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Unmöglich, von Kristina Kanders nicht beeindruckt zu sein. Sie ist eine bemerkenswerte Schlagzeugerin und Percussionistin. Sie schreibt Texte, die unter die Haut gehen und die sie mit geschulter Stimme und in wohl artikuliertem Englisch singt. Sie komponiert und arrangiert rhythmisch ausgeklügelte Stücke ebenso wie eingängige lyrische Melodien und bedient sich dabei gekonnt auch elektronischer Mittel. Ihre Live Performance kommt ungezwungen und sympathisch rüber. Ihre Jazz-Ikonen sind Miles und Herbie. Ungewöhnlich sind ihr Leben und ihre künstlerische Karriere verlaufen. Im Jahr 1962 als Tochter der berühmten Konzertsängerin Agnes Giebel in Köln geboren, war ihr zwar musikalisches Talent in die Wiege gelegt. Ihr Zuhause war von klein auf mit Musik erfüllt, denn auch der Vater war klassischer Pianist. Früher Klavierunterricht war obligatorisch. Und natürlich wurde auch viel gesungen. „Aber unsere Mutter war unglaublich streng. Neben ihr konnte kein Mensch bestehen, so strenge Maßstäbe legte sie an. So stellte sie einerseits eine große Vorbelastung dar, andererseits vermittelte sie meiner Schwester und mir auch eine gründliche stimmliche Vorbildung. Das kommt mir natürlich heute zugute, auch wenn ich nicht eine klassische Gesangsästhetik anstrebe.“ Vielleicht war es des Guten zuviel mit der klassischen musikalischen Erziehung daheim. Als Kristina nach dem Abitur nach einer anders gearteten musischen Betätigung suchte – auch Malerei und Bildende Kunst waren eine Alternative – geriet sie zufällig an ein Schlagzeug, probierte es aus und entdeckte an sich ein ungeahntes Talent: „Das Trommeln ging wie von selbst, die Koordination zwischen Händen und Füßen gelang mir intuitiv. Die Faszination am Schlagzeugspiel war geboren.“ Sie konnte sich vom Einfluss der „Übermutter“ lösen, nahm Unterricht, spielte in Rockbands. 1985 entstand aus einer Afro-Dance-Klasse, die sie mit Percussion begleitete, die erste Samba-Band in Köln, die mit zehn Tänzerinnen und zehn Percussionisten bei den Karnevalsumzügen einen exotischen Kontrast zur traditionellen Marschmusik setzte: „Die Leute waren verrückt danach, das ging ab wie eine Rakete, und wir beschlossen, beisammen zu bleiben und weiter aufzutreten, und ich verdiente als Co-Bandleader mein erstes Honorar als freischaffende Musikerin.“ Doch zwei Jahre später hielt sie es nicht mehr in Old Germany. Sie wagte sich – mit einem Teilstipendium – nach New York, um Jazz zu studieren und ihr Schlagzeug- und Percussionspiel zu perfektionieren. Zielstrebig erwarb sie 1992 den Bachelor of Fine Art Degree in Music am Jazz and Contemporary Music Program an der New School University und 1997 auch noch den Master of Arts Degree in Music an der Aaron Copland School of Music am Queens College. Parallel zum Master-Studium unterrichtete sie Gehörbildung an der New School University, und das immerhin elf Jahre lang. Parallel dazu übernahm sie auch noch Kurse für Schlagzeug und Percussion. Eine imponierende akademische Erfolgsstory für die junge deutsche Musikerin. Doch damit nicht genug, arbeitete sie von 1999 bis 2005 auch noch als Acting Director of Academic Affairs für das Jazz & Contemporary Music Programm der New School University, ein Verwaltungsjob, der ihr endlich ein ausreichendes Monatssalär bescherte, denn „ich hatte zwar meine Dozentur und auch etliche Gigs, aber ich kam immer gerade so über die Runden. Das Leben in New York ist hart und kostspielig.“ Auf der Kehrseite stand, dass sie durch die Doppelbelastung zunehmend weniger Zeit für eigene Auftritte in der freien Szene hatte. Und in die war sie von Anbeginn ihrer New Yorker Zeit tief eingetaucht. Fünf Jahre lang war sie Mitglied der Frauen-Rockband „Maria ExCommunikata“, und danach leitete sie weitere zehn Jahre lang die von ihr gegründete Percussionband „Sambanditos“, die viele erfolgreiche Auftritte hatte. Die namhafteste Band, in der sie jahrelang mitwirkte, war „Beat the Donkey“ des „Großmeisters der brasilianischen Percussion“ Cyro Baptista. Daneben trat sie mit so namhaften Musikern wie John Zorn, Dave Liebman und Marc Ribot auf. Auch Gastrollen bei damals bekannten Popbands wie Cibo Matto oder Pizzicato Five verschmähte sie nicht. Und es blieb noch Zeit für Tourneen mit verschiedenen Bands durch die Staaten, nach Holland und Portugal sowie für private Musikstudien-Reisen nach Südindien und Brasilien. Der Verzicht auf dieses bewegte und kreative Musikerleben wegen der Jobs an der Universität wurde Kristina Kanders immer schmerzhafter bewusst. So entschloss sie sich nach fünf Jahren zur Kündigung und beschränkte sich auf den Unterricht. Seit 9/11, den sie in New York miterlebt hatte und danach bange Tage
und Nächte in ihrem am Times Square gelegenen Appartement im 42.
