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Noch vor wenigen Jahren traf man ihn täglich in den Fluren des Münchner Gasteig. Man konnte sich die dortige Jazzabteilung schwer ohne ihn vorstellen, schließlich hatte er sie seit 1991 auf- und ausgebaut und war an allen wichtigen Schritten der Entwicklung beteiligt. Als er 2008 ging, begann eine neue Ära, die Jazzabteilung des Richard-Strauss-Konservatoriums (RSK) wurde das Jazzinstitut der Hochschule für Musik und Theater München – ohne ihn. Es geht also weiter – ohne ihn. Es wäre aber auch nicht alles so, wie es ist – ohne ihn. Geboren wurde Kurt Maas 1942 in Neusattl (heute Nové Sedlo) im Egerland. Nach der Flucht wuchs er in Franken auf, wo er als 14-Jähriger auf Druck der Eltern zunächst den soliden Beruf des Einzelhandelskaufmanns erlernte, bevor er zwei Jahre später in Trossingen ein Musikstudium begann. Sein eigentliches Ziel war da schon gefasst: so bald wie möglich nach Amerika gehen und direkt an der Quelle das Wesen des Jazz erforschen. Dies schaffte er einige Jahre später tatsächlich, als er mit 21 Jahren nach Boston ans Berklee College of Music ging, um Komposition und Arrangement zu studieren. Zuvor hatte er sich als Musiker in Caféhäusern und vor allem auf Kreuzfahrtschiffen die nötigen Mittel erspielt. Als er nach Deutschland zurückkehrte und sich in München niederließ, begann sich erstmals auch seine pädagogische Ader zu regen. Sein Plan, eine eigene private Jazzschule mit Unterstützung durch das Berklee College aufzubauen, scheiterte an ungünstigen Rahmenbedingungen. Bei den staatlichen Institutionen hatte Maas jedoch Erfolg mit seinem Anliegen. 1972 hält er zum ersten Mal einen Jazz-Theoriekurs am RSK. Aus dem Musiker-Fundus dieser Kurse und Musikern der Münchner Szene entwickelte sich bald eine eigene Big Band, die RSK-Big Band, die Kurt Maas bis zu seinem Ausscheiden 2008 leiten sollte. In ihr spielten in frühen Jahren einige der aktuellen Musikerpersönlichkeiten wie Harald Rüschenbaum, Thomas Zoller oder Claus Reichstaller. Zoller und Reichstaller standen schließlich auch als Dozenten an Maas’ Seite, als 1991 der Startschuss für eine eigene Jazzabteilung am RSK fiel. Ein großer Erfolg für Maas, denn lange hatte er auf politischer Ebene darauf hingearbeitet, Jazz als eigenständiges Hochschulstudium zu etablieren und dabei immer wieder Rückschläge erlitten. Als Pädagoge vertrat Kurt Maas einerseits sehr leidenschaftlich seine Standpunkte, andererseits ging er auch sehr methodisch vor. Er entwickelte eine eigene Silbenmethode zur Rhythmikschulung und verfasste dazu sein Arbeitsbuch „1000 Rhythmus-Patterns mit Jazz-Phrasierung“. Er schrieb einen Beitrag zur Jazzharmonik für das Harmonielehre-Werk „Der Musikalische Satz“ (Hrsg. W. Salmen/N.J. Schneider) und trat für das besondere Konzept des RSK ein, Kurse und Hauptfachstunden von Jazzstudenten in den ersten beiden Jahren auch mit klassischen Pflichtinhalten zu besetzen. Der Blick aufs Ganze war ihm wichtig. Dabei hat Kurt Maas immer gerne die Aufmerksamkeit auf den Jazz gelenkt und sich deshalb besonders gefreut, wenn auch die „klassisch“ ausgebildeten Lehramtstudenten der Münchner Hochschule für Musik und Theater Interesse dafür zeigten. 