Der 39-jährige Schlagzeuger und Komponist Christian Lillinger ist derzeit einer der spannendsten, vielseitigsten und gleichzeitig kreativsten Köpfe der deutschen Jazz- & Improvisationsszene. Seit Juli arbeitet Lillinger im Rahmen eines Aufenthaltsstipendiums als Artist-in-Residence in der Feldfinger Villa Waldberta, musiziert dort, entwickelt neue Klangkonzepte und tauscht sich mit Kollegen aus. Als Abschluss seines Aufenthaltes verabschiedet er sich mit dem Plaist-Festival in der Produktions- und Spielstätte Schwere Reiter München, das er mit einer Vielzahl namhafter Musiker über drei Tage kuratiert und veranstaltet hat. Spannende Abende Wer Lillinger kennt weiß worauf er sich musikalisch und medial einlässt. Ein dreitägiges Festival, dessen Namensgeber sein kreatives Label „Plaist“ ist, verspricht spannende wie fordernde Abende. Fernab jeglicher Konventionen traten im Rahmen des Festivals eine Reihe von Musikern solo und in wechselnden Formationen auf, sprengten traditionelle Hörgewohnheiten, öffneten musikalische Räume, die lange nachwirken und die Sinne bereichern. Das Festival startete mit dem Elektroniktüftler György Kurtag jr. solo, sehr atmosphärisch angelegt, leider nur knapp 25 Minuten lang. Wenn man bedenkt, was Kurtag alles zu erzählen hat, hätte man dem Programm gerne noch länger gelauscht. Die slowenische Sängerin Irena Z. Tomažin folgte mit einer Performance, …
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Die Pianistin und Sängerin Johanna Borchert begeistert bei ihrem Auftritt im Regensburger Jazzclub
Existentielle Songs übers Leben Regensburg. „Die Erschaffung von neuem Leben“ ist das Thema, um welches sich die Musik von Johanna Borcherts aktuellem Album dreht. Bei ihrem ersten Auftritt in Regensburg beim Jazzclub im Leeren Beutel stellte sie daraus Songs vor, die sie mit unglaublich eindringlichen Improvisationen und Stücken auf dem präparierten Flügel zu einem Erlebnis von seltener emotionaler Tiefe und Güte verband. „Amniotic“, benannt nach dem Fruchtwasser bei einer Schwangerschaft, nennt die in Kopenhagen lebende Komponistin und Pianistin das Album mit Songs wie „Oh Boy“, „The Mirror“ und „Little Universe“. Aufgenommen hat sie es mit einem Quartett befreundeter Musiker. Wobei man sich nach diesem Solokonzert nur mit Flügel, Stimme und einigen überraschenden klanglichen Effekten kaum vorstellen kann, wie diese Musik nach besser oder intensiver klingen sollte. Nach einem knappen Lächeln zum Publikum schuf Borchert aus wenigen pianissimo gehaltenen Tönen übergangslos ein Universum räumlicher Weite und Bestimmtheit. Nach und nach steigerte sie diese verhaltene und dennoch intime Atmosphäre in einem großen Spannungsbogen zu kraftvoller Dichte. Von europäischer Musikgeschichte ebenso geprägt, wie vom Jazz zog sie beim Tempo und Dynamik spürbar an, bevor sie wieder zu …
WeiterlesenDas Quartett von Alex Hitchcock spielt zum Saisonauftakt beim Jazzclub Regensburg
Schaut man nur auf das Äußere der Alex Hitchcock Dream Band, fällt sie durch alle Raster. Durch den der political correctness ebenso wie den des musikalischen Zeitgeistes. In der Traumbesetzung des jungen britischen Saxophonisten hat keine Musikerin Platz. Und bei den männlichen Musikschaffenden auf der Bühne ist nirgends auch nur ansatzweise ein elektronischer Klangerzeuger, ein Verfremdungsgerät oder gar ein ,mitspielender’ Computer zu sehen. Oldfashioned Vom Flügel über den Kontrabass, das Tenorsaxofon bis zum reduziert gehaltenen Schlagzeug alles analoge, althergebrachte Instrumente. Auf denen die vier Musiker einen mit zeitgemäßen Ausdrucksformen durchsetzten Modern Jazz spielen. Letztlich also auch einen eher oldfashioned, wie es längst eingedeutscht heißt, Sound spielen, der sich in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts entwickelt hat. Wer jetzt aber glaubt Hitchcocks Band der Träume sei deshalb auch altmodisch, zieht sich einen dicken Schiefer ein. Eingeschnürt Tatsächlich war der Auftritt beim Jazzclub im Leeren Beutel in der ersten Hälfte vor der Pause ziemlich uninspiriert. Das Quartett wirkte wie eingeschnürt von den Fesseln von Hitchcocks Kompositionen, die sie wie Perlen ohne Unterbrechung aneinander reihten. Da der Bandleader zudem auf Ansagen zu seiner Musik verzichtete, mussten sich …
WeiterlesenDie zweite Ausgabe des Jazz-Festivals „New Colours“ an geschichtsträchtigen Orten in Gelsenkirchen
Strahlend blauer Himmel – und alle vier Tage über 30 Grad. Da hielt der Produktionsleiter des Festivals, Bernd Zimmermann, in locker-unverblümten Bühnenansagen nicht hinter dem Berg, wie begeistert er über jede Besucherin und jeden Besucher bei solch einem Wetter war. Wer kam, konnte heftig schwitzend beglückt sein über ein vielfältiges Programm an sehr erlebenswerten Orten. Trancehafte elektronische Rhythmen, fesselnde Improvisationen an einer Kirchenorgel und außergewöhnlich tiefgründige Songs konnte man bei der zweiten Ausgabe von „New Colours“ Anfang September in und um Gelsenkirchen erleben – und nicht zuletzt ein lustvolles Flamenco-Jazz-Highlight, das vom Publikum geschlossen mit standing ovations gefeiert wurde. Musiker:innen wie die Kontrabassistin Lisa Hoppe, das belgische Trio Dishwasher, der englische Pianist und Organist Kit Downes und das Trio des spanischen Pianisten Daniel Garcia standen im Programm für den packenden Farbenreichtum des aktuellen Jazz. Tolle Orte „Wir sind durchschnittseinkommensmäßig ganz unten – aber diese Stadt ist schön“, brachte Zimmermann, der das Festival zusammen mit seiner Partnerin Susanne Pohlen gestaltet, das Phänomen Gelsenkirchen bei der Eröffnung auf einen einzigen Satz – und ergänzte: „Wir haben so tolle Orte hier, und die stellen wir vor“. Diese Orte …
WeiterlesenWider die Konvention: Eindrücke vom 31. Outreach Festival in Schwaz
Auch in seiner 31. Ausgabe erwies sich das „Outreach Festival“ im Tiroler Städtchen Schwaz als eines der ungewöhnlichsten Jazz-Festivals Europas. Das vom von hier stammenden Trompeter Franz Hackl – der freilich seit Jahrzehnten seinen Hauptwohnsitz in New York hat – gegründete und nach wie vor gemeinsam mit dem Bassisten Clemens Rofner geleitete Festival hat seit Jahren vieles von dem vorweggenommen, was heute im Festivalbetrieb groß im Schwange ist. Und hat beim Vorausdenken partiell immer noch die Nase vorn. Vorn in Sachen Nachhaltigkeit Seit jeher reisten hier viele Künstler nicht nur zu ihrem Konzert an, sondern für einen längeren Zeitraum. Schon wegen der dem Festival angeschlossenen „Academy“, einem großangelegten mehrwöchiges Unterrichtsprogramm mit internationalem Lehrkörper für alle Altersgruppen und Levels, das im restlichen Jahr auch online zur Verfügung steht. Oder beim interdiziplinären Ansatz. Wie seit langem gab es wieder einen „artist in residence“ aus der bildenden Kunst, diesmal der Tiroler Konzeptkünstler Ernst Caramelle, der lange in Karlsruhe, an der Frankfurter Städelschule und in New York lehrte, hier nun neben einer Ausstellung auch das Programmheft gestaltete und das eine oder andere Konzert – wir kommen gleich darauf – …
WeiterlesenMünchens Jazzsommer im Hotel Bayerischer Hof
Nach vier Jahren Zwangspause wagte das Hotel Bayerischer Hof in München einen Neustart seines Jazzsommers. Eine beeindruckende Ausstellung mit Schwarz-Weiß-Fotos von Lena Semmelroggen und ein interessantes Musikfilm-Programm im hauseigenen Kino begleiteten die Konzerte. Diese standen erstmals unter der künstlerischen Leitung des Fachjournalisten Oliver Hochkeppel, der sein stimmiges erstes Programm unter den Titel „Bummel durch Europa“ stellte. Als doppelten Auftakt brachte er aber vorweg Jazz aus den USA auf die Bühne, ohne den es den präsentierten eigenständigen europäischen Jazz ja nicht gäbe. So gab es also an zwei Tagen viele Standards zu hören. Zuerst von der dynamischen Altsaxophonistin Lakecia Benjamin in sehr intensiven und eigenwilligen Fassungen: Coltranes Hymne „A Love Supreme“ als Up-tempo-Stück ist zumindest gewöhnungsbedürftig. Ihr Begleittrio mit einem virtuosen Zaccai Curtis am Flügel, Ivan Taylor am Bass und EJ Strickland am Schlagzeug wirkte dagegen abgeklärt, aber nicht minder kreativ. Zur Tradition des Jazzsommers gehört ein Auftritt des 2. Preisträgers des Kurt Maas Jazz Award. Ausgewählt wurde 2023 der koreanische Schlagzeuger Minchan Kim, der sich der Tradition des Modern Jazz vor allem der 60er- und 70er-Jahre verschrieben hat. Zusammen mit dem Pianisten Theo Kolross und …
Weiterlesen10. Jubiläum – der Kurt Maas Jazz Award 2023
Ein Preis ist Ansporn, Würdigung, Selbstvergewisserung. Er ist ein Zeichen nach außen und nach innen, ein Unterscheidungsmerkmal. „Man darf nicht vergessen, dass wir ein kleines Institut sind, mit etwa 80 Studierenden,“ meint Claus Reichstaller, Professor an der Münchner Hochschule für Musik und Theater und Leiter des Jazzinstituts. „Man kann also nicht alle Instrumenten gleichzeitig auszeichnen. Das hat aber auch viele Vorteile“. Kurze Dienstwege zum Beispiel. Eine Initiative wie der Kurt Maas Jazz Award etwa entstand in erstaunlicher Geschwindigkeit. Als sich Reichstaller und Camilo Dornier 2011 bei der Beerdigung des einstigen Institutsleiters Kurt Maas trafen, fassten sie den Entschluss, dessen Erbe in Gestalt eines Jazzpreises für den Nachwuchs weiterzuführen. Austausch intensivierte sich Die Universität und der musikbegeisterte Stifter taten sich zusammen, und schon zwei Jahre später wurde die Auszeichnung zum ersten Mal überreicht. Seitdem gehörten die Pianist:innen Shuteen Erdenebaatar, Leo Betzl und Svetlana Marinchenko, die Klarinettistin Rebecca Trescher, der Saxophonist Moritz Stahl oder auch der Trompeter Matthias Lindenmayr zu den Preisträger:innen. Über den Bassisten Abraham Laboriel entstand ein enger Kontakt nach Boston ans Berklee College. Dozent:innen kamen von dort nach München, und Studierende konnten wiederum an …
WeiterlesenFeuerwerk an Energie, Groove und Modern: das Regensburger Jazzweekend 2023
Vier Tage dauerte das Regensburger Jazzweekend vom 13. bis zum 16. Juli 2023: Über 100 Bands spielten in mehr als 30 Locations. Auch im 42. Jahrgang war die ganze Stadt wieder einmal voller Jazzmusik und trotz tropischer Temperaturen voller neugieriger und musikgenusssüchtiger Menschen. Michael Scheiner berichtet vom Jazzweekend-Auftakt auf der Piazza im Regensburger Gewerbepark und einem langen Jazzwochenende in der Altstadt. Tag 1 – Gelungener Auftakt im Gewerbepark Ganz nebenbei hat Marco Lobo auch noch das Wissen über Instrumentalkunde und Musikethnologie erweitert. Beim gefeierten Auftritt mit seinen Convidados auf der Piazza im Gewerbepark, spielte der Brasilianer ein unbegleitetes Solo auf der Berimbau oder auch Berimbao, wie der Musikbogen auf spanisch heißt. Das aus einem Holzstock, einer Metallsaite und einer Kalebasse als Resonanzkörper bestehende Instrument ist typisch für den Nordosten des südamerikanischen Landes und das wichtigste Instrument für den Kampftanz Capoeira. Das Publikum reagierte fasziniert und hingerissen auf die schwirrenden, an- und abschwellenden Klänge, die Lobo mit dem archaisch anmutenden, virtuos gespielten Bogen kreierte. Einige wären fast aus den bequemen Liegestühlen vor der Bühne aufgestanden, um ihrem Beifall noch etwas mehr Nachdruck zu verleihen. Voll der Empfehlung …
WeiterlesenDas Internationale Jazz-Weekend in Unterföhring mit Staraufgebot
Das diesjährige Internationale Jazz-Weekend in Unterföhring wartete, wie bereits in der vergangenen Jahren, mit einem starken Lineup auf. Stars wie Bill Frisell, Lizz Wright und David Helbock gaben sich im Bürgerhaus Unterföhring die Ehre. Obwohl das Jazz-Weekend dieses Jahr bereits zum zwanzigsten Mal stattfand – von aufgesetztem Jubiläumstrubel keine Spur. Stattdessen, wie gewohnt, ein ausgesprochen abwechslungsreiches, hoch interessantes Programm. Den offiziellen Startschuss gab es wie immer mit einem Kinderprogramm der Jazzbande und „Warum der Kontrabass das Schlagzeug mag“. Den Auftakt zum internationalen Programm bestritt dann Bill Frisell mit seinem aktuellen Quartett mit Greg Tardy, Gerald Clayton und Jonathan Blake. Ein ungemein intimes Konzert mit vielen leisen Zwischentönen und wunderbaren Improvisationen. Höhepunkt des Abends sicherlich die erste (von zwei) Zugaben: „What the World Needs Now“ von Burt Bacharach – da stockte so manchem Hörer der Atem. Lizz Wright am Klavier Auch der zweite Abend war in jeder Hinsicht ein ganz besonderer. Mehrmals verschoben hat es dann schließlich geklappt und Lizz Wright kam mit dem Gitarristen Marvin Sewell, Bobby Sparks an den Keyboards, dem Bassisten Ben Zwerin und Ivan Edwards am Schlagzeug in den großen Saal des …
WeiterlesenMit Liebe bei der Sache – das Südtirol Jazzfestival Alto Adige
Von Stefan Pieper. Auch die zweite Hälfte des Südtirol Jazzfestival Alto Adige bot eine breite Vielschichtigkeit und immer wieder hochmotivierte, betont „authentisch“ agierende Bands, die mit ihrem versunken lauschenden Publikum in anregender Atmosphäre zu einem Ganzen verschmolzen. Lohn für das ganze Engagement der zahllosen Bands und Musiker und ebenso des Festivalteams: Schon am vorletzten Abend war klar, dass diese Ausgabe einen Publikumsrekord verzeichnen würde. Im satten Grün der Weinberge Mitten in der Bozener City unweit des Hauptbahnhofes startet eine Seilbahn hinauf nach „Oberbozen“, das eigentlich nur eine Ansammlung kleinerer Dörfer, zahlreicher Gastro- und Hotelbetriebe aber auch vieler verstreuter Siedlungen ist. Die Seilbahn wird von zahlreichen Bewohnerinnen und -bewohnern als Pendel-Verkehrsmittel zur großen Stadt genutzt. Und so transportiert sie auch das Publikum beim Südtirol Jazzfestival Alto Adige zu einer Neben-Location des Festivals. Aus milchigen Wolkenschleiern erhebt sich das mächtige Schlern-Massiv, während die Weinberge in sattes Grün getaucht sind. Die Luft riecht immer noch etwas nach der Regenfront, die jetzt aber endlich vorüber ist. Das ist die Stunde des Shuteen Erdenebaatar Quartetts. Hinter diesem exotischen Namen verbirgt sich eine extrem ausgeschlafene Combo aus München, begründet von der …
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