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Inhaltsverzeichnis Jazzzeitung 5/2000

2000/05

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Stadt-Portrait

Seite 27

Mythos Wendelstein

Über Zuschauerrekorde und Publikumsmagneten

Wenn ein kleiner Ort, gelegen an der Peripherie einer süddeutschen Großstadt, durch ein Jazzfestival innerhalb weniger Jahre überregionale Bedeutung erringt und mindes-tens einmal im Jahr doppelt so viele Besucher wie Einwohner zählen kann, werden auch die abgebrühtesten Szenekenner neugierig. Eine Erklärung für den real existierenden Mythos „Wendelstein“ und den seit Jahren ungebrochenen Nimbus des hier veranstalteten „New Orleans Music Festival“ zu finden, fällt einigermaßen schwer.

Annäherungen sind freilich möglich. Und sie funktionieren am besten über die Festivalgeschichte, die zugleich die Geschichte des Wendelsteiner Kulturreferatsleiters Gerd Huke und seines vehementen Engagements für die Musik des schwarzen Amerika ist. Ein „in der Wolle gefärbter“ Jazz- und Bluesfan, der vor über 15 Jahren antrt, um mehr als eine Spur von Kultur ins kleinstädtische Leben zu bringen.

„Als ich den Posten im Oktober 1984 übernahm, sah es im ,Markt Wendelstein’ – ein durch die Gebietsreform entstandener Zusammenschluss der Orte Wendelstein, Röthenbach, Groß- und Kleinschwarzenlohe – kaum anders aus, als in vergleichbaren Kleinstädten am Rand eines Ballungszentrums: Arbeits- und Freizeitverhalten waren ganz klar in Richtung Nürnberg orientiert“, erzählt Huke.

Hukes Programmentwürfe, die er als Leiter seines damals noch „Kultur- und Presseamt“ genannten Referates realisierte, zielten darauf ab, die Identifikation der Bürger mit ihrem Wohnort zu verstärken, gegen das „Schlafstadt-Image“ anzugehen. Huke, als Organisator und Konzertveranstalter ein „reiner Autodidakt“, wie er erklärt, begann mit einer Dichterlesung des fränkischen Literaten Fitzgerald Kusz und einem „absoluten Minimalbudget“, bereits der zweite Event war ein Jazzkonzert. Den „Blue Note“-Schwerpunkt auf Jazz und schwarzen Blues setzte Gerd Huke sehr bewusst, denn Mitte der Achtziger war diese Musik in der mittelfränkischen Region kaum verbreitet.

Relativ schnell entstand die Veranstaltungsreihe „Wendelsteiner Sommer“, die (aus historisch gewachsenen Gründen zwischen Ende September und Ende März abgehalten) relativ schnell ein festes Stammpublikum an Wendelstein band. Gäste, die auch lange Anfahrten etwa aus Würzburg oder Stuttgart auf sich nahmen und nehmen, um hochklassige Künstler/-innen zu erleben. Manche Jazz- und Blueslegende gastierte im Laufe der Zeit auch abseits des Festival-Betriebs in Wendelstein.
Nachdem Gerd Huke den schwarzen Blues in Wendelstein etabliert hatte, begann er, sich auf traditionellen Jazz zu konzentrieren. 1988 brachte er die „New Orleans Blues Serenaders“ nach Wendelstein. Ein High-Class-Ensemble, dessen Auftritt der Startpunkt für das in den Folgejahren schrittweise aus der Taufe gehobene „New Orleans Music Festival“ werden sollte.

„So nebenbei“ bescherte der Zufall Gerd Huke auch noch die so genannte „Jegelscheune“, die heute trotz ihres beschränkten Angebotes von gerade einmal 100 bis 120 Plätzen zu den wichtigsten Spielorten in Wendelstein zählt. „Dem Kindergarten, der hier einzog, fehlten noch ein paar Quadratmeter zur Bezuschussungsgrenze – deshalb wurde der heutige Konzertsaal als Multifunktionsraum hinzugenommen“, erinnert sich Huke. Das Gästebuch der Jegelscheune ähnelt einem „Who is Who“ des Jazz, erst vor ein paar Monaten gastierten hier kurz hintereinander der Gitarren-Senior Mundell Lowe und der hochinteressante Newcomer Bireli Lagrene: Saitenkünstler, wie man sie sonst kaum je in einem derart intimen Rahmen erleben kann.

Die Kleinkunst-Schiene wird übrigens seit ein paar Jahren vom „Casa De La Trova“ abgedeckt. In der ursprünglich von der SPD-Organisation „Die Falken“ initiierten Einrichtung geben sich unter anderem bekannte Kabarett-Stars und Chansonniers die Klinke in die Hand, was ebenfalls auf die starken Synergie-Effekte im Kreativzentrum Wendelstein zurückzuführen sein dürfte.

Seit seiner Gründung 1994 verzeichnet das Wendelsteiner „New Orleans Music Festival“ stetig steigende Besucherzahlen. 1999 waren es gut 30.000 Menschen an neun Tagen, die sich Music-Acts von der Chicagojazz-Combo bis zur Bluesrock-Band gönnten. Zum Vergleich: Einwohner zählt der „Markt Wendelstein“ gerade einmal 16.100.

Ein Ergebnis, das Gerd Huke im Millenniumsjahr 2000 gerne noch toppen würde. Die Chancen für einen neuen Zuschauerrekord stehen gut, denn es wurden Publikumsmagneten wie Georgie Fame mit seinen „Blue Flames“, Englands „Prinz des Rhythm ’n’ Blues“ James Hunter oder der legendäre Tenorist Scott Hamilton eingeladen. „Inzwischen denkt bei dem Begriff ,Wendelstein‘ kaum noch jemand an oberbayerische Berge“, sagt Gerd Huke und lächelt, fast ohne Ironie …

HANS VON DRAMINSKI

Tipp: Wendelstein 2000
29. April bis 7. Mai 2000: „New Orleans Music Festival“ mit Gruppen fast aller Stilrichtungen

Kontaktadressen:
Kulturreferat des Marktes Wendelstein, Tel. 09129/40 11 20, Fax 09129/401207
Casa De La Trova, Kulturtreff, Zum Sportheim 13, Tel. 09129/33 72

Einen ausführlichen Programm-Ausschnitt finden Sie im Kalenderteil dieser Ausgabe der Jazzzeitung auf Seite 15.

 

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