Stock zugebrachte, stand sie, wie in letzter Zeit häufiger nach
ihren Urlaubsbesuchen bei ihrer Mutter und der Familie, erneut vor der
Frage: „Willst du wirklich wieder rüber in den verrückten
Dschungel? Köln ist doch auch schön, zwar viel provinzieller,
aber hier herrscht Frieden und man kann nachts ruhig schlafen. Aber wenn
ich dann zurück in New York war, hat’s mich doch wieder gepackt
und ich war glücklich. New York ist eine unglaublich hektische,
laute, stressige Stadt. Als junger Mensch habe ich das genossen. Aber
ab 40 besann ich mich auf andere Dinge und Werte, die mir wichtig sind – mehr
Zeit für Freunde haben, zur Ruhe zu kommen, mehr in der Natur zu
sein.“ Die Entscheidung für die Rückkehr fiel dann schließlich
2005, genährt vor allem durch den Wunsch, wieder in der Nähe
ihrer alten Mutter zu bleiben. In Köln fand Kristina Kanders zudem auch die Zeit zur Erfüllung ihres lang gehegten Wunsches, sich mit Computer-Musikprogrammen vertraut zu machen, mit dem gebräuchlicheren Logic wie auch mit dem elektronischen Reason, das ihr „kolossale Sounds“ ermögliche und die sie bereits ausgiebig für ihre 2008 erschienene erste Solo-CD „For All People“ nutzte, auf der sich mehrere komplett elektronisch komponierte und gespielte Stücke finden. Auf ihrer 2010 veröffentlichten zweiten CD „Say Something“ setzte die Komponistin auch akustisch gespielte Instrumente ein – neben ihrem Schlagzeug Saxophone, Vibraphon, Gitarre und E-Bass – und mischte sie mit Keyboardklängen sowie von ihr konzipierten elektronischen Sounds, Drum-Programmen und Stimme. Für ihre technisch aufwendigen Studio-Produktionen hat sie in dem Gitarristen und Toningenieur Bernd Gast einen idealen Partner gefunden. Bei Live-Auftritten, bei denen Kristina Kanders auch als Drummerin brilliert, technisch und im Timing perfekt, einfallsreich, doch ohne „Drummer-Show“, kommen im Studio programmierte Teile aus dem Laptop dazu. Dazu kommen in einigen Stücken eigene, in den Booklets abgedruckte
anspruchsvolle Texte, von ihr selbst gesungen, zum Teil im vier- bis
siebenstimmigen Overdubbing. So entsteht eine auf- und anregende Musik,
für die sich Kristina Kanders aus Jazz, Funk, Soul, Pop und Weltmusik
bedient. „Ich bin beim Komponieren ganz offen für alle möglichen
Richtungen, außer Hard Rock und Heavy Metal. So wie ein Maler viele
Farben auf seiner Palette hat, so ‚male’ ich mit dem kompletten
Spektrum meiner Klangpalette.“ Kristina Kanders sieht sich als „Independent Artist“ und ist – ihr eigenes Label. Doch der Vertrieb über iTunes, Amazon und ihre Website ist beschwerlich. Deshalb ist sie auf der Suche nach einem Label, aber einem, „bei dem ich meine künstlerische Freiheit behalte“. Dabei kann man ihr nur Erfolg wünschen. Dietrich Schlegel CD-Tipps •
For All People (2008) |
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