Vom Kratzen an der Stille: Uwe Kropinski und Dieter Köhnlein mit neuer CD

Kropinski / Köhnlein: Scratching The Silenc (HOFA Cd 274316) Sein Kollege Helmut Joe Sachse hat dereinst, vor mehr als dreißig Jahren, dem „Wohltemperierten Schraubenzieher (Oder Joe´s Mechanikverständnis)“ solistisch ein Denkmal gesetzt. Uwe Kropinskis gitarristisch-musikalischer Humor ist zurückhaltender, feiner, weniger resolut. Zusammen mit seinem fränkischen Partner Dieter Köhnlein am Klavier macht der Kölner aus Ostberlin der Stille Platz. Damit die zur Geltung kommt, kratzt, schrappt und zupft er mal mit delikatem Humor, tiefem Ernst und mal mit hemmungsloser Improvisationslust an ihr, der Stille, herum. Durch rund ein Dutzend Stücke gelingt es den beiden, sie mit spielerischer Lust zu vertreiben und ihr gleichzeitig Präsenz zu geben. Fünf der Stücke gehen auf Kropinskis Konto, wie die titelgebende minimalistische Humoreske. Diese lyrische Träumerei über einen simplen Loop oder ein getaktetes schripp-schrapp auf einer E-Gitarre, die nicht angestöpselt ist, markiert eine Seite dieser facetten- und stimmungsreichen Aufnahme. Und es lässt bereits viel von der engen Verbindung dieser zwei Musiker aufscheinen. Kropinski und Köhnlein kennen sich seit fast drei Jahrzehnten und bringen seither in größeren Abständen Studioalben heraus. Dazwischen gehen sie zusammen auf Tour und spielen, immer wieder mit Pausen dazwischen, …

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Die vielen Talente der Jutta Hipp – eine umfangreiche Dokumentation gibt Auskunft

Von Dietrich Schlegel. Gleich zu Beginn sei es gesagt: „The Life And Art Of Jutta Hipp – Hipp is cool“ ist eine verlegerische und jazzhistorische Großtat des Musikproduzenten Micha Gottschalk und der Jazzmusikerin und Musikpädagogin Ilona Haberkamp. Ganz wesentlich war auch der Jazzhistoriker Gerhard Evertz, Verfasser eines Buches über „Jutta Hipp – ihr Leben & Wirken“, an Recherche und Dokumentation beteiligt. Eine stabile Box im 12“ Format alter LPs enthält ein schwergewichtiges, reich bebildertes Buch voller informativer Texte und Dokumente, ein Beispiel hoher Buchkunst, noch beeindruckender als Gottschalks 2014 in ähnlicher Aufmachung erschienene Text- und Musikdokumentation „mood records cologne Gigi Campi: Jazz in West Germany 1954 – 1956 – The First Independent Modern Jazz Label in Europa“. So wurde dieses Gesamtkunstwerk zu einer bibliophilen Hommage auf Jutta Hipp, die am 4. Februar 1925 in Leipzig geborene und am 7. April 2003 in Queens/N. Y. gestorbene einst als „First Lady of European Jazz“ gefeierte Pianistin, die über Jahre in Europa auch die einzige Jazzmusikerin an einem Instrument war. Sonst gab es nur Sängerinnen. In diesem Jahr wäre sie 90 Jahre alt geworden. Der Inhalt dieser Box …

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Frederik Köster & Sebastian Sternal mit neuer CD: Canada

