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Seinen 80. Geburtstag im Oktober letzten Jahres feierte Kultsaxophonist Lee Konitz auf der Bühne – beim Konzert mit seinem jungen Tentett in Mannheim. Am 16. Mai 2008 erschien jetzt seine neueste CD zusammen mit dem Trio Minsarah bei Enja.
Sein Geburtstagskonzert gab Konitz auf demselben Altsaxophon, das er sich als 18-Jähriger 1945 für 150 Dollar mit der Unterstützung seiner Eltern gekauft hatte. „Es ist notorisch hoch im oberen Register“, erzählt er im Gespräch vor dem Konzert. „So kam ich zu meinem Ruf, dass ich ständig hoch liegen würde im oberen Register. Und ich kann dann nicht sagen, das liegt am Saxophon, denn es geht ja um mein Saxophonspiel. Das alles gehört zum Ausdruck der Musik. Mit einem Instrument, das die Intonation ändern kann, hat man den Zauber oder auch die schlechte Nachricht, daneben zu liegen. Ich neige dazu, den Ton hoch anzuspielen, weil darin mehr Brillanz liegt und manchmal liege ich ein bisschen darüber. – Völlig asozial, das so zu machen“, gibt er eine Kostprobe seines lapidaren Humors. Gerade einundzwanzig Jahre jung war der bis heute als Säulenheiliger des Cool Jazz verehrte Altsaxophonist, als er bereits Mitglied im wohl wichtigsten Nonett der Jazzgeschichte war: An der Trompete – der wählerische schwarze Paradiesvogel Miles Davis. „Birth of the Cool“ heißt die umwälzende Schellack-Plattenaufnahme, mit der kurz vor der Wende zu den 1950ern der hitzige BeBop um Schlüssselfigur Charlie Parker seine entsprechend kühle und elegante Antwort bekam. Befragt man heute Lee Konitz nach seiner frühen Rolle bei der Geburt des Cool Jazz, verrät die lapidare Antwort einiges über das Selbstbewusstsein des gerade auch in Deutschland besonders verehrten Wahl-New Yorkers. „Ich war damals der einzige Saxophonist, der nicht geblasen hat wie Charlie Parker.“ Lange hielt es den hochbegabten Nachwuchssaxofonisten freilich nicht bei dem schillernden Ausnahme-Trompeter mit dem späteren Popstar-Appeal. „Miles zog die Gigs an Land“, erinnert sich Konitz. Zugleich spielte er allerdings weiterhin mit Pianist Lennie Tristano, dem zweiten großen Cool Jazz-Erfinder neben dem stilumwälzenden, charismatischen Trompeter. „Es war nett mit Miles, doch ich war beschäftigt, mit Lennie Tristano zu lernen und zu spielen. Das war es, was mich interessiert hat“, stutzt Konitz die Größenverhältnisse im Rückblick elegant zurecht. „Geschrieben haben für Miles Davis damals John Lewis, Gil Evans, Gerry Mulligan.“ Doch woher bezog der junge Saxophonist seine frühe Immunität gegen den herrschenden Trend? „Ich war mit den Musikern um Tristano zusammen. Er schlug vor, die Musik der Vergangenheit zu studieren und selbst etwas zu machen damit. Und das hat mein Interesse ausgemacht. Er war es, der sagte, ich sei der Einzige, der nicht wie Charlie Parker spielen würde. Ich erwiderte, das sei auch schwierig! Der Punkt war, dass ich ein ganz anderes Temperament habe und die Musik deshalb völlig anders empfunden habe als die Anderen.“ Innere Gelassenheit erlebt er als Grundlage: „Wir geraten in mechanische Gewohnheiten, wenn wir viel spielen und wir müssen deshalb vermeiden, gerade die Knöpfe zu drücken, von denen wir wissen, dass es damit funktionieren wird. Und so warten wir einige Taktschläge ab – und drücken auf einen anderen Knopf. Bob Brookmeyer (der legendäre Ventilposaunist, Jahrgang 1929) nannte das die Ära der Fälschung – wenn man messbar häufig in die vertraute Musik gerät und jedes Mal, wenn das geschieht, kann man nicht mehr improvisieren. Man hängt ab von der Sicherheit dessen, was man bereits weiß. Warum innehalten: Weil es meine Sache ist, von den ersten Noten an etwas völlig anderes zu spielen. Und es bleibt dabei ein Rätsel für mich, wie wir eigentlich immer noch daran glauben können, dass wir überhaupt etwas ganz anderes machen können – mit immer den gleichen zwölf Noten.“ Kopfarbeit – mit den Notenblättern seiner eigenen Improvisationen – reizt ihn wenig. „Das alles ist viel einfacher, wie man wirklich an den Punkt gelangen kann, jede einzelne Note zu fühlen, die man spielt. Wenn es kompliziert wird, bekommt jede Note auch weniger Aufmerksamkeit. Und die besten Solos sind die, wo jede einzelne Note wichtig ist. Ich suche nicht ständig nach neuem Material – ich suche einen Weg, das Vertraute auf eine neue Art und Weise zu spielen.“ Als Autorität gilt der agile 80-jährige damit gerade auch dem heutigen Nachwuchs. Beispielsweise dem Nürnberger Gitarristen Rue Protzer, auf dessen zweiter Aufnahme der Altsaxophonist nicht zufällig ein Gastspiel gibt. Denn Protzer schätzt die langsame Gangart – und innere Gelassenheit wie entspanntes Formbewusstsein prägt sein Gitarrenspiel. Die Verbundenheit des weltoffenen New Yorkers Lee Konitz mit der deutschen Szene – „ich lebe in New York, wir haben ein Haus in Polen und meine Tochter lebt in Köln“ – entspringt nicht zuletzt seinem zeitweiligen Wohnort Köln: „Ich habe beispielsweise eine Aufnahme mit dem Kölner Pianisten Frank Wunsch gemacht und gerade erst mit einem anderen Kölner Pianisten – Florian Weber. Und mit dem Münchner Pianisten Walter Lang.“ Die genaue Anzahl der etwa 150 Plattenaufnahmen, die im Lauf der sechzigjährigen Karriere zusammengekommen sind, kennt er nicht: „Alleine in den nächsten Monaten werden zehn neue Platten erscheinen. Ich arbeite gerade mehr als je zuvor.“ Das intime Duo und das scheinbar breite Nonett sind für ihn bevorzugte Besetzungen, doch als gegensätzlich bewertet er die beiden vordergründig so entgegengesetzten Formen dabei nicht. „Was sagten Sie da gerade – antagonistisch? Diesen Begriff mag ich nicht! Beide Male geht es nämlich um Kommunikation und um Transparenz.“ Anja Barckhausen
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