Lyn Leon – das ist die bald zehnjährige Zusammenarbeit zwischen
der Sängerin Carolyn Leonhart und den Schweizer Perkussionisten Stephan
Diethelm und Matthias Eser. Die Besonderheit: die verwendeten Instrumente
sind aus Glas. Mit ihrem Album „Private Pop“ legt die Band
ihre dritte CD-Produktion vor und spielt ihre Release-Tour im November
in Deutschland, Österreich und in der Schweiz. Für die Jazzzeitung
sprach Antje Rößler mit der Sängerin Carolyn Leonhart
und dem Perkussionisten Stephan Diethelm.
Jazzzeitung: Ihr habt einen sehr verschiedenen Background.
Carolyn wuchs mit Jazz auf und ist in den New Yorker Clubs zuhause. Stephan
lebt in der Schweiz und hat einen klassischen Hintergrund. Wie habt ihr
Euch gefunden?
Stephan Diethelm: Unser Ensemble Swiss Percussion Group
benutzt schon seit Jahren Glasinstrumente. Die reine Instrumentalmusik
wollten wir durch Gesang erweitern. Wir hatten vor, englischsprachige
Lyrik zu vertonen. Ein Freund hat mir Carolyn empfohlen und wir luden
sie ein.
Carolyn Leonhart: Sie schickten mir ein Flugticket für
ein Jam-Wochenende in der Schweiz. Am ersten Tag war ich ganz verzweifelt.
Ich dachte, diese Musik ist viel zu klassisch für mich. Aber im Verlaufe
des zweiten Tages fing ich richtig Feuer.
Jazzzeitung: Du hast mal gesagt, du würdest dich
nicht als Jazzsängerin betrachten. Warum?
Leonhart: Das ist lange her. Damals hielt ich mich nicht
für kreativ genug. Jazz ist nämlich für mich in erster
Linie Kreativität, und weniger ein bestimmter Stil. Noch heute lasse
ich mich nicht gerne in eine Schublade packen.
Jazzzeitung: Stephan, was meinst Du dazu?
Diethelm: Ich bin definitiv kein Jazzsänger, ich
bin ja nicht einmal ein Sänger (lacht). Ich bin einfach ein Musiker.
Heutzutage sind Stile immer unwichtiger. Die Leute suchen sich einfach,
was ihnen gefällt. Das kann heute eine Beethoven-Sinfonie, morgen
ein Rock-Konzert und übermorgen ein Jazzclub sein. Als Musiker lasse
ich mich von verschiedenen Seiten inspirieren. In der Integration dieser
verschiedenen Stile entsteht dann etwas Neues.
Jazzzeitung: Du hast einen Teil Deiner Kindheit in Simbabwe
verbracht. Hat Dich das musikalisch beeinflusst?
Diethelm: Ich war sehr jung, der Einfluss ist daher eher
unbewusst. Sicher hat es mit Simbabwe zu tun, dass ich Trommeln so liebe.
Und dass ich ganz stark spüre, dass jede Kunst tiefe Wurzeln in der
Vergangenheit hat. Hinter allem was man tut, steht die Geschichte.
Jazzzeitung: An wen richtet sich die Musik von Lyn
Leon?
Leonhart: Dazu fällt mir eine Geschichte ein. Einer
meiner Freunde war mit seiner Familie im Urlaub. Von Enkel bis Großmutter
waren alle dabei. Unser Album war das einzige, das alle gemeinsam hören
konnten. Sie haben es dann so oft aufgelegt, dass es nach der Reise zerbrach
(lacht).
Diethelm: Dazu weiß ich auch eine Geschichte. Wir
spielten vor ein paar Monaten in einem Glas-Museum in Bayern. Im Publikum
waren fast nur ältere Herrschaften. Wir dachten, in der Pause sind
alle weg. Aber nein, sie waren noch da und waren ganz begeistert. Lyn
Leon richtet sich wirklich an jede Altersgruppe.
Jazzzeitung: Ihr benutzt Instrumente aus Glas. Wie
funktionieren sie?
Diethelm: Aus kleinen Salatschüsseln machen wir
„BB-Phones“. Entweder kommen sie zufällig schon richtig
gestimmt aus der Glaserei. Oder ich fülle Wasser hinein, um die Tonhöhe
zu variieren. Dann gibt es auch noch Glasröhren, die mit nassen Fingern
gerieben werden. Die Röhren kann man auch legen. Dann werden sie
angeschlagen und funktionieren wie ein Vibraphon.
Jazzzeitung: Was ist denn das Besondere an diesem Glas-Sound?
Diethelm: Die Obertöne des Materials rufen einen
ganz einzigartigen Klang hervor. Viele assoziieren Glas mit Kälte,
aber der Klang ist durchaus warm und zart. Wenn man ihn mischt, zum Beispiel
mit einem Marimbaphon, ergeben sich ganz außergewöhnliche Effekte.
Jazzzeitung: Der Transport von solch fragilen Instrumenten
ist sicher schwierig.
Diethelm: Oh ja. Anfangs mussten wir jedes Glasröhrchen
sorgfältig einzeln einwickeln. Inzwischen haben wir spezielle Transportkisten,
in die wir die einzelnen Teile nur einlegen.
Jazzzeitung: Habt ihr die Aufnahme von „Private
Pop“ genau geplant oder war die Produktion eher eine spontane Angelegenheit?
Leonhart: Mit den Songs dieses Albums waren wir schon
viel live unterwegs gewesen. Die Entwicklung der Stücke hat sich
dabei nach und nach herauskristallisiert – ein Prozess, der hauptsächlich
instinktiv verlief.
Jazzzeitung: Liegt dem Ablauf der Stücke auf „Private
Pop“ eine bestimmte Dramaturgie zugrunde?
Diethelm: Heutzutage spielt das Gesamtalbum keine so
große Rolle mehr, da man sich einzelne Songs herunterladen kann.
Trotzdem achten wir sehr auf die Gesamtreihenfolge. Wir überlegen,
wie man die Songs mit ihren verschiedenen Stimmungen und Tonarten am besten
aneinander reiht, so dass das Album einen großen Bogen bekommt.
Jazzzeitung: Wo kommen die Texte zu „Private
Pop“ her?
Leonhart: Schon mit unserem zweiten gemeinsamen Album
„Glass Lounge“ habe ich begonnen, selbst die Texte zu schreiben.
Das war eine Herausforderung, weil es die Stücke schon vorher gab.
Ich musste also Texte zu bereits bestehenden Melodien finden.
Jazzzeitung: Und wie hast du das genau gemacht?
Leonhart: Ich lasse mich von Einflüssen aus allen
Richtungen inspirieren. Natürlich von der Musik. Manchmal auch von
früheren Einfällen, die ich noch nicht unterbringen konnte.
Ein Sänger ist immer ein Erzähler. Manche erschaffen Geschichten
ohne Worte, aber für mich sind Worte ein gutes Hilfsmittel.
Diethelm: Carolyns Stimme und ihre Texte sind wirklich eine große
Bereicherung für unseren Sound aus Glas.
Lyn Leon Tourdaten
15.11. Cumberlandsche, Hannover
16.11. Stage Club, Hamburg
17.11. Stadtgarten, Köln
18.11. Quasimodo, Berlin
20.11. Feuerwache, Mannheim
21.11. Ampere, München
22.11. Brotfabrik, Frankfurt
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