Frederik Köster und Sebastian Sternal gehören zu den gesetzten Vertretern der jungen deutschen Jazzszene, sind gemeinsame Weggefährten und spielen, in verschiedenen Besetzungen, mittlerweile seit gut 10 Jahren zusammen. Auf Einladung von Professor Thilo Schaller, ein Bekannter Kösters an der University of Lethbridge /Calgary, ergab sich für die beiden Musiker die Gelegenheit eines Trips nach Kanada, bei dem diese herrliche Duoaufnahme entstanden ist. Die Kombination Flügelhorn-Piano hat einen ganz eigenen Reiz und ist eine durchaus erprobte Klangsynthese. Ohne Anklänge an Vorbilder oder bereits bestehende Duoaufnahmen dieses Genres begeben sich Frederik Köster und Sebastian Sternal auf eine eigene Klangreise in komplett relaxtem Ambiente während ihres 10-tägigen Kanada Aufenthaltes. Herausgekommen sind dabei kammermusikalisch feinstrukturierte Stücke überwiegend – bis auf zwei Ausnahmen – aus der Feder von Köster und Sternal. Selten hat man die beiden Musiker zuvor so nah, so intim musizieren und improvisieren hören können. Inspiriert durch die Landschaft Kanadas und Erlebnisse während dieser Zeit ist ein atmosphärisch unerhört dichtes Album entstanden. So fügen sich auch die beiden Kompositionen der Kanadierin Joni Mitchell „A Case Of You“ und „For Jan“ von Kenny Wheeler, der ebenfalls aus Kanada stammte, …

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Michaels Wollnys Nachtfahrt

Von Thomas J. Krebs – Michael Wollny geht mit seiner neuen CD „Nachtfahrten“ in die dritte Trio-Runde. Nach der 2005er Urbesetzung mit Eva Kruse und Eric Schäfer, stieg 2013 der Bassist Tim Lefebvre ein, dessen Platz nun Christian Weber einnimmt. Und wieder ergeben sich neue Wollnysche Klangwelten. Nach der letzten CD „Weltentraum“, die dem Trio neben dem Publikumserfolg viele Preise und gleich drei ECHO Jazz Auszeichnungen bescherte ist es klug, das Alte hinter sich zu lassen und eine andere musikalische Richtung einzuschlagen, ohne dabei den Bezug zum Ursprung zu verlieren. Pate stand dabei offensichtlich das Thema Nacht, seine besondere Stimmung im Dunkeln wie in der Dämmerung, die Romantik des Alleinseins im Ausdruck der Gefühle, das Verarbeiten von Glück, Zerrissenheit, Trauer und Leidenschaft. Eric Schaefer als Bindeglied am Schlagzeug, geübt in Aktion und Reaktion auf jedwede Richtung von Harmonie und Ausdruck, übernimmt hier eine besonders sensible Rolle, während Christian Weber mit vollem Ton Akzente setzt. Zusammengefasst ist „Nachtfahrten“ ein Album das wundervoll zum Hebst und bevorstehenden Winter passt. Die Stücke der CD lassen keine Routinen erkennen, sondern überraschen den Hörer mit reduzierten Trioklängen. Gleich das erste …

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CD-Rezension: Grencsó Open Collective »Flat«

Improvisatorische Kraft, die Freude macht Von Mathias Bäumel – Wer glaubt, der Titel »Ivan’s Childhood« auf der vorliegenden CD »Flat« des Grencsó Open Collectives bezöge sich auf den gleichnamigen, ersten abendfüllenden Film von Andrej Tarkowski, der irrt. Gewidmet ist dieses Stück dem 1946 geborenen ungarischen Musiker (Gitarre, Flöten, Perkussion), Volksmusikforscher und Musikpädagogen Iván Nesztor. Nesztor hat viele seiner etwas jüngeren Musikerkollegen in Ungarn beeinflusst – sowohl durch seine Lehrtätigkeit – inklusive seiner Lehrbücher zum Jazzschlagzeug – als auch durch gemeinsames Musizieren. Als Deutscher ein ganzes Stück vom ungarischen Musikleben entfernt, weiß ich nichts darüber, wie Nesztors Kindheit verlaufen ist. Hört man das Stück, scheint sie sehr lebendig gewesen zu sein: Eine warm klingende, kräftige Bassklarinette skizziert eine optimistische, wie Zeichentrickfilmmusik wirkende Melodie, die immer mehr durchsetzt wird von skurrilen Ragtime- und Boogie-Phasen, schnellen melodischen Fetzen und verzögert durch rhythmische Dehnungen, bis die Musik in spielerische Tollheiten mündet. Was in diesem Stück im Kleinen erklingt, steht auch für das Ganze der CD. Stilisiert Altes steht im Kontrast zu forcierten, modernen, individuellen Soli, kräftige, vor allem stets sehr melodisch improvisierte Saxofonlinien werden gebrochen von splittrigen Piano-Clustern. Auch …

