JazzZeitung Review

Rezension „BIRTH“ mit Günther Fischer und Tobias Hoffmann

Die Welt der Musik ist groß, bunt und wird täglich größer und bunter. Sechs CD-Neuerscheinungen gibt es in Deutschland täglich und Presse, Medien und vor allem die Hörer haben es längst aufgegeben, sich durch diesen Dschungel durchzuschlagen. Deshalb möchte ich allen denjenigen, die sich für Musik in allen ihren Spielarten interessieren, einen kleinen Tipp geben. Ich empfehle Ihnen die CD „BIRTH“, die vier herausragende Allround-Jazzmusiker im Studio zusammengeführt hat. Interessant ist vor alle der riesige Altersabstand: Zwischen dem Gitarristen Hoffmann und dem Saxophonisten Fischer liegen beinahe 40 Jahre Lebenszeit mit allen ihren Erfahrungen. Das macht neugierig. (Von Walter Thomas Heyn) Zu nennen wäre an erster Stelle Günther Fischer, der Altmeister des ostdeutschen Jazz. Fischer, 1944 geboren, spielt sein Saxophon, als gäbe es keine Alterungsprozesse. Er kennt alles und kann alles. Selbst in den widerborstigsten Momenten klingt sein Instrument edel, der Klang ist abgerundet, die Skalen makellos. Aber auch in den meditativen Aspekten der Musik überzeugt sein klangreines, an den uralten antiken Aulos erinnerndes Sopransaxophon. Das ist hohe Schule! Der Gitarrist Tobias Hoffmann, 1982 in Remscheid geboren, ist für mich eine Neuentdeckung und eine fulminante dazu. …

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István Grencsó und sein Open Collective veröffentlichte die verdienstvolle Doppel-CD »Derengés / Dawn«

Dieses Foto war unvergesslich. Auch für den Freejazz-Pianisten und -Komponisten György Szabados. Es heißt »Die Hochzeit« (»Az esküvő«) und zeigt eine nur sechs Personen umfassende Hochzeitsgesellschaft wohl auf dem Weg zur Trauung. Die Menschen, voran die weiß gekleidete Braut, scheinen gerade aus einer Wohnung gekommen zu sein und laufen nun auf dem Gang des Innenhofs entlang einer zerschossenen Fassade dem Treppenhaus zu, das sie einige Etagen weiter unten aus der Mietskaserne hinausführen wird. Sie sind – dem damaligen Zeitgeist der Sechziger-Jahre entsprechend – modisch angezogen. Eine Dame lächelt mild, jeder geht für sich. Aufgenommen hatte das Foto der ungarische Fotograf László Fejes, der dafür den World Press Photo Award 1965 erhielt, übrigens als erster Ungar überhaupt. (Rezension von Mathias Bäumel)

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Joe Rosenberg Ensemble: Tomorrow

Lebensäußerung voller Zuversicht: Neue CD des Joe Rosenberg Ensembles

„Es ist schwierig Vorhersagen zu treffen, vor allem über die Zukunft.“ Was sich wie ein Bonmot aus dem Mund eines schneidigen Kabarettisten anhört, welcher Josef Hader ähnelt, ist ein Ausspruch des amerikanischen Baseballspielers Lawrence Peter „Yogi“ Berra, der 90-jährig vor zwei Jahren gestorben ist. Der in Hongkong und Frankreich lebende amerikanische Saxofonist Joe Rosenberg zitiert auf seinem mittlerweile 15. Album als Leader weitere kluge und bedeutende Leute, wie Steve Jobs und Albert Einstein. Letzterem wird die Sentenz zugeschrieben, dass „für uns der Unterschied zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur eine Illusion ist, wenn auch eine ziemlich hartnäckige.“

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Ab heute im Kino: „Django – ein Leben für die Musik“ und eine Verlosung

Seit Jahren befand sich der französische Manouche-Gitarrist Django Reinhardt (1910-1953) auf dem Gipfel seines Erfolges, obgleich er sein Quintette du Hot Club de Jazz umbesetzen musste, nachdem sein kongenialer Geiger Stephane Grappelli 1939 aus Furcht vor den Kriegswirren in London geblieben war. Inspiriert von amerikanischen Jazzcombos, vor allem derjenigen des Klarinettisten Benny Goodman, hatte Reinhardt an seiner Stelle den Klarinettisten Hubert Rostaing und anstelle eines der beiden Rhythmusgitarristen einen Schlagzeuger – den Ägypter Pierre Fouad, im Film dargestellt von dem französischen Jazzschlagzeuger Vincent Frade – engagiert. (Text: Gerhard Litterst / Fotos: Roger Arpajou/Weltkino) Das neue Quintett war nicht minder erfolgreich im nunmehr von deutschen Soldaten besetzten Paris und eilte von Auftritt zu Auftritt in den führenden Cabarets, darunter das Folies Bergere, einer der von Reinhardt favorisierten Auftrittsorte. Unter dem ihn feiernden Publikum befanden sich indes zunehmend auch deutsche Offiziere, die einerseits seine als „unarische Negermusik“ verpönte Jazzmusik ablehnten, andererseits von ihrer euphorisierenden und popularisierenden Wirkung fasziniert waren. Hier, 1943, setzt die Handlung von Etienne Comars Film Django ein, der – als Weltpremiere und Wettbewerbsbeitrag – die diesjährige Berlinale eröffnete. Gestützt auf Alexis Salatkos Roman Folles …