25 Jahre lang hatte er auch dort einen Lehrauftrag („Grundlagen der Jazz- und Rockmusik“ und „schulpraktisches Klavierspiel“). Für Kurt Maas barg der Jazz ein sehr persönliches Lebensgefühl der Freiheit, wie sie vor allem sehr junge Menschen empfinden. Das war deutlich zu spüren, wenn er seinen Studenten – zu denen auch ich gehörte – mit leuchtenden Augen von seiner „Mucker“-Zeit auf den Kreuzfahrtschiffen erzählte. Es war zugegebenermaßen nicht immer ganz einfach mit ihm. Für uns Studenten war Kurts traditionalistischer Harmonielehre-Ansatz nicht der Weisheit letzter Schluss und das Rhythmus-Silben-Singen ein gefürchteter Termin im Wochenplan. Unsere Idole waren selten die seinen und manch zukünftiger Jazzer hatte kein Verständnis für den von Kurt so wichtig erachteten ganzheitlichen Ansatz mit der umfassenden klassischen Bildung. Im Nachhinein haben die verordneten Klassik-Kurse wohl keinem geschadet und im Gegenzug vielen genutzt. Wir hatten Kurts wichtigste Lektion damals einfach noch nicht verstanden: Erst die Basics, also den Swing und eben auch die Klassische Musik erforschen, über den Tellerrand blicken und dann erst entscheiden, wohin der künstlerische Weg einen führt. Abseits der Dissonanzen zwischen dem Traditionalisten und uns besserwisserischen Modernisten habe ich Kurt als liebenswerten Menschen in Erinnerung, der uns Vieles nachsah, der sich aber auch über die Kreativität der Studenten freuen konnte, selbst wenn die Ergebnisse nicht mehr viel mit dem zu tun hatten, was er am Jazz so liebte. Zum Lachen brachte uns Kurt oft, wenn er wieder einmal nach fränkischer Manier harte und weiche Konsonanten vertauschte und aus einer Doppeldominante eine „Tobbeltominande“ wurde oder die Namen von Jazzstandards und musikalische Fachausdrücke zu ganz eigenen, skurrilen Wortschöpfungen mutierten. Einer seiner Lieblingsausdrücke gefiel uns besonders: „das Rhidhmus-Underdeilen“. Kurts Methode zur richtigen Erfassung von Rhythmen, bei der zu einem gespielten Rhythmus innerlich auch die nicht gespielten Impulse „mitgedacht“ werden sollen. „Ihr müsst den Rhidhmus underdeilen, sonst kommd ihr ned in den Groove!“, rief er uns dann immer zu. Die Bedeutung des „Underdeilens“ zeigte er uns dann selbst als Big Band-Leader auf der Bühne des Carl-Orff-Saals, wenn er mit Verve unser Studi-Ensemble, die RSK-Big Band, dirigierte, dabei mit zackigen Bewegungen die Kicks markierte und dazu seine typischen wiegenden Bewegungen machte. Noch länger zurück als die Anfänge seiner Lehrtätigkeiten liegen die von Kurt Maas’ Unternehmertum. Bereits 1969 begründete er seinen Notenhandel. Durch einen entsprechenden Vertrag mit dem Berklee College in Boston konnte er die Publikationen der Hochschule in Deutschland zunächst exklusiv vermarkten, was ihm in der Musikerszene erhebliche Beachtung einbrachte, die damals keine andere Anlaufstelle für Noten aus Amerika hatte. In den Anfängen des „Notenversands Kurt Maas“ wurde noch vom Chef persönlich selektiert, was in den Katalog aufgenommen wurde. Heute ist aus dem Versand ein unüberschaubares Online-Warenhaus mit über 500.000 lieferbaren Titeln geworden – unter dem sinnigen Label „@lle-Noten.de“. Erst 2006 ist das Unternehmen in eigens nach Kurt Maas’ Wünschen erbaute Räumlichkeiten in Feldafing umgezogen. Kurts Spuren führen in viele Ecken und Winkel des verzweigten Gebäudes „Jazz
in Bayern“. Etliche der Musiker, die heute auf Club- und Konzertbühnen
in kleinen Besetzungen oder Big Bands spielen, Preise gewinnen oder selbst
Schüler unterrichten, haben in seinen Kursen gesessen. Und manchmal
werden sie an ihn denken, wenn sie ihre Instrumente spielen. Was ich
persönlich bedauere, ist, dass ich Kurt nie bei einer seiner Akkordeon-Performances
gehört habe, denn ein guter Jazz-Akkordeonist ist eine Seltenheit,
und ein solcher soll er gewesen sein, der Kurt. Anfang Mai 2011 ist Kurt
Maas im Alter von 68 Jahren gestorben. Auf Wolke 7 kann er nun den Jazz-interessierten
Engeln zeigen, was eine „Tobbeltominande“ ist und wie man
anständig den „Rhidhmus underdeild“. Jörg Lichtinger |
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