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Andrej Hermlin-Leder, Jahrgang 65, Sohn des ostdeutschen Dichters Stephan Hermlin und seiner russischen Frau Irina, sucht nicht mehr. Er hat längst gefunden. Bereits mit vier Jahren tapste er freudig zur Musik der Jazzplatten aus den 30er-Jahren, die der Papa eigentlich Klassikliehaber hin und wieder auflegte. Im Laufe der Jahre klaute sich der Sohn aus der väterlichen Sammlung die seltenen Dokumente aus der Hochzeit des Swing. Ohne jegliche Note, nur nach dem Gehör, spielte er diese Musik auf
dem Klavier nach. Und das extrem dilettantisch, gibt er zu
und ergänzt stolz: Von dem, was ich heute spiele, habe ich
mir zu zwei Dritteln selbst beigebracht. In der Familie gab es keinen,
von dem er die Liebe zum Jazz erbte. Warum gerade er sich dieser Musik
verschrieb, ist ihm bis heute ein Rätsel.
Andrej Hermlins Musik schlägt den Bogen zurück zu jener Epoche, in der der Stern des Schriftstellers Hermlin aufging. Er war damals nicht viel jünger als sein Sohn heute. Andrej Hermlin will nicht jene Zeit verklären, in der er sich musikalisch zu Hause fühlt. Dass ich die Unterhaltungsmusik der 30er-Jahre für niveauvoller halte als die heutige, ist ein offenes Geheimnis. Aber es war eine Zeit der Depression für die Masse der Menschen. Er würde gern mal für zwei, drei Tage im New York jener Zeit sein. Im heutigen New York war er inzwischen zweimal mit seiner Band. Als erstes deutsches Swingorchester nach Jahrzehnten. Noch dazu mit riesigem Erfolg. Die amerikanische Szene setzt auf Neo-Swing. Authentischen Swing wie wir aber bieten nur wenige Bands, sagt der Pianist und Chef des Swing Dance Orchestras stolz. Den Beifall in den USA empfindet er als späten Triumph. Jahrelang bin ich als Außenseiter in der Musik belächelt worden und nun so viel Erfolg. Und das während des Swingrevivals in den USA! Der Swing-Freund Andrej Hermlin ist einer der vielen Künstler, die die 30er-Jahre zurück in die Berliner Cafés und Clubs bringen. So, als wolle die schnelle Hauptstadt an ihre letzten verrückten gesamtdeutschen Zeiten anknüpfen und den Krieg vergessen machen. Ich bin satt, bin zu zufrieden, sagt Andrej Hermlin. Anders als der Vater in seinen Jugendjahren. Christine Wagner
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