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Cover Lorenz Kellhuber - Live at the montreux festival

Lorenz Kellhuber: Live at the Montreux Jazz Festival

Nach mittlerweile vier Trioalben legt Lorenz Kellhuber nun endlich ein Piano-Soloalbum vor, live aufgenommen beim 49. Montreux Jazzfestival 2015. Der in München geborene Kellhuber, mittlerweile 27 Jahre alt, kann auf eine bereits ansehnliche, stringente Biografie blicken. Sowohl mit seinem Trio, in dem eigene Kompositionen ausgelotet werden, als auch mit dem „Standard Experience Trio“, mit dem er Songs aus dem American Songbook interpretiert, hat er in der Piano Szene jetzt schon Maßstäbe gesetzt.

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CD-Rezension: Dieter Ilg mit B-A-C-H

Dieter Ilg hat sich mittlerweile einen Platz in der ersten Riege der Bassisten gesichert – national wie international. Unabhängig von seiner kontinuierlichen spielerischen Vielseitigkeit, angefangen bei Marc Copland , Roberto di Gioia oder Mike Manieri, im Duo mit Charlie Mariano oder Till Brönner, erkundet Ilg seit 2009 im Trio mit Rainer Böhm am Piano sowie dem Schlagzeuger Patrice Héral Harmonik, Strukturen und Rhythmik klassischer Komponisten, die er mit seinem Trio jazztechnisch unter die Lupe nimmt. Anders als die seinerzeit im „Third Stream“ üblichen, zum Teil musikalisch abgehobenen, Experimente oder swingende Klassik-Varianten eines Jacques Loussier, nimmt sich Ilg mit seinem Trio ausgewählte Kompositionen und deren Werke vor, analysiert sie und bereitet diese fast visionär auf. Angefangen mit Verdis „Otello“, von der es eine Studio- und eine Live-Version gibt, folgte Wagners „Parsifal“, danach widmete er sich den Werken Beethovens (nomen est omen: „Mein Beethoven“). Nun folgt Ilgs vierter Streich: „B-A-C-H“! Ein nicht minder mutiges Unterfangen, das er sich da vorgenommen hat, das allerdings nahtlos an die vorangegangenen Projekte und Aufnahmen anknüpft. Wer das Trio schon einmal live gesehen hat, weiß wie die Musiker agieren: seelenverwandt, traumwanderlisch spielen …

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Helmut Nieberle und Milorad Romic: Gitarren-Duo mit anarchischer Note

Für viele Regensburger gehören die Serenadenkonzerte von Milorad Romic seit Jahren fest zum sommerlichen Ritual. Heuer gestaltete er das Programm zusammen mit Helmut Nieberle, einem langjährigen Partner, mit dem er aktuell ein Doppelalbum veröffentlicht hat. Im lauschigen Herzogspark bekam die Musik der beiden seelenverwandten und dabei ungleichen Gitarristen eine ganz eigene poetische Note voller Leichtigkeit und Grazie, aber auch Tiefe und gelegentlicher Dramatik. Diese und noch viele andere Eindrücke vermittelt auch das Album „Solo Due“. Es ist bei Bobtale Records erschienen, dem vom Abensberger Bob Rückerl gegründeten Label, das die damalige Partnerin des mit gerade mal 52 Jahren 2009 verstorbenen Musikers weiterführt. Neu an der Doppel-CD, welche die schönsten von Romic und Nieberle eingespielten Werke von 1994 bis 2017 enthält, ist eigentlich nur der zweite Teil. Der erste ist eine Wiederauflage eines 1994, nicht  lange nach Romic` Flucht aus Kroatien und Übersiedlung nach Deutschland vom Bayerischen Rundfunk im Studio Nürnberg aufgenommenen Album. Es enthält von Nieberle arrangierte Musik von Bach bis Angel Villoldo, Lothar Brühne bis zu Michael Jarys politisch ambivalentem Evergreen „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“. Nicht ganz so bunt und …

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Um Haltung geht es: Im Gespräch mit Florian Peters über dessen neues Album „11 Waves“

