Cimbiosis Trio und Ligeti Ensemble mit „Responses to Ligeti“

(Von Mathias Bäumel) Das Budapester Musikzentrum mit dem dazugehörigen CD-Label BMC Records nahm den 100. Geburtstag György Ligetis zum Anlass, ein in dieser Art wohl einmaliges Klangwerk entstehen zu lassen, das mit zwei Kammermusik-Gruppierungen – dem Ligeti Ensemble und dem Miklós Lukács Cimbiosis Trio – beim „Ligeti 100 Festival“ im Mai 2023 aufgeführt und dann aufgenommen wurde. Im Zentrum dieser Musik stehen Ligetis „Zehn Stücke für Bläserquintett“, aber ganz wesentlich sind die markanten Motivelemente und bizarren Klangschreie, die das Lukács Cimbiosis Trio, gewissermaßen als „Antworten“, in die Abfolge der Ligeti-Stücke hineingibt. Lukács tritt mit seinen Mitspielern – Abschnitt für Abschnitt – in Dialog zur Ligeti-Musik, indem sein Trio mit kleinen, offenbar wie improvisiert wirkenden Präludien und Postludien die Einzelstücke Ligetis dialogisch, miteinander verschränkend, verbindet. Auf diese Weise würde, so eine Formulierung auf dem CD-Cover, die „dünne Linie zwischen zeitgenössischer Musik und Jazz verschwimmen“. Das Analysieren und Erkennen des Aufbaus dieser (und weiterer) Musik ist das Eine, die emotionale Wirkung, die sie auf den Hörer auslöst, ist das Andere, das dabei jedoch im Vordergrund steht. Das Bläserquintett Ligetis lotet die Möglichkeiten seiner Instrumente aus. Dazu und …

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Traumsicher, traumschön – das Tord Gustavsen Trio mit neuer CD

(Text und Fotos: Robert Fischer) Da wäre man gern ein Mäuschen gewesen: als sich Tord Gustavsen,  Steinar Raknes und Jarle Vespestad im Oktober 2023 in den Studios La Buissonne trafen, um für das renommiete Münchner Label ECM ein neues Album aufzunehmen. Immerhin: Drei Monate später, im Januar 2024, konnte man die in der Provence entstandene Musik beim Regensburger Festival Sparks & Visions live erleben, und nun, etwas mehr als ein Jahr nach den Aufnahmen, ist „Seeing“ erschienen: Was genau Tord Gustavsen mit seiner zehnten Veröffentlichung für ECM im Blick gehabt haben mag, wird wohl (s)ein Geheimnis bleiben – zu hören gibt es jedenfalls das vielleicht schönste Album des norwegischen Jazzpianisten. Konzentration auf das Wesentliche Er werde älter und konzentriere sich nun „auf das Wesentliche im Leben und der Musik“, lässt Tord Gustavsen zur Veröffentlichung seines neuen Albums verlauten, aber wer mit seinem Werk vertraut ist, der weiß, dass die Konzentration auf das Wesentliche schon immer ein Hauptmerkmal der Kunst des norwegischen Tastenmagiers war. Bereits auf seinem ersten, vor über 20 Jahren bei ECM erschienenen Trioalbum, „Changing Places“ (2003), verblüffte die geniale Schlichtheit seines Spiels, die Kunst, …

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Keine Kompromisse – neue CD von Roger Kintopf

(Text/Fotos: Robert Fischer) Wer als Kontrabassist im zarten Alter von gerade mal 25 Jahren bereits sein zweites Soloalbum veröffentlicht, dem mangelt es jedenfalls nicht am nötigen Selbstbewusstsein. Nicht immer aber gibt es für ein solches Selbstbewusstsein einen so guten Grund wie bei Roger Kintopf: Der Mann ist – als Musiker wie als Solist – einer wie keiner. In jedem Fall aber ist er eine Ausnahmeerscheinung: Der 1998 in Darmstadt in eine musikalische Familie geborene, heute in Köln lebende Roger Kintopf begann als Elfjähriger E-Bass zu spielen, dann wechselte er zum Kontrabass. Zuletzt studierte er in den Jahren 2016 bis 2022  an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln unter anderem bei Robert Landfermann – seinerseits einer der besten, vielseitigsten und begehrtesten Bassisten der deutschen Jazzszene. Parallel dazu etablierte sich Roger Kintopf mit eigenen Projekten wie „STRUCTUCTURE“, im Duo mit Victor Fox, im Trio „Percussion“ mit Felix Hauptmann und Leif Berger sowie als Sideman renommierter Musikerinnen und Musiker wie Kit Downes, Philip Dornbusch, Christian Lillinger und Johanna Summer. Im Jahr 2021 veröffentlichte er sein erstes reines Kontrabassalbum mit dem schlichten Titel „Solo“. 2024 folgt nun …

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Zwischen Fugen und Jazz: CD von Florian Willeitner

Die Fuge neu zu denken, ist keine leichte Aufgabe. Doch genau diesen Versuch hat der Geiger und Komponist Florian Willeitner mit seinem neuesten Album „What The Fugue“ gewagt. Gemeinsam mit seinem „New Piano Trio“, bestehend aus Ivan Turkalj am Cello und Alexander Wienand am Klavier, balanciert Willeitner meisterhaft zwischen der strengen Struktur der Fugenkunst und der Freiheit des Jazz. „What The Fugue“ ist dabei mehr als nur eine Hommage an die barocken Meister. Es ist eine Reise durch verschiedene musikalische Welten, die Willeitner geschickt in vier sogenannte „Keys“ unterteilt hat. Diese vier Tonsprachen repräsentieren die Einflüsse, die das Album prägen: vom Orient über experimentelle Harmonien bis hin zu Bach und einer humorvollen Anspielung auf Prokofjew. Jedes Stück spiegelt Willeitners tiefgehende Auseinandersetzung mit der jeweiligen Musiktradition wider und zeigt, wie diese scheinbar unterschiedlichen Welten mit der Fuge in Einklang gebracht werden können. Der erste Key „Orient“ fasziniert durch die geschickte Integration rhythmischer und klanglicher Elemente aus der nahöstlichen Musiktradition. Diese werden nahtlos mit westlichen musikalischen Strukturen verwoben. Ihren Beginn bildet „Tigran’s Prelude“, das als Hommage an den Pianisten Tigran Hamasyan konzipiert ist. Als sanftes, atmosphärisches Vorspiel …

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Klingendes Vermächtnis: Paolo Fresu – Legacy

(Von Stephanie Knauer) Drei Jubiläen waren der Anlass für ein Vermächtnis: „Legacy“ heißt die 3CD-Box von Trompeter und Flügelhornist Paolo Fresu, im Frühjahr erschienen beim Label Türk. Jede Silberscheibe ist das Filtrat einer runden Summe an Jahren des Zusammenmusizierens. IMPROVVISI feiert 22 Jahre im Duo mit Uri Caine, IMPROMPTUS 20 Jahre Devil Quartet und REPENS 40 (!) Jahre mit dem Paolo Fresu Quintet. Eines eint alle drei: sie sind vollständig improvisiert, natürlich nachbereitet und gemastert, mit dem typischen Fresu-Sound von unendlicher Weite, aber musiziert wurde ohne Netz und doppelten Boden. Wer so einen Ansatz so fesselnd und farbenreich, noch dazu konserviert für die Ewigkeit realisieren kann, muss sich musikalisch rückhaltlos vertrauen können – einerseits. Ein gigantischer Background ist Bedingung zwei, zudem ein ähnliches Stilgefühl und ein harmonierender Geschmack. Was Kontraste und Überraschungen nicht ausschließt. Gewagt und gut Dass so ein Vorhaben gewagt wird und dass es so gut funktioniert, zeigt bereits die grundsätzliche Meisterschaft Paolo Fresus und seiner – ausnahmslos – männlichen Kollegen. In ihren musikalischen Genesen tauchen unzählige grandiose motivische Ideen auf, werden im besten Sinne verarbeitet, tauchen ab in Jazz- und auch Klassikstile, werden rhythmisch, …

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Bob Reynolds Group Live in Munich als immersives Klangerlebnis

Bob Reynolds – Saxophonist, Grammygewinner und unter anderem Mitglied des Musikerkollektivs Snarky Puppy – auf seiner ersten Quartett Europatour nach Corona. Gleich zu Beginn der geplanten Europakonzerte wurde Bob Reynolds in Holland am Bahnhof von Rotterdam seine Tasche mit Noten, Computer und Effektgeräten gestohlen. Stress pur war angesagt, und mit Hilfe helfender Hände konnte zumindest all das organisiert werden, was für die kommenden Auftritte unverzichtbar war. Zu Gast im Jazzclub Unterfahrt Die Europareise des Quartetts konnte so wie geplant weitergehen, und am 8. Oktober 2022 gastierte die Band im Münchner Jazzclub Unterfahrt. Wie so viele Konzerte wurde auch dieser komplett ausverkaufte Gig gestreamt, mit umwerfendem Feedback des Publikum im Club selbst. Und unzähligen positiven Kommentaren weltweit während des Streams von den Geräten zu Hause. Daraufhin beschloss man, die Highlights des Abends abzumischen und zu veröffentlichen. Mit von der Partie waren der Pianist Ruslan Sirota, Janek Gwizdala am Bass sowie der Schlagzeuger Gene Coye. Das Programm bestand aus bekannten, spannenden Kompositionen aus Reynolds Feder wie „Closer“, „Crush“ oder „Feedback“, die mit herrlich inspirierten Soli, unvergleichlich mitreißend gespielt wurden. Eine absolute, musikalische Sternstunde im Jazzclub Unterfahrt! Das …

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Zwischen Hardbop und Modern: CD von Werner Pusch  

75 ist kein Pappenstiel, da kann man schon zurückschauen und die eigenen Leistungen in den Blick nehmen. Wenn diese dann vor den eigenen und den Ohren anderer noch Bestand haben – sogar ohne nostalgische Verklärung oder Schönfärberei – steht einer Wiederveröffentlichung nichts mehr im Weg. So geschehen mit dem „meine Ziele“ (My Destination) betitelten Album des durchaus reisefreudigen Trompeters und Flügelhornisten Werner Pusch. Gerade mal 31 Jahre war der gebürtige Münchner alt, als er die Aufnahmen für die Schallplatte 1980 mit dem für seine ECM-Produktionen berühmten Tonmeister Martin Wieland in den Bauer Studios mit einem Quintett einspielte. Fünf Kompositionen waren seinerzeit auf „My Destination“ in die Rillen gepresst, zwei von Pusch, die übrigen von Pianist Peter Kosch. Während ihrer Hochphase in den 70er/80er Jahren des letzten Jahrhunderts war die Band viel im Raum zwischen Frankfurt und Heidelberg unterwegs und spielte in amerikanischen und deutschen Clubs. „Sandra“, „Demiané“ und „Tango For Patricia“ sind Titel, die damals live bei Gigs der Band zu hören waren. Dabei bestechen die zupackenden solistischen Höhenflüge ebenso, wie die boppigen Unisono-Passagen aus Wilson de Oliveiras Tenor und Trompete in „Peterchen ́s Mondfahrt“. …

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„Plateaux“ – neues Album von Clara Habercamp

Magische Piouretten und Klangschürfungen Im Downbeat-Magazin hat der Musikjournalist Joe Woodard die deutsche Pianistin Clara Haberkamp mit Brad Mehldau verglichen. Ob die Musikerin und seit kurzem Musikwissenschaftlerin, die zudem auch noch singt, davon beeindruckt war, darüber kann mehr oder weniger eifrig spekuliert werden. Immerhin rückt sie eine solche Bemerkung in musikalisch-olympische Höhen. Vergangenen Herbst hat die 34-jährige Musikerin mit ihrem Trio ein neues Album eingespielt, das auf JAZZart, einem Seitenzweig von Tyx-art veröffentlicht worden ist. Für das Label des Regensburger Tonmeisters Andreas Ziegler beginnt damit ein neues Kapitel. „Plateaux“, wie Haberkamp ihr Album betitelt hat, ist die erste Veröffentlichung der  Reihe. Kennengelernt haben sich die beiden auf dem Sparks & Visions Festival. Die in Hamburg lebende Musikerin hat sich mit dem Tonmeister „auf Anhieb gut verstanden“. Für sie sei es „die wichtigste Voraussetzung, dass der Produzent mich und meine Musik auch versteht“, beschreibt sie den Grundstock für eine Zusammenarbeit. Diese fand sie bei Ziegler. Besuch im Studio Cap à Pie Vergangenen Herbst erfolgten Im Cap à Pie Studio in Neutraubling die Aufnahmen der zehn Stücke, sechs davon aus Haberkamps Tonsetzkasten. Das vorab als Single veröffentlichte …

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Das Projekt "Henn Türk Toxodon haben jetzt zugegeben" spielt auf Trompete, Marimba, Schlagzeug und Bass.

Moers Festival 2024 – Klare Distanzierung vom ideologischen Schwarzweiß

Das Moers Festival 2024 bot erneut Zuflucht vor dem Welt-Wahnsinn und erwies sich dabei als besonders avantgardelastig. Man muss für ein herausragendes Festival nicht möglichst viele prominente Bands aneinander reihen. Die aktuelle Ausgabe des Moers-Festivals punktete mit überraschenden und energiegeladenen Kooperationen zwischen Musikerinnen und Musikern unterschiedlichster Herkunft und Szenen. Die Offenheit für Grenzüberschreitungen und spontane Begegnungen synchronisierte dabei die reiche Impro-Jazz-Historie mit einer ästhetisch hellwachen Gegenwart. Was sich auch bei der 53. Festivalausgabe daraus ergab. Das ist wohl so in dieser Mischung nur in Moers erlebbar. Text: Stefan Pieper Am ersten Festivaltag, gleich am Beginn hatte es erstmal Irritationen gegeben, als eine Musikerin beim Auftaktkonzert „Free Palestine“ rief und einige im Publikum lautstark einstimmten. Andere Kulturereignisse in jüngster Zeit haben gezeigt, dass die immense Gefahr einer irreparablen Imageschädigung von solchen Bekundungen ausgeht. Entsprechend artikulierte Festivalleiter Tim Isfort eine klare Distanzierung des Festivals von einseitig-plakativen und aggressiven Meinungsäußerungen. Moerser Literatur in assoziativen Umlaufbahnen Hanns-Dieter Hüsch wäre in diesem Jahr 99 Jahre alt geworden, aber die Texte des gebürtigen Moersers wirken so, als könnten sie gerade den vielen menschlichen Befindlichkeiten von heute auf den Leib geschrieben sein. …

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