bin überzeugt, dass sich dadurch die Lage entspannt, denn Bolivien stand ja am Rande eines Bürgerkriegs wie auch mein Land Argentinien vor kurzem.“ Und wie schaut es jetzt in Argentinien aus? Den neuen Präsidenten Nestor Kirchner bezeichnet Sosa im Gespräch als „una maravilla“, ein Wunder und Geschenk des Himmels –, genauso wie den neuen Präsidenten Brasiliens Lula da Silva, der am Tag von Carlos Mesas Wahl im Begriff war, seinen Staatsbesuch in Argentinien zu beenden. Sosas Aufmerksamkeit für politische Belange ist natürlich auch die Folge leidvoller Erfahrungen als politische, für die Demokratie plädierende Sängerin und die schwierigen Jahre im Exil: Damals weinte sie mit ihren Liedern in ihren Konzerten öffentlich und brachte die Leute zum Weinen. Die Angst von damals ist gewichen und gerade Deutschland ist ihr aus ihren schwierigen Exil-Jahren in bester Erinnerung. Denn von ihrem Madrider Exil aus reiste und tourte sie ab Mitte der 80er oft und gerne in Deutschland: „Man hat mich und meine Musik hier mit sehr viel Respekt und Wärme aufgenommen,“ erinnert sich Sosa heute. Auch die Freundschaft mit dem Liedermacher Konstantin Wecker rührt aus dieser Zeit her . „Wie könnte ich mich nicht an Konstantin Wecker erinnern“, ruft sie aus, „ich werde ihn, seine junge Frau und seine Kinder natürlich auf dieser Tour treffen“, sagt Mercedes Sosa plötzlich tief bewegt. Und was erwartet das Publikum im Nürnberger Opernhaus heute Abend. „Ich werde singen und singen“, skandiert die Folk-Sängerin. Darunter neuere „canciones“ wie „Hablando a tu corazón“ von der argentinischen Rock-Legende Charly Garcia genauso wie „María María“ von Milton Nascimento, allerdings nicht „Al despertar“, das grandiose gleichnamige Titelstück ihrer Post-Depression-CD. „Ich kann dieses Lied einfach nicht in der Öffentlichkeit singen“, sagt Sosa mit brüchiger, dem Weinen naher Stimme. Reinhold Horn |
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