Was ist jenseits der Gedanken und Meinungen, die vielleicht doch nicht alles sind? Höre auf, das Haus suchen zu wollen, wenn Du gerade im Raume bist! Kannst Du noch die Stille hören? Oder die Leere lieben? Florian Peters, Singer/Songwriter, Pianist und Gitarrist aus Regensburg hatte sehr lange viele Gedanken im Kopf, die irgendwann Worte, Sätze und schließlich Songs bildeten. Etwa sein „Mantra to stop Crazyness“, aus welchem die oben zitierten Zeilen stammen. Für seine Songs nimmt Peters sich Jahre Zeit. Jahre des Lebens, des Suchens und des Angekommen-Seins. Genug Material für viele Momentaufnahmen von Stimmungen, Gefühlszuständen und Reflexionen ist hier zusammen gekommen, wie Florian Peters im Gespräch betont: „Jeder Song hat seine individuelle Geschichte. Mein Leben ist ja auch sehr vielfältig und genau diese Vielfalt ist mir ein sehr hoher Wert.“ Zur gelebten Vielfalt des Florian Peters gehören neben seinen Musikprojekten etwa Seminare, in denen er eben nicht einfach nur Gitarre spielen, sondern eine „kreative Kommunikation“ lehrt. Und dann gibt es eine andere nie versiegende Inspirationsquelle, das Reisen. Aktuell paddelt er mit dem Kajak ab Regensburg die ganze Donau herunter – etappenweise allerdings. Allein. Elf …

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CD-Rezension: Hudson

„Hudson“ – so der Titel des neuen, auf dem Label Motéma erschienen Albums, das auf den ersten Blick profan und unscheinbar wirkt, bis man auf die Besetzungsliste der Formation schaut: Eine Erntedankfestbesetzung mit Jack DeJohnette, John Scofield, John Medeski und Larry Grenadier. Was die vier dann auf dem Album soundtechnisch anstellen ist schier unglaublich. Gleich das erste Stück, eine tiefgründige Gemeinschaftskomposition, groovt, schnarrt und lässt aufhorchen, was dann im Weiteren folgt. Nämlich ein gelungener Mix aus Eigenkompositionen und Titeln von Bob Dylan, Joni Mitchell, Jimi Hendrix, The Band und Bruce Hornsby/DeJohnette. Das Ganze ist damit eine hochkomplexe Mischung aus Jazz, Rock und Popmusik, die sich die vier Musiker vorgenommen haben und in unvergleichlicher Weise aufarbeiten. Da zeigt die erste Garde des Jazz jungen Cats, wo soundtechnisch der Hammer hängt, wie man Pop- oder Rockstandards mit Verve spielt, diese ihre innerste Seite offenbaren, immer fresh, am Puls der Zeit und eindrucksvoll interpretiert. John Scofield spielt fein und nuanciert, da kommen Erinnerungen an frühe Alben wie „Shinola“ oder „Out Of The Light“ auf, Medeski zaubert auf seinen Tasteninstrumenten einen geradlinigen, pulsierenden Fusionsound, ohne dabei irgendwie angestaubt zu …

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Klang als Ursubstanz: Neuer Hörstoff von Udo Schindler und seinen Spielpartnern

Die meisten Musiker gehen hinaus in die Welt, um ihre Kunst unter die Menschen zu bringen. Udo Schindler, der improvisierende Klang-Architekt aus Kreiling bei München liebt vor allem die Einheit aus eigenem Lebensmittelpunkt und kreativer Wirkungsstätte. In seinem Haus treffen internationale Musikerinnen und Musiker der Freien Improvisierten Musik auf ein sensibilsiertes  Publikum bei den regelmäßigen „Salons für Klang und Kunst“. Und immer ist der Veranstalter selbst, ein hellhöriger Multiinstrumentalist, einfühlsamer Mitstreiter. Oft sind die Begegnungen völlig adhoc – und werden regelmäßig auf liebevoll produzierten CDs verewigt. Udo Schindler beruft sich gerne auf ein Postulat von Giacinto Scelsi, der die unmittelbare Physis eines undomestizierten Klanges zum Ansatzpunkt nimmt, während alle „Musik“, sprich sämtliche menschen-geschaffene Ordnungssysteme des Tonmaterials nur sekundäres Konstrukt sind. Dieses Prinzip von grundauf verinnerlichend, haben Schindler und seine ständig wechselnden Spielpartner  eine vielgestaltige Kommunikationskultur geschaffen. „Answers and maybe a question?“… liefert eine neue Duo-CD mit Ove Volquartz. Hier pflegen zwei Bassklarinetten den Dialog auf Augenhöhe und wagen sich gemeinsam in klangliche Ur-Gefilde vor. Vor allem die Vorstöße in extrem tiefe Subbass-Frequenzräume sind aufregend und physisch spürbar. Selten hört man tiefe, sägende Frequenzen so entblößt …

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