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Inhaltsverzeichnis Jazzzeitung 5/2000

2000/05

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Berichte

Seite 4

Sebi Tramontanas Chicago Diary

Zum Musikertreffen Come Sunday im Münchener Einstein

Sebi Tramontana ist ein herausragender Vertreter der Improvisierten Musik, bekannt geworden unter anderem als Solo-Posaunist und Mitglied des Italian Instabile Orchestra und auch als Schauspieler. Er stammt aus Sizilien, lebt aber seit über zehn Jahren in München. Durch ein Stipendium der Landeshauptstadt erhielt er vor einem Jahr die Möglichkeit, für einen Monat nach Chicago zu gehen, um mit den Musikern der dortigen freien Jazz- und Musikszene zu arbeiten und zu improvisieren.

Diese Investition in Kreativität zahlte sich nun auch für die Musikfreunde aus. Zum zweiten Musikertreffen „Come Sunday” am 2. April im „Einstein”-Kulturzentrum holte Sebi Tramontana im Auftrag des Kulturreferats und des „International Composers & Improvisers (ICI) Forum Munich” e. V. einen Nukleus frei improvisierender Musiker aus Chicago nach München. Das ICI gründete sich im Februar 1999 beim ersten „Come Sunday”-Meeting, in dessen Mittelpunkt der belgische Pianist Fred van Hove und die europäische Szene gestanden hatten.

Der Publizist und Produzent John Corbett informierte über die Entwicklung des Jazz und die heutige Szene in Chicago, die man als Teil einer kontinuierlichen musikalischen Kreativität sehen kann: Sie begann mit der Hot Music des „Chicago Jazz” der 30er, mit King Oliver, Armstrong, Lil Hardin, den Brüdern Dodd u.v.a.. In den 50ern wurde die Windy City zur Geburtsstätte des Funk- und des Soul Jazz. Und von Sun Ra und dem AACM (Advancement of Creative Musicians), das u. a. das Art Ensemble of Chicago hervorbrachte, in den 60-er und 70er-Jahren führen Verbindungen zur neuerlichen Explosion der Free Music in den 90ern, die bis heute anhält. Sie wurde schon während des Vortrags musikalisch demonstriert von den Duos Mats Gustafson und Michael Zerang sowie Ken Vandermark und Fred Lonberg-Holm. Namhafte Vertreter dieser heutigen Chicagoer Musik konnten sich nun erstmals in solch konzentrierter Form in Übersee präsentieren. Bassist Kent Kess-ler, der „Come Sunday” mit einem intensiven Soloauftritt eröffnete, stellte die Verbindung zum wichtigsten Katalysator des heutigen Chicago Jazz her, dem 1992 verstorbenen Hal Russel. Dessen Nach-folger im legendären NRG Ensemble wurde Saxophonist Ken Vandermark, der 1989 aus Boston nach Chicago kam und von Schlagzeuger Michael Zerang, einem Schulkameraden Kesslers, zum Bleiben bewegt wurde.

Auffällig ist die Fähigkeit der Chicagoer Szene, Musiker von außerhalb (zum Beispiel aus Europa Peter Brötzmann, Peter Kowald, Misha Mengelberg, Georg Gräwe oder eben Tramontana und Gustafson) für kürzere oder auch längere Zeit zu integrieren und zu befruchten. So gab es in der Echtzeithalle und im Jazzclub Unterfahrt neben den beiden rein Chicagoer Gruppen „Joe Harriott Project” und Jeb Bishop Trio drei Konstellationen um Gastgeber Sebi Tramontana. Bei ihm und seinen Mitstreitern, besonders der schwedische Tenorsaxophonist Gustafson ist da zu nennen, im Quartett „Blhtz” und Trio „Knuckles” war die oft faszinierende Suche nach neuen Tonfindungen und –gebungen, Tüfteleien und ungewöhnlichen, auch witzigen Gestaltungen von berechneten Klangelementen und menschlicher Intensität und Spontaneität vorherrschend. Die echten Chicagoer schienen stärker im Jazz verwurzelt. Ihre mitreißende freie Musik geht häufiger von dieser Tradition aus und kehrt zu ihr zurück. Da darf es ruhig auch swingen. Und faszinierend problemlos fand das alles, fanden alle im abschließenden „Chicago Diary”-Ensemble zusammen, um Sebis Erinnerungen zu präsentieren.

Die von Corbett eingangs aufgeworfene Frage nach der Bedeutung von „Chicago Music” angesichts eines ortsungebundenen Lebens wurde an diesem Sonntag musikalisch beantwortet: In der Windy City scheint ein bestimmter musikalischer Wind, der wie immer nicht vor Grenzen und Kontinenten halt macht, besonders heftig und beständig zu wehen.

Franz Xaver Döginger

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