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Bassistin Divinity Roxx im Bayerischen Hof in München

Weiße spielen Rock, Schwarze Soul und Funk. Soweit das Klischee, das aber nicht stimmen muss. Sicher, um sich die Brötchen zu verdienen, stimmt auch Divinity Roxx als Bassistin von Beyoncé vertraute Töne an und fungiert als künstlerische Leiterin ihrer Hallenshows. Im eigenen Trio jedoch klingt ihre Musik anders, wild und energiegeladen, manchmal wütend und herausfordernd. Sie verneigt sich vor Vorbildern, stimmt Jaco Pastorius’ „Teen Town“ an oder „Black Betty“ in rapdurchsetzter Version. Das sind aber nur Anker, die sie zusammen mit Jacksons-Drummer Lamar Moore und dem Gitarristen Julian Litwack auswirft. Im Kern macht Divinity Roxx Musik von der Basis, singt und rappt mit der Wucht der Leidenschaft, spielt ebenso funky wie lärmend, bis auch die zufällig hineingeratenen Hotelgäste im Night Club des Bayerischen Hof nicht mehr anders können, als sich mitreißen zu lassen. Wenn der Konzertherbst so startet, na dann kann wenig schiefgehen. Ralf Dombrowski  

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CD-Rezension: Hommage à Eberhard Weber

Von Thomas J. Krebs – Vorliegende Aufnahme ist ein „Destillat“ der beiden Konzertabende vom Januar 2015, die zu Ehren von Eberhard Webers 75. Geburtstag im Stuttgarter Theaterhaus stattfanden. Ein bemerkenswertes Live Album in vielerlei Hinsicht. So ist es gelungen so ziemlich alle wichtigen Weggefährten Webers nach all den Jahren wieder einmal zusammen zu bringen. Auf dieser CD vereint sind Jan Garbarek, Gary Burton, Danny Dottlieb, Paul McCandless, Scott Colley, die SWR Big Band unter Leitung von Helge Sunde und Michael Gibbs und last not least Pat Metheny mit einer Auftragskomposition, aber dazu später. Lediglich Steve Swallow war aus persönlichen Gründen verhindert und Ralph Towner, der bei den Proben noch mit von der Partie war, konnte leider aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht mit dabei sein. „Des Meischte ist geschwätzt“ so Eberhard Webers Kommentar gleich zu Beginn des Events im Stuttgarter Theaterhaus. Er war nie ein Mann großer Worte, sondern mehr der Melodien, gleichzeitig Revolutionär seines Instruments, dem er auf eigene Weise wundervollste Klangfarben entlockte, es aus dem klassischen (Begleit-) Hintergrund löste, als erster ins Rampenlicht stellte und den Bass damit als Soloinstrument adelte. Jan Garbarek eröffnet die …

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Die schönsten Jazz, Funk & Soul-Plattenhüllen aller Zeiten

Hört man CDs, oder streamt man Musik, dann vermisst man meistens weniger den Vinylklang – der Hörsinn scheint sich auch an digitale Qualität anpassen zu können. Doch diejenigen, die noch wissen, dass es so etwas einmal gab, vermissen es immens: das Cover. 31 Zentimeter auf 31 Zentimeter groß erlaubt es eine wesentlich lebendigere Gestaltung als jede CD-Hülle oder jeder Seitenaufruf online. Eine Schallplattenhülle besitzt Haptik und die Schrift ist in der Regel auch für Menschen über 25 Jahre noch ohne Lupe lesbar. Vor allem aber sind die Hüllen der LPs – also Langspielplatten mit je etwa 45 Minuten Spieldauer pro Seite – ein Spiegel der Grafik und Bildsprache der 50er- bis 80er-Jahre. Und die sind sehenswert: Nicht umsonst gibt es seit Jahren immer wieder aufwändige und großformatige Bildbände mit Coverabbildungen, die meist einem Label gewidmet sind wie Blue Note, Verve, MPS oder ECM. Der Ansatz zweier in neuem Format wieder aufgelegter Publikationen in der Reihe Bibliotheca Universalis des TASCHEN-Verlags ist ein anderer. Er versammelt hunderte von Coverabbildungen geordnet nach den wichtigsten Musikern des Jazz und Soul. Zu jedem Werk gibt es ein Fact Sheet über …

