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Jazzzeitung

2001/10  seite 8

interview

 

Inhalt 2001/10

standards
Editorial
News
Fortbildung
no chaser: Mr. Sax-Machine
Glossar: West Coast Jazz
Farewell: Helmut Brandt

berichte
Im Studio mit Onkel Bill
„Thilo Wolf Big Band“ und Bill Ramsey nehmen neue Swing-CD auf
Ein Stern geht auf
Carla Cook & Band in Memmingen

jazz heute
Break (von Joe Viera)
 Farewell. Zum Tode von Helmut Brandt
 Sponsoren und das Kulturgut
Arbeitskreis Kultursponsoring und Universität München stellen Studie vor
 no chaser. Mr. Sax-Machine
 Live in Concert
Dusko Goykovich feiert seinen Siebzigsten

portrait / interview
Die mit Worten tanzt
Susanne Abbuehl im Gespräch über ihr ECM-Debüt
LebensTraum
Victor Bailey im Gespräch
Sehr Nah am Jazz
Richie Beirach spielt Federico Mompou
Das Geheimnis des Erfolges
30 Jahre Enthusiasmus: Matthias Winkelmann und das Jazzlabel enja

play back.
So gut wie nie zuvor
Art Pepper trifft seine Freunde von der Westküste

education
Kurse

dossier
Der Raub der Jazzkrone
oder: Warum Jazzmusiker in Berlin eine Green Card erhalten

medien/service
Schlauer Kaktus
Rabih Abou-Kahlils neuestes Werk auch auf DVD
Charts & Critics Choice
Internet. Link-Tipps
Rezensionen 2001/10
Service-Pack 2001/10 als pdf-Datei (kurz, aber wichtig; Clubadressen, Kalender, Jazz in Radio & TV, Jazz in Bayern und anderswo (544 kb))

 

Die mit Worten tanzt

Susanne Abbuehl im Gespräch über ihr ECM-Debüt

Jazzzeitung: Eine in Deutschland weitgehend noch unbekannte Schweizer Sängerin startet mit ebenso unbekannten Begleitern auf einem Debütalbum bei ECM – wie kam es dazu?

Susanne Abbuehl: Ganz unspektakulär: Ich bin Schweizerin und Holländerin und hatte für eine Koproduktion eines holländischen und eines Schweizer Senders Musik aufgenommen. Zur Zusammenarbeit mit ECM kam es, nachdem Manfred Eicher diese Aufnahme hörte und sich dafür interessierte, Musik mit uns aufzunehmen und zu produzieren. Im Studio war dann meine Erfahrung, dass Manfred Eicher als Produzent ein sehr gutes Gefühl dafür hat, wann etwas in sich stimmt. Mit wenigen Worten, eigentlich unmerklich, war Manfred Eicher wie ein zusätzlicher Mitmusiker.

Eine neue, aufregende Stimme unter den Jazzsängerinnen: die holländisch-schweizerische Musikerin Susanne Abbuehl. Foto: R. Masotti/ECM

Jazzzeitung: Was sind in Kürze für Sie selber die wichtigsten Stationen und Begegnungen Ihrer bisherigen musikalischen Tätigkeit?

Abbuehl: Als Kind spielte ich Cembalo, Barockmusik. Ich mochte den Klang des Cembalos damals sehr, eine Art Kargheit und Sprödheit, die mich ansprach. Mit 17 bin ich nach Los Angeles gegangen, wo ich eine High School besuchte, in der ich jeden Tag Musikunterricht erhielt. Ich war dort Mitglied einer vokalen Jazzgruppe und habe angefangen mit Gesangsunterricht. Dort hat sich das Schwergewicht von der klassischen Musik zum Jazz verlagert. Über meinen Vater hatte ich zwar auch zuvor viel Jazz gehört und hatte Klavier gespielt und dazu in einer Art freiem Stil gesungen. Am Königlichen Konservatorium in Den Haag habe ich dann Jazz- und klassischen Gesang studiert und mit dem Masters Degree abgeschlossen. 1995 habe ich angefangen, in Amsterdam klassische nordindische Musik zu studieren und wurde später Schülerin von Prabha Atre in Bombay, einer der indischen Meistersängerinnen. Diese Begegnung, wie auch diejenige mit Jeanne Lee, waren sehr wichtig für mich, musikalisch und menschlich. Neben der Arbeit mit meiner Gruppe schreibe ich auch Musik für andere Besetzungen, vor kurzem für ein Hörspiel und für ein Kammermusikensemble.

Jazzzeitung: In der High School begannen Sie mit traditionellem Jazzgesang aus dem Real Book?

Abbuehl: Ich kenne dieses Repertoire gut. Gerade diese Songs, die schon von sehr vielen Musikern gespielt wurden, machen das Persönliche einer Interpretation deutlich hörbar. Es ist kein Konzept dahinter, dass ich dieses Repertoire nicht singe. Es ist mehr so, dass andere Musik, andere Formen, andere Worte dringender sind für mich.

Jazzzeitung: Was schätzen Sie persönlich an Jeanne Lee?

Abbuehl: Bei allen verschiedenen Dingen, die Jeanne musikalisch getan hat, war sie immer sie selbst. Ihre Persönlichkeit war in ihrem ganzen musikalischen Ausdrucksspektrum sehr präsent. Ich mag alles, was sie tat, ihre ganze Entwicklung: Das Duo, das sie mit Ran Blake hatte, ihre Arbeit mit Gunter Hampel, Anthony Braxton, Carla Bley, Marion Brown, Archie Shepp, Reggie Workman, später ihr Duo mit Mal Waldron, ihre Arbeit mit Poesie, Musik und Tanz. Sie hat mich darin unterstützt, meinen eigenen Weg zu gehen, jenseits der Reproduktion, vom Kern aus zu gehen, wohin ich gehen will. Das Zusammenspiel von Wort und Klang war bei ihr sehr stark, es war eine Synergie. Auch wie sie mit Gedichten gearbeitet hat, mit dem klanglichen Aspekt der Poesie, ihr Sprachgefühl ganz allgemein. Sie tanzte mit den Worten. Ich liebte ihre Stimme, diesen ehrlichen, direkten Klang, manchmal zwischen Gesang und Sprache. Auch das Unspektakuläre, aber sehr Ergreifende. Leere Virtuosität gab es nie bei ihr.

Jazzzeitung: „April“ ist ein zentraler Begriff im ersten Song „yes is a pleasant country“, einem von Ihnen vertonten Liebesgedicht von E.E. Cummings. Sie haben Ihre CD wohl danach genannt. Warum?

Abbuehl: Das Wort kommt in zwei der Cummings-Gedichte auf meiner CD vor. Cummings „entwickelte” Worte, gab ihnen neue Zusammenhänge. So hat er das Wort „april” in verschiedenen Funktionen, auch als Verb, verwendet: „and if a look should april me”. Für mich entsteht dabei ein sehr starkes Bild.

Jazzzeitung: Wie haben Sie die Musik für ihre Platte ausgewählt?

Abbuehl: Carla Bley ist seit langem eine meiner Lieblingskomponistinnen. Ihre Musik hat eine sehr starke Individualität, kann aber auch gut interpretiert werden von anderen. Cummings und Bley haben beide eine gewisse Unkonventionalität, eine sehr eigene Sprache. „’Round Midnight” singe ich, weil ich es einfach eine unglaublich starke Komposition finde. „Mane na” ist eine Komposition in Raga Madhukauns, einer Mitternachts-Raga. Es ist eine Art Nachhall von „’Round Midnight” für mich, da gibt es eine Verbindung, beides sind Nachtlieder. „All i need”, das Stück von Wolfert, zu dem ich den Text schrieb, ist eine kleine, sehnsuchtsvolle musikalische Geste. Es handelt von der Hoffnung, dass da jemand wäre, der einem alles abnimmt. Die Hoffnung setzt sich über die aufgeklärte Einsicht, dass dem nie so ist, hinweg.

Interview: Godehard Lutz

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