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Etwas Besseres kann dem Jazz eigentlich nicht passieren: Er löst wieder Debatten aus! In der deutschen Tagespresse! Lange Spalten auf der ersten Feuilleton-Seite der „Süddeutschen“ – und das in kurzem Abstand gleich zweimal, zumindest bis zur Drucklegung dieser „Jazzzeitung“! Klasse!
Das ist nützlich und schön. Und in einem Fall auch sehr lesenswert: „Der reine Moment“ hieß der Text. Das Problem nur: Kulturjournalisten schreiben zwar gern breite Reflexionen, aber über eben diese „Momente“ nur noch selten. Konzertkritiken sind Mangelware geworden, vor allem bei sogenannten Minderheiten-Themen. Immer noch geistert in den Redaktions-Konferenzen das Unwort vom „Rezensionen-Friedhof“ herum – über Kulturseiten mit zu vielen Kritiken. Doch das Wort ist inzwischen überflüssig geworden. Man schreibt lieber vor den Konzerten bunte Porträtchen, druckt lange Interviews ab oder kulturtheoretische Aufsätze. Doch die Kunst, musikalische Augenblicke in sprachliche Bilder zu übersetzen und damit auch gedanklich fassbar zu machen, kommt in der marktschreierischen Presselandschaft immer kürzer. Was schon mal in einem Festivalbericht gipfelt, der mehr aus Interview-Exegesen als aus Konzerteindrücken besteht und darüber hinaus das Hauptthema des betreffenden Festivals nicht einmal erwähnt, weil der Berichterstatter von fünf Festivaltagen offenbar nur zwei besucht hat. Auch dies kürzlich in einer großen deutschen Tageszeitung. Momente„Momente.“ Ich greife zwei heraus. Der eine: Mitte November mitten in Bayern – im Jazzclub Birdland in Neuburg an der Donau. Ein musikalischer Riese in einem kleinen Club. Der Pianist Cecil Taylor, Free-Jazz-Ikone und ausdrucksgieriger Maniac unzähmbarer Töne, im Duo mit seinem Langzeit-Begleiter Tony Oxley. Ganz aus intimer Nähe konnte man da Musik erleben, die mehr als manche andere den Augenblick in den Mittelpunkt rückt. Die den Entstehungsprozess immer noch genau so radikal zum Ereignis macht wie zu den Aufbruchszeiten in den Sechzigern. Das Spannende dabei: Diese Musik wirkt nicht alt. Und das ist so, weil sie so substanzorientiert ist. So ernsthaft und abseits von Moden. Ich konnte Cecil Taylor schon am Nachmittag zuhören, als er sich einspielte. Zwei Stunden lang saß dieser bald 83-Jährige im weiten über der Hose hängenden Hemd und in riesigen weißen Turnschuhen am Flügel und ging Akkorde, chromatische Eruptionen und schnelle Unisoni durch. Akribisch wirkte er, als er den Ort erspürte und sich auf den Moment des Auftritts fokussierte. Im Konzert dann: ein großer Spannungsbogen, der sich aus ganz leisen, tastenden Passagen immer wieder zu Höhepunkten steigerte – mit einem Spannungsaufbau von bezwingender Folgerichtigkeit. Wirbelnde Tonfolgen, Cluster, Bassfiguren wie die des „Gnoms“ in „Bilder einer Ausstellung“ – und dazu die rumorende Anarcho-Percussion von Tony Oxleys Trash-Drumset. Klänge und Emotionen von packender Vielfalt und Direktheit. Und eben nicht bloß für alte Free-Jazz-Aficionados interessant. Zwei Kollegen im Alter von Mitte und Ende zwanzig waren genauso mitgerissen von der Dichte und Unmittelbarkeit des Erlebten wie ich. Magnetische KraftDer andere Moment: Anfang November in Berlin. Die große Bühne im Haus der Festspiele. Dort oben: Pianist Michael Wollny, Bassistin Eva Kruse und Schlagzeuger Eric Schaefer. In einem Programm von rund fünfzig Minuten spielten sie Musik von einer geradezu magnetischen Kraft. Hämmernde Tonfolgen wie aus Heavy-Metal-Stücken, ein musikalischer Strom aus einem Zusammenspiel, das dichter und kompakter kaum denkbar ist, grenzenlose Töne im Brennglas des Gestaltungswillens. Auch hier: Unbedingtheit. Musiker, die ganz und gar aufgehen in der Substanz ihres Spiels. Die ästhetisch ganz am Puls der Zeit sind – und gleichzeitig zeigen, dass man diesem Puls nicht hinterher hecheln muss. Denn Töne wie ihre werden auch dann noch vehement und aktuell wirken, wenn der Puls längst wieder ein anderer ist. Sie haben die Intensität des einzigartigen Moments. Solche Konzerte ragen heraus. Sie haken sich weit mehr in der Erinnerung fest als etwa die perlende Glitzer-Beliebigkeit des zurzeit in viele Himmel gehobenen Polen Leszek Mozdzer und die fast schenkelklatschende pianistische Humor-Orgie des virtuosen Finnen Iiro Rantala beim selben Festival. Im direkten Vergleich mit einem wie Wollny wird der Unterschied klar zwischen Musikern, die den schnellen Effekt suchen – und solchen, die Substanz im Sinn haben. Magie des AugenblicksDiese Substanz konkretisiert sich im Jazz in jedem Live-Augenblick neu. Was man bei Konzerten erlebt, ist unersetzbar. Radio-Mitschnitte und Film-Aufzeichnungen geben eine Ahnung davon wieder. Und doch: Die Magie des Augenblicks, diese Einheit aus Musik und Ort, aus dem Kellergeruch der Wände und den Tönen, die an ihnen widerhallen – das ist ein unwiederholbares Gesamtkunstwerk. Gerade im Jazz. Von solchen Momenten lebt er wie keine andere Musik. Und dies umso mehr, je stärker wieder publik gemacht wird, dass es diese Momente gibt. Es stimmt: Jazz braucht ständig neue Töne, neue Kriterien, ein stets erneuertes Umfeld, auf das er reagiert. Doch genauso dringend braucht er Leute, die ihre Sprachkraft einsetzen, um zu schildern, was für große Momente man in ihr erleben kann. Töne, Schweiß und Ohrenkitzel – her damit! Und rein in die Blätter! Roland Spiegel
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