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Begabt, ehrgeizig, ehrlich – et très joyeuse: Christine Corvisier

Von Dietrich Schlegel – Bereits mit ihrer ersten eigenen CD „Walkin‘ Around“, die sie 2007 mit ihrem Quintett CC5 aufgenommen hatte, ließ die Saxophonistin Christine Corvisier aufhorchen. Nicht nur, dass sie fast ausschließlich eigene Kompositionen spielte, in einer stilistischen Breite von Modern Jazz, Groove und auch experimentellen Sounds – plus einem eigenwilligen Jazz-Arrangement des Edith-Piaf-Klassiker „La vie en rose“. Sie verriet auch, dass sie dabei war, auf ihrem Hauptinstrument, dem Tenorsaxophon, einen eigenen, erkennbaren Klang zu entwickeln. Mit ihrer letztes Jahr aufgenommenen zweiten CD „Reconnaissance“, für die sie gerade mit dem Schweizer Label Unity Records einen Vertrag geschlossen hat, erfüllt Christine in beiderlei Hinsicht die erweckten Erwartungen. Ihre Kompositionen sind noch vielgestaltiger und origineller oder in ihren Worten: „ehrlicher“, ihr Tenorspiel, vor allem in den tiefen Lagen, noch ausgereifter und eigenständiger. Und wieder hat sie ein berühmtes Piaf-Chanson, diesmal „La foule“ alias „que nadie sepa mi sufrir“, jazzig arrangiert, als ein Salut an ihr Heimatland. Gehörten zu ihrem ersten Quintett überwiegend Amsterdamer Kollegen, so hat sie sich für „Reconnaissance“ vier Kölner Musiker ihrer Generation ausgesucht, mit denen sie „très heureuse“ sei, begeistert von deren Musikalität …

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Eine Botschaft an Attila

MESSAGE TO ATTILA – The Music of Attila Zoller ENJ-9620 2 (Veröffentlichung  am 28. August 2015) Der ungarische Gitarrist Attila Zoller war Zeit seines Leben Bindeglied zwischen der europäischen und amerikanischen Jazz-Szene, egal ob swingende Tradition oder Avantgarde, als Instrumentalist wie als Komponist. Ein kompromissloser Vollblutmusiker, Komponist, Lehrer (Pat Metheny ist wohl einer seiner erfolgreichsten Schüler) und nicht zuletzt technischer Innovator für sein Instrument, die Gitarre. Auch 17 Jahre nach seinem Tod haben seine Kompositionen und Schaffen nichts an Strahlkraft verloren. Das beweist eindrucksvoll das „Message to Attila“ Album, das nun auf dem Münchner Enja Label erschienen ist. Zoller und Enja war bereits zu Lebzeiten eine einzigartige Verbindung und inspirierendes Konstrukt. Zollers Tochter Alicia hat nun ein wunderbares Projekt auf die Beine gestellt: Ehemalige Studenten und Freunde Zollers wurden kontaktiert, haben sich zusammen getan und seine Kompositionen bzw. Zoller-Klassiker, die die Musiker selbst beeinflusst und ein Leben lang begleitet haben, eingespielt und neu interpretiert. Eingeleitet wird die Aufnahme mit einer sehr persönlichen Message an Attila von keinem Geringeren als dem großen Bassisten Ron Carter. Dann geht es los – Mike Stern, Wolfgang Lackerschmid, das Duo …

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