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Zum ersten Mal bin ich Steve Swallow vor einem seiner Duo-Konzerte mit Carla Bley begegnet. Ein Interview, das nichts wurde, weil mein Aufnahmegerät versagte. „Oh“, sagte Steve voller Verständnis, „das kenne ich nur zu gut, schließlich spiele ich ein elektrisches Instrument.“
Begonnen hat Steve Swallow mit dem Kontrabass. Ende der 60er-Jahre, als er im Quartett mit Gary Burton nach neuen Klangmöglichkeiten suchte, begann er sich – zunächst parallel zum akustischen Instrument, schließlich exklusiv – dem E-Bass zuzuwenden. Mit einem vokalnahen, einem lyrischen Sound und einem nicht an Flinkfingern, sondern eher an Ausdruckskünstlern wie dem Tenorsaxophonisten Lester Young orientierten Spiel hat er auf seinem Bass, einem Fünfsaiter mit hoher C-Saite, Maßstäbe gesetzt. Mit dem Bass begann die Erfolgsgeschichte von Steve Swallow. Doch zuvor, bis zu seinem 18. Lebensjahr, spielte er Klavier und Trompete. Geboren am 4. Oktober 1940 in New York, aufgewachsen in Fairlawn, New Jersey, entschied er sich erst während seines Literatur-Studiums an der Yale University für das tiefe Saiten-Instrument. Dabei begann er nicht etwa mit modernem Jazz, sondern mit Dixieland. 1960, wieder zurück in New York, traf er mit Paul Bley zusammen. Die Jazzpianistin und Bandleaderin Carla Bley, damals noch Ehefrau von Paul Bley, erinnert sich an einen schüchternen jungen Mann, der an der Tür klingelte und darum bat, irgendwo mitspielen zu dürfen. Im Trio mit Paul Bley und dem Klarinettisten Jimmy Giuffre bekam er einen der besten Jobs, die man sich vorstellen konnte. Mit der „Jimmy Giuffre 3“ erschloss er sich eine Musik, die sich von der Stille aus entfaltete, die in der sensiblen und dichten Interaktion gänzlich neue Klangdimensionen erforschte. Man hat dieses Trio, das Ende der 90er-Jahre reaktiviert wurde, als eine Vorläufer-Formation des Free Jazz bezeichnet. Und in der Tat hat die „Jimmy Giuffre 3“ vieles vorweggenommen, was andere Jazzmusiker erst später entdeckten. Doch der Einfluss dieses Triumvirats reicht über den „klassischen“ Free Jazz der 60er- und 70er-Jahre hinaus. Mit ihrer Art des Musizierens haben Jimmy Giuffre, Paul Bley und Steve Swallow eine kammermusikalische Art des Improvisierens vorgezeichnet, die Klangbilder der klassischen Moderne und der Neuen Musik reflektiert, ohne den Jazzcharakter aufzugeben. Steve Swallow lernte in dieser Zeit, was es bedeutet, gleichberechtigter, integraler Part einer Band zu sein und die Begleitfunktion immer auch in der Dialektik mit der eigenen Rolle als Solist zu begreifen. Es war Scott LaFaro, der diese Tradition im modernen Jazz begründete. Und ähnlich wie LaFaro hat auch Steve Swallow, zunächst auf dem Kontrabass und dann auf dem E-Bass eine vergleichsweise „gitarristische“ Spielweise entwickelt. Dabei kommt es ihm weniger auf virtuoses Ausspielen der Fähigkeiten an, vielmehr geht es ihm um Sound, Linearität und musikalische Komplexität. Er selbst hat sein Spiel auf dem E-Bass sowohl mit Sängern als auch mit dem Einsatz der linken Hand von Bebop-Pianisten verglichen. Seit Ende der 70er-Jahre arbeitet Steve Swallow kontinuierlich mit seiner Lebenspartnerin Carla Bley zusammen. Auf der Bühne sind mir die beiden als ein Ausdruck perfekter Zweisamkeit erschienen: beide schmal, von beinahe asketischer Gestalt, einander zugeneigt im Medium der Musik. Klänge, die einander suchen, auseinander streben, zueinander finden. Carla Bley mit ihrer Löwenmähne, gänzlich versunken ins Klavierspiel. Steve Swallow, nahe beim Flügel, konzentriert auf den E-Bass. Eigentlich, erzählt Carla Bley am nächsten Tag bei dem „nachgeholten“ Interview mit ihr und Steve Swallow, sollte das Duo eine private Angelegenheit bleiben: „Wir baten unseren Agenten, irgendeine kleine Bar in der Karibik ausfindig zu machen, in der es möglich gewesen wäre, inkognito zu spielen. Da das nicht geklappt hat“, pointiert die Pianistin, „müssen wir nun halt auf großen europäischen Festivals auftreten.“ Die musikalischen Dialoge von Carla Bley und Steve Swallow sind die klingenden, intimformatigen Gegen-Bilder zu den großen Bands, die Carla Bley vom Klavier aus dirigiert. Jahrelang gebeugt über Notenblätter, gelang es ihr im Duo, aus dem Käfig der Kopfarbeit auszubrechen. Ihre Entwicklung als Pianistin beschreibt sie als Schritt vom „composer’s piano“ zum „performer’s piano“. Das Duo mit Steve, sagt sie, habe sie wieder als Pianistin gefordert. Und Steve Swallow wurde im Spiel mit Carla wieder stärker bewusst, dass er sich als Bassist, Komponist und Improvisator in Personalunion begreift. Bereits in den frühen New Yorker Jahren schrieb er Stücke, die Musiker wie Gary Burton oder Chick Corea in ihr Repertoire aufgenommen haben. Neben unterschiedlichen Besetzungen mit Carla Bley und dem Duo, das gelegentlich durch den Saxophonisten Andy Sheppard zum Trio und den Schlagzeuger Billy Drummond zum Quartett erweitert wurde, hat sich Steve Swallow auch mit eigenen Quintett- und Sextettformationen profiliert. Im Trio mit dem Saxophonisten Chris Potter und dem Schlagzeuger Adam Nussbaum oder auch in der langjährigen Spielgemeinschaft mit dem Gitarristen John Scofield und Bill Stewart an den Drums begibt sich Steve Swallow auf Spielabenteuer mit offenem Ausgang. Live beziehungsweise live dokumentiert ist das immer noch am spannendsten. Entsprechend auch die Titel der CDs „EnRoute“ und „Damaged In Transit“. Doch trotz der Anstrengungen des Tournee-Betriebs gibt es keine Einschränkungen, keine Beschädigungen, was die musikalische Qualität anbelangt. In einem Alter, in dem andere ins Rentendasein eintreten, ist Steve Swallow fit für die Strapazen, die ein voller Terminkalender für einen professionellen Musiker mit sich bringt. „Das Wachstum der Musik“, sagt er, „wird durch den ständigen Kontakt mit der wirklichen Welt stimuliert. Das verläuft nicht immer ohne Schmerzen, aber letztlich immer mit Gewinn.“ Bert